Der Ausgestossene

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2004
  • 2
Der Ausgestossene
Der Ausgestossene
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2006

Ein böser Geist schmachtet im alten Schiff

John Trenton trauert: Vor einem Monat kam seine junge Gattin bei einem Autounfall ums Leben. Der Antiquitätenhändler bleibt allein zurück im Quaker Lane Cottage, gelegen auf der neu-englischen Halbinsel Granitehead des US-Staats Massachusetts.

Trenton muss psychologisch betreut werden. Er glaubt daher an eine Halluzination, als sich des Nachts etwas zu manifestieren beginnt, das man für den Geist seiner Ehefrau halten könnte. Allerdings muss er feststellen, dass seine Nachbarn und Freunde ihm dies ein wenig zu eifrig einreden wollen. Eigene Recherchen ergeben Merkwürdiges: Granitehead stand Ende des 17. Jahrhunderts mit im Brennpunkt der berüchtigten Hexenprozesse von Salem. Esau Haskett, ein ebenso reicher wie undurchsichtiger Reeder und Händler, der dem Satanismus anhing, konnte sich 1692 nach Granitehead in Sicherheit bringen.

Er kam nicht allein: An Bord der David Dark wurde ein unheimlicher Passagier, der aztekische Dämon Mictantecutli, transportiert. Das Schiff erreichte seinen Hafen freilich nicht, sondern versank; Haskett tilgte alle Spuren seiner Existenz. Seine Zeitgenossen und ihre Nachfahren folgten seinem Beispiel. Trotzdem ist es in Granitehead seither nie wieder geheuer gewesen. Gespenster gehören hier zum Alltag. Das ist unerfreulich, zumal besagte Geister den Lebenden gern körperlichen Schaden zufügen.

Der zunächst ungläubige Trenton lässt sich überzeugen. Schließlich ist er Zeuge, als der verstorbene Gatte seiner Nachbarin diese auf höchst unschöne Weise zu Tode bringt. Außerdem findet Trenton einen Verbündeten. Der junge Historiker Edward Wardwell beschäftigt sich schon lange mit der Suche nach Graniteheads heimlicher Geschichte. Sein größter Triumph steht unmittelbar bevor: die Entdeckung der David Dark, der sogleich die Bergung folgen soll – Wardwell dürstet danach, die ominöse Ladung zu untersuchen. Dieser Wunsch wird ihm erfüllt, aber leider öffnet sich dadurch das Tor zur Hölle, und der seit drei Jahrhunderten in seinem nassen Gefängnis schmachtende Mictantecutli, den selbst seine Dämonenkollegen für so bösartig und niederträchtig halten, dass sie ihn aus ihren Reihen ausgestoßen haben, legt erwartungsgemäß keine Dankbarkeit an den Tag…

Masterton-Geister: geil & handgreiflich

Festas Start in eine neue Taschenbuch-Reihe beginnt erfreulich preisgünstig und mit einem (leichten) Donnerschlag. Graham Masterton gehört sicherlich nicht zur ersten Garnitur der zeitgenössischen Phantastiker, aber sein Handwerk versteht er und legt ein Gruselgarn von altem Schrot und Korn vor. Das liegt auch daran, dass ";Der Ausgestoßene"; ein ziemlich angestaubter Roman ist, der bereits 1983 erschien. (Wieso wird das eigentlich nicht im Impressum erwähnt, wie es sich gehört?) Seither setzte er zwar ein wenig Patina an, die nach einigem Reiben indessen um so gruseliger glänzt.

Schon die Ausgangssituation verspricht viel; sie ist wiederum nicht originell, aber bewährt: Eine vom kalten, meist tobenden Meer umgebene Insel, bewohnt von einer überschaubaren Menschengruppe, vom Festland und von jeder Rettung in entscheidender Krise abgeschnitten, belagert von garstigen Spukgestalten, die schaurig-schön verwittert (und geil – eine typische Masterton-Ergänzung) des Nachts aus ihren Gräbern kriechen.

Fabelhaft gelingt es Masterton, das Grauen von Granitehead in einer teils realen, teils fiktiven Vergangenheit zu verankern. Die Hexenprozesse von Salem sind unrühmlich in die US-amerikanische Geschichte eingegangen. Masterton geht davon aus, dass hinter den Ereignissen von 1692 tatsächlich teuflische Mächte stecken. Politisch korrekt ist das sicher nicht, aber es funktioniert, weil Masterton genau weiß, wie er die historischen Quellen zu verwirbeln hat.

Die von der Literaturkritik so geliebte, weil das phantastische Element angeblich adelnde ";Hintergründigkeit"; der Handlung bleibt außen vor. Hier wird handfest gespukt, das volle Mondlicht fällt quasi auf unsere ausgesprochen hässlich anzuschauenden Gespenster, die auf gute, alte ";Buh!";-Weise erschrecken sollen.

Wie so oft findet Masterton in diesem Punkt allerdings das rechte Maß nicht. Wie präzise schildert man das Übernatürliche? Dies ist ein alter Streitpunkt in der Phantastik. Selbstverständlich wirkt es am nachhaltigsten, wenn sich der Besuch von drüben dem Leser quasi nur aus dem Augenwinkel nähert. Solche Zurückhaltung ist Mastertons Sache nicht, zumal zu fragen ist, ob er über das dafür erforderliche Talent verfügt.

Er stellt sich trotzdem unverdrossen der Herausforderung, Mictantecutli, sein Geisterpack und ihr gar schauerliches Spuken und Morden in geradezu filmreifen Bildern zu beschwören. Das funktioniert in der Regel gut; leider übertreibt es Masterton dann besonders in der zweiten Hälfte. Das Gruseln schlägt nun immer wieder in Grinsen um, wenn sich Mictantecutli, der angeblich übermächtige, unsterbliche Herr über die Gefilde der Toten, wie ein Butzemann aus einem B-Movie aufführt. Seine Grässlichkeiten sind kindisch, aber noch schlimmer sind die Phrasen, mit denen er uns foltert, wenn er die Realisierung eindimensionaler Träume voll Terror und Gewalt androht: Sogar Dämonen können ganz schöne Spießer sein… Da ist es zu begrüßen, dass Mictantecutli nur als Gast in seiner eigenen Geschichte auftaucht.

Zum Horror dieser Preisklasse gehört Sex. Auch hier geht es plakativ und ungewöhnlich deutlich zur Sache. Masterton arbeitet schließlich sein drei Jahrzehnten für allerlei Herrenmagazine. Auf diesem Niveau bewegen sich denn auch seine (glücklicherweise raren) lüsternen Einschübe: hochnotpeinliche Rammel-Fantasien aus einer Zeit, als ";Schweinereien"; noch rotohrig unter der Ladentheke gehandelt wurden.

Dass Masterton nach gelungenem Auftakt das Finale in den Sand setzt, ist kein Problem, das nur dieses Werk betrifft. Liest man seine anderen Romane – eine kleine Auswahl ist durchaus auch hierzulande antiquarisch greifbar -, geht auch denen notorisch die Luft aus. So bestätigt Masterton ein letztes Mal, dass er auch dann, wenn ihn der Ehrgeiz packt und er episch wird, kein wirklich ";guter"; Autor ist. Gelingt es, die Enttäuschung darüber zu zügeln und sich in Spektakellaune zu versetzen, liest sich ";Der Ausgestoßene"; dennoch flott und vergnüglich, auch wenn sich die Geschichte wie die Gespenster von Granitehead als recht flüchtig erweist und im Hirn wenig haften bleibt, sobald das Ende erreicht ist.

Köpfe rollen ohne Leser-Grollen

Dem Urteil über die Handlung entsprechend fällt die Bewertung des Romanpersonals aus. Graham Masterton ist ganz sicher kein Stephen King. Soll heißen: Wo der von der Kritik so gern geschmähte Kollege aus Maine mit sicherer Hand Durchschnittsfiguren in ein echtes literarisches Leben ruft, greift Masterton vor allem auf Klischeebausteine zurück.

John Trenton ist ein vom Schicksal arg gebeutelter Charakter. Trotzdem bleibt er uns Lesern herzlich gleichgültig bzw. wirkt sogar bald unsympathisch. Masterton misslingt es, Trenton zur Identifikationsfigur zu formen. Wenn der gute Mann so sehr seiner gerade tragisch verstorbenen Gattin hinterher trauert, wieso hüpft er mit der deutlich jüngeren (und knackigen) Ginny ins Bett? Und warum riskiert er trotzdem Kopf, Kragen und die Freiheit der Welt, um sie mit Mictantecutlis Hilfe aus dem Jenseits zurückzuholen? Zumal sich Jane als Geist nicht gerade von ihrer liebenswerten Seite gezeigt hat…

Ähnlich flau wirken die übrigen Bewohner von Granitehead. Sie sind Schauspieler nach Mastertons Gnaden, und sie sind wirklich nicht gut. Erstaunlich, wie redselig diese Bürger in Sachen Geisterspuk plötzlich werden, nachdem sie dreihundert Jahre eisern den Mund gehalten haben. Insgesamt decken sie das Spektrum zwischen hinterwäldlerisch tumb und bieder ab und dienen Masterton hauptsächlich als Dämonenfutter. Obwohl sie hübsch hässlich zu Tode kommen, tun sie einem niemals leid. Dies schließt fatalerweise auch diejenigen Figuren ein, die uns der Verfasser eigentlich ans Herz legen möchte.

So bleibt unterm Strich ein angenehm altmodischer, d. h. ideenreicher, zwar auf den vordergründigen Schrecken beschränkter, aber sorgfältig recherchierter und atmosphärischer, dabei teilweise sehr drastischer Grusel-Thriller, dessen spannende Geschichte etwas unter diversen unnötigen Längen sowie unfreiwillig komischen Splatter- und Sexszenen leidet: garantiert kein Höhepunkt des Genres, aber eine lesenswerte Lektüre.

Der Ausgestossene

Graham Masterton, Festa

Der Ausgestossene

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