Shriek

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: Januar 2008
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Shriek
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Frank A. Dudley
91°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2007

Die Sporen der Geschichte

Es gibt Bücher, die den Leser nur befriedigen, wenn er die Vorgeschichte kennt. Und es gibt Bücher, die den Leser in ihren Bann ziehen, ohne dass er vorher etwas ihnen gehört hat. Jeff Vandermeers ";Shriek” gehört in beide Kategorien.

Fantasy bezieht ihre Faszination zu weiten Teilen daraus, dass ihre Leser nicht an sie glauben. Ihre anziehende Exotik ist das Märchen, das Phantastische, das einen aus der Realität hinaus in eine wundersame Welt trägt. ";Shriek: An Afterword” dreht diese Erwartungshaltung um: Jeff Vandermeer hat Ambra, bereits bekannt aus ";Stadt der Heiligen und Verrückten”, und seine Bewohner so komplett imaginiert, dass man daran glaubt, ja beinahe erwartet, dass es im Buchladen um die Ecke einen Ambra-Reiseführer gibt und man Last Minute einen Kurztrip in die vibrierende Metropole am Mottfluss buchen kann.

Der Autor des Reiseführers ist Duncan Shriek, verlachter und verfemter Historiker, mittlerweile wahrscheinlich tot, die Autorin des Nachwortes ist seine Schwester Janice. Die autobiographisch präsentierte Schrift ist durchsetzt von Duncans Anmerkungen - lebt er doch noch? Nun, möglicherweise, denn er ist einfach verschwunden, mit ziemlicher Sicherheit in die pilzige Unterwelt der Graukappen, deren Stadt Cinsorium auf der Fläche des heutigen Ambra stand, bis sie in den Untergrund getrieben wurden.

Janice beschreibt im Nachwort nicht nur die Obsession ihres Bruders, zu beweisen, dass die Graukappen seinerzeit für das Verschwinden von 25.000 Menschen verantwortlich waren. Sie berichtet auch von seinem Befall mit den unterschiedlichsten Pilzen sowie seiner unseligen Beziehung zu Mary Sabon. Diese wird ihn nicht nur verlassen und seine Ideen ausbeuten, sondern ihn auch verleugnen. Was den armen Duncan aber nicht davon abhält, sie bis zu seinem Verschwinden unablässig und heiß zu verehren.

Doch Janice hat auch ihre eigenen Probleme. In jungen Jahren ist sie eine erfolgreiche Galeristin, mit allem, was in Ambra dazugehört: Drogen, Parties, Sex und Öffentlichkeit..Als sie nach einem Selbstmordversuch wieder aus der geschlossenen Therapie entlassen wird, stellt sie fest, dass die Kunst, die sie in ihrer Galerie vertreten hat, in Ambra keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlockt. Und ihr Bruder ist auch arbeitslos, nachdem seine historischen Theorien von der breiten Leserschaft nicht mehr goutiert werden.

Also verdingen sich Janice und Duncan als Kriegsreporter während des Verlagskrieges zwischen den Häusern Frankwrithe & Lewden sowie Hoegbotton und Söhne. Doch Duncan treibt es wieder in den Untergrund, wo er seine historisch-fungiziden Forschungen weiterführt.

Surreal, düster und fungizid

Genau wie "Stadt der Heiligen und Verrückten" zieht "Shriek" seine Leser von Seite zu Seite stärker und unmittelbarer an. Jeff Vandermeer schreibt derart plastisch über das Phantastische im scheinbar Alltäglichen, das Surreale im kleinsten Detail der Normalität, dass Ambra im Geiste eine greifbare Gestalt annimmt. Wunderbare Szenen sind es, wenn Janice auf ihrer von Pilzen beinahe zersetzten Schreibmaschine im Hinterzimmer einer Kneipe ihren Bericht verfasst, düster und beinahe kafkaesk-bedrohlich wird es, wenn der von fungiziden Kopftentakeln geplagte Duncan im Untergrund eine riesige stampfende Maschine der Graukappen entdeckt. Und der Kampf um Anteile am Buchmarkt nimmt in Ambra wahrhaft grausige Dimensionen an, wenn sich die Kombattanten der verfeindeten Verlagshäuser mit todbringenden Pilzgranaten beschießen.

Der elliptische und dadurch abschweifende Aufbau der Geschichte - Janice erzählt bis zu einem bestimmten Punkt und beginnt dann von vorne - verstärkt den Eindruck der Unmittelbarkeit nochmals: Mit ihrer nicht-linearen Erzählweise versucht Janice, den Charakter ihres Bruder zu erfassen, einzukreisen, und offenbart dabei auch sich selbst.

"Shriek" ist übrigens ein Gesamtkunstwerk: Vandermeer hat einen surrealen Kurzfilm zu seinem Werk produziert (http://www.shriekthenovel.com) und listet im Anhang des Buches die Musik, die er während der achtjährigen Schreibarbeit gehört hat.

Vandermeer schreibt in "Shriek" über das Schreiben selbst, über Kunst und Geschichte, über Geschwisterbeziehungen und natürlich über Pilze: Wer "Shriek" gelesen hat, wird Jägerschnitzel mit anderen Augen betrachten. Und manch einer wird sich Fragen, ob der Autor vielleicht mehr als schriftstellerische Erfahrungen gesammelt hat.

Shriek

Jeff VanderMeer, Klett-Cotta

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