Die Arbeit der Nacht

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2006
  • 9
Die Arbeit der Nacht
Die Arbeit der Nacht
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Frank A. Dudley
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2007

Wien und die Welt

Wer im Herbst 2006 die deutschen Feuilletons verfolgt hat, muss auf Thomas Glavinic' Die Arbeit der Nacht"; aufmerksam geworden sein. Selten rauschte es so einstimmig im Blätterwald, wurde ein Roman so überschwänglich gelobt. Dabei ist das Thema ein aus der spekulativen Literatur entlehntes und so neu nicht: Der letzte Mensch auf Erden. Was hat also jene Literaturkritiker dazu bewogen, die die aktuelle Phantastik bestenfalls milde ignorieren, ein solches Buch überhaupt zu besprechen? Oder: Ist ";Die Arbeit der Nacht"; fantastisch genug, um SciFi-Fans zu begeistern?

Es fängt ganz harmlos an: Jonas, ein Mittdreißer, steht wie jeden Morgen auf, zieht sich an und stellt fest, dass weder Handy noch Internet funktionieren. Er geht zur Bushaltestelle, um ins Büro zu fahren. Nach ein paar Minuten ereignislosen Wartens fällt ihm auf, dass die Straßen völlig leergefegt sind, keine Autos, keine Passanten, er steht allein auf einer der meistbefahrenen Straßen Wiens. Anfangs glaubt er, es sei ein Feiertag, doch der 4. Juli zählt in Österreich nicht dazu. Langsam dämmert es ihm dass er völlig allein ist, dass alle anderen Menschen verschwunden sind.

Nachdem er die Situation mehrere Male überprüft hat, gerät er in Panik, rast hupend und schreiend durch die Stadt. Dann verfällt er in Depression, schläft in der Wohnung seines Vaters, um sich gegen die fürchterliche Realität der Einsamkeit abzuschotten. Schließlich überkommt ihn Aktionismus, er klappert Wiener Sehenswürdigkeiten ab, wählt immer wieder die Nummer seiner Freundin, besorgt sich eine Waffe, einen Alfa Romeo Spider und fährt bis nach Norddeutschland, entdeckt keine Hinweise auf Menschen, um bei seiner Rückkehr ein nach wie vor leeres Wien vorzufinden. Schließlich besorgt er sich Videokameras, filmt seinen Schlaf und sieht die Aufzeichnungen am nächsten Tag an. Er stellt fest: Der Schläfer Jonas tut nachts seltsame Dinge, die den Tages-Jonas beunruhigen.

Eines Tages fährt er los, um in England den letzten Aufenthaltsort seiner Freundin aufzusuchen. An unterschiedlichen Orten am Wegesrand stellt er programmierte Videokameras auf, die zu einem bestimmten Zeitpunkt anfangen sollen, aufzunehmen. Nach England muss er laufen, der Ärmelkanaltunnel ist von einem Zug blockiert. Überall, wo er hinkommt, ist niemand. Wien ist auch nach seiner Rückkehr leer, und nach rund 400 Seiten gibt es keine Erklärung, was denn nun mit den ganzen Leuten passiert ist.

Wo sind sie denn?

Das ist genau der Punkt, an dem sich die Geister scheiden: Wer dieses Buch unter dem vermeintlichen Science Fiction-Aspekt liest, der das fantastische, das Verschwinden aller Menschen und Zurückbleiben eines einzigen, plausibel machen soll, wird herbe enttäuscht. ";Die Arbeit der Nacht"; ist ein Roman, der keine Erklärungen liefert, keinen Virus wie in ";Ich bin Legende";, keine Aliens, keine Zeit-Raum-Verschiebung wie in ";Quiet Earth"; oder sonst etwas. Er ist noch nicht einmal surreal, seine Welt ist einfach nur leer – und seltsamerweise recht aufgeräumt: kein verlassenes Auto behindert Jonas' Fahrten, Strom und Wasser fließen.

Was Glavinic allerdings glaubhaft aufbaut, ist eine Atmosphäre der Beklemmung, der Angst und der spitznadeligen Reflexion. Jonas weiß nicht, wie er mit der Sitation fertig werden soll, er sieht Gespenster, fühlt sich von seinem Nacht-Ich verfolgt und taucht widerstrebend in seine eigenen Tiefen ein. Und er stellt fest, dass sich sein Tag-Ich ohne die Gesellschaft anderer Menschen zwangsläufig mit seinem nocturnen Doppelgänger arrangieren muss. Und dass es keine Erklärung gibt, dass dem Universum der Mensch bestenfalls egal ist. Eine Sicht der Dinge, die auch H. P. Lovecraft vertreten hat. Vielleicht eine Lektüreempfehlung für Thomas Glavinic, falls er sich mit seinem nächsten Roman einen neuen Leserkreis erschließen will, denn ";Die Arbeit der Nacht" ist für Fantastik-Fans bestenfalls eingeschränkt zu empfehlen.

Die Arbeit der Nacht

Thomas Glavinic, Hanser

Die Arbeit der Nacht

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