Duell in der Tiefe

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1978
  • 0
Duell in der Tiefe
Duell in der Tiefe
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2006

Abenteuer im Reich der Wunder & des Gehorsams

Jim Eden ist ein Waisenkind, trägt jedoch einen großen Namen: Zusammen mit seinem verstorbenen Vater gehört Stewart Eden, sein Onkel, zu den Pionieren bei der Erschließung der Ozeane für den Menschen. Gerühmt wird Stewart vor allem als Erfinder des Wunderstoffes "Edenit": Metall, das damit überzogen wird, hält dem Wasserdruck bis in eine Tiefe von vier Kilometern stand! Auf diese Weise konnte Marinia entstehen - ein politisch zu den USA gehörendes, tief unter dem Ozean liegendes Reich riesiger Kuppelstädte, in denen die Ressourcen des Meeres direkt vor Ort ausgebeutet werden können.

Dank der Fürsprache des Onkels - der auch sein Vormund ist - wird Jim als Kadett in die US-Tiefsee-Akademie aufgenommen. Der harte Drill stört ihn nicht, denn er ist als typischer Eden vom Meer fasziniert. Allerdings gibt es eine Schlange in diesem Paradies: Jims Vorgesetzter ist Brand Sperry, Sohn des mächtigen, märchenhaft reichen Hallam Sperry, der über Marinia quasi herrscht. Ihm werden allerlei krumme Geschäfte nachgesagt; auch für den Tod von Jims Vater soll er verantwortlich sein.

Nach wenigen Monaten wird Jim aus der Akademie geworfen, und Onkel Stewart ist in der Tiefsee verschollen. Jim reist in die Tiefsee-Stadt Thetis Dome, um sein Erbe anzutreten. Es besteht aus einer Mine, die so tief unter Wasser liegt, dass nicht einmal mit Edenit verstärkte U-Boote es erreichen. Was hatte Stewart vor? Jim will es herausfinden - und stößt in ein Wespennest: Seine Entlassung aus der Akademie entpuppt sich als abgekartetes Spiel. Jim wird verfolgt, mehrfach trachtet man ihm nach dem Leben. Dahinter steckt Hallam Sperry, der die Mine unbedingt in seinen Besitz bringen will. Jims Leben hängt mehr als einmal an einem seidenen Faden, doch dank seines neuen Freundes Gideon Park stößt er schließlich in die letzten Tiefen des Meeres vor und deckt die schändlichen Pläne seines Feindes auf ...

Unterhaltung & Belehrung: 50 : 50

"Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir", lautet ein altes aber bekanntes Sprichwort. Darin liegt viel Wahrheit. Nichtsdestotrotz tröstet es Schulkinder nicht, die sich über Jahre in öden Räumen eingesperrt sehen, in denen ihnen Wissen eingetrichtert wird, dessen Sinn sich ihnen oft nicht erschließen will. So ist es kein Wunder, dass sich mancher diesem Druck wenigstens ab und zu widersetzt.

In den 1940er und 50er Jahren ging dort, wo Wert auf Ausbildung und Fleiß gelegt wurde, deshalb die Angst um, solche Rebellen könnten an Zahl zunehmen, womöglich andere, bisher strebsame junge Menschen mit ihrem Widerstand gegen Zucht & Ordnung anstecken und so schließlich die Zivilisation in den Abgrund stürzen (woraufhin die Kommunisten einfallen würden).

Natürlich konnte man dem durch Disziplinierungsmaßnahmen und Strafen entgegentreten (und tat es auch), doch selbst der engstirnigste Zuchtmeister musste (zu seinem Leidwesen) zugeben, dass zur Peitsche das Zuckerbrot gehört: Man muss der Jugend das Lernen (und Gehorchen) schmackhaft machen - und dabei unterhaltsam bleiben, denn auf diese Weise kann man ihren Widerstand unterwandern.

Damals entstand eine Populärunterhaltung, die uns heutzutage ungläubig die Köpfe schütteln lässt. Subtil waren die Ergebnisse entsprechender Überlegungen nicht gerade; faktisch kann man durchaus von Agitation mit der Brechstange sprechen. Eine Jugend, die noch nicht so aufgeklärt, selbstbewusst (und abgebrüht) war wie heute, mochte solche Manipulationen bemerken, nahm sie aber hin: Nicht nur in Literatur, Film & Fernsehen, sondern auch und vor allem im Alltagsleben war sie es gewohnt, nicht ernstgenommen und gegängelt zu werden. Lange konnte es deshalb nicht dauern, bis auch die Science Fiction als Transportmittel entsprechender Botschaften entdeckt wurde. Das Publikum wies ein niedriges Durchschnittsalter auf, war also der ideale Empfänger erzieherischer Maßnahmen.

Ehrenvolle Mission & erfreuliche Einkünfte

Mit dem Zweiten Weltkrieg neigte sich die Ära der marktbeherrschenden "Pulp"-Magazine allmählich dem Ende zu. Das (Taschen-) Buch trat an ihre Stelle. Nachwuchsautoren und die (meist immer noch jungen) Veteranen des "Goldenen Zeitalters" der Science Fiction freundeten sich mit dieser Publikationsform an. Nichtsdestotrotz war der Markt im Umbruch. Gleichzeitig beobachteten offizielle und selbst ernannte Tugendwächter misstrauisch die Szene. Ihnen war (und ist) alles suspekt, was die Jugend allzu intensiv begeisterte, denn es entzog sich womöglich ihrem begrenzten Verständnis und ihrer Kontrolle.

Romane, die gezielt für diese Jugend und unter Berücksichtigung bzw. Vermittlung systemkonformer Wertmaßstäbe und Regeln geschrieben wurden, konnten auf die Billigung und Unterstützung dieser Kritiker sowie auf die Förderung durch Verlage hoffen, denen Zensoren-Gleichmut und Verkaufszahlen wichtiger als literarische Qualitäten waren.

Viele prominente (sowie eher bemühte) Autoren versuchten sich im SF-getränkten Entwicklungsroman. Robert A. Heinlein, Arthur C. Clarke oder Isaac Asimov waren ebenso unter ihnen wie Jack Williamson und Frederik Pohl, die mit der "Undersea"-Trilogie zwischen 1954 und 1958 erstmals als Duo auftraten.

2D-Figuren in einer 3D-Unterwasserwelt

Abweichungen vom geschilderten Konzept gibt es bei ihnen nicht, weshalb Duell in der Tiefe in den Lernen-und-Begreifen-Sequenzen am stärksten (aber auch am interessantesten) gealtert ist. Wir dürfen folglich nicht davon ausgehen, dass Williamson & Pohl die Schleifdrill-Szenen satirisch gemeint haben. Wenn wir ihnen nicht gegenüberstehen und ausgeliefert sind, wirken hartgesottene Extrem-Offiziere, die alles wissen, alles sehen und jederzeit voller Freude bereit sind, Kadettenärsche gemäß jener Doktrin, dass Lernerfolg nur durch Gebrüll und Terror zu erzielen ist, bis zum (stets zu schließenden) Kragenknopf aufzureißen, heutzutage glücklicherweise vor allem lächerlich. Damals diente solche Gehirnwäsche selbstverständlich a) der guten Sache = der Verteidigung der USA sowie b) dem Wohl des Kadetten, der erst anstandslos funktioniert, wenn ihm jeglicher Widerspruchsgeist (plus mögliche Gedanken an die holde aber ablenkend-verderbliche Weiblichkeit, die deshalb in dieser Geschichte gar nicht vorkommt) ausgetrieben war.

Diesem System unterwirft sich Jim Eden stellvertretend und hoffentlich vorbildhaft für die lesende Jugend freudig und bedingungslos. Er ist stolz darauf, fünfzig Strafrunden um den Sportplatz zu drehen, weil beim Spind-Appell drei Borsten seiner Zahnbürste geknickt waren. Nur wer diese harte Schule durchsteht, darf sich wirklich "Mann" nennen, was durch eine schmucke Uniform bestätigt wird.

Als Alternative sind höchstens geniale Wissenschaftler oder bienenfleißige Transportschiffer gelitten. Politiker bleiben gänzlich unerwähnt, der einzige Jurist ist ein Schurke und eine Karikatur, wie überhaupt die Figurenzeichnung auf Kindergarten-Niveau verharrt. Jim Eden ist ein Bündel guter Eigenschaften. Selbst seine Naivität zeichnet ihn aus: Nur geld- und machtgierige Widerlinge bar jeder Vision - hier verkörpert durch Hallam Sperry - sind dort hinterlistig, wo Soldaten-Kameraden einander offen und großzügig begegnen. Die Schergen des Schurken sind brutal, dumm und hässlich und als solche deshalb (außer für Jim, der nach dem Willen der Autoren noch in die dämlichste Falle tappt) leicht erkennbar.

Die Welt der Wunder

Glücklicherweise rückt die Jungmann-Dressur in der zweiten Handlungshälfte in den Hintergrund. Jim taucht endlich dorthin ab, wo zwei bereits 1954 erfahrene und talentierte Schriftsteller sich bestens auskannten: in eine zukünftige Welt. Die bleibt hier zwar verständlicherweise analog - ein Dampfschiffer käme nach kurzer Einweisung problemlos mit der beschriebenen ‚Hightech' zurecht -, doch darin liegt einerseits der besondere Charme alter Science Fiction, während Williamson & Pohl andererseits zur Hochform anlaufen, wenn sie sich die Zeit nehmen, die Welt von Marinia näher zu beschreiben.

Die Tiefsee ist ein fremder und gefährlicher aber gleichzeitig faszinierender Ort. Diesen Aspekt verstehen uns die Autoren zu vermitteln. Hilfreich ist auch die Zuspitzung des Geschehens auf eine wilde Verfolgungsjagd unter Wasser. Williamson & Pohl lassen grundsätzliche naturwissenschaftliche Fakten maßvoll und geschickt einfließen und strapazieren die Realität nicht stärker als nötig. Eigentlich tritt reine Fiktion nur in der ‚Erfindung' des Edenits auf, das es nicht gibt oder geben könnte. Ansonsten extrapolieren die Autoren und schreiben die Gegenwart fort - eine Gegenwart freilich, die geprägt ist vom Glauben an einen Fortschritt ohne Sündenfälle wie Umweltzerstörung, -ausbeutung und -verschmutzung. Zumindest unter Wasser haben die Vereinigten Staaten die Welt (offenbar friedlich) erobert. Von einem Europäischen und einer Asiatischen Staatenbund (mit eigenen Tiefsee-Städten) ist vage die Rede, eine Sowjetunion glänzt dagegen durch Abwesenheit.

Sie ist dennoch präsent, denn sie galt in den Jahren des Kalten Krieges als allgegenwärtige Bedrohung, die nur eine Legion gut gedrillter Jim Edens auch zukünftig in die Schranken weisen konnte. "Watch the Skies!", hieß eine bekannte Parole. Aber auch unter Wasser galt es wachsam zu sein. Auf diese Weise erhält ein einfacher, nostalgisch angestaubter und fast vergessener Unterhaltungsroman eine historisch relevante Ebene - doch keine Sorge: Man muss sie als Leser höchstens zur Kenntnis nehmen und kann sich ansonsten anspruchslos aber spannend unterhalten lassen!

Duell in der Tiefe

Jack Williamson, Pabel

Duell in der Tiefe

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