Der Blutstein

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2014
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Der Blutstein
Der Blutstein
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Michael Drewniok
95°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2007

Gescheiter Barbar mit bösen Absichten

Auf einer mittelalterlich anmutenden Parallel-Erde stehen die beiden Stadtstaaten Selonari und Breimen vor einem Krieg. Lord Dribeck, der noch junge Herrscher über Selonari, steht unter Druck der mächtigen Adeligen und muss sein Durchsetzungsvermögen unter Beweis stellen. Lord Malchion von Breimen ist ein Mann der Tat, der keinen Feind an seinen Grenzen duldet; ohnehin würde er sein Reich gern gen Süden ausdehnen.

Das labile Verhältnis zwischen den beiden Staaten will sich der Glücksritter Kane zunutze machen. Der von einem rachsüchtigen Gott verfluchte und unsterblich gewordene Krieger langweilt sich. Er gedenkt Dribeck gegen Malchion auszuspielen, um schließlich selbst die Macht zu übernehmen. Zunächst bietet er sich Malchion als Agent an, um als solcher in den Dribecks Dienst zu treten.

Dem unerfahrenen Lord macht Kane weis, dass in einer unweit Selonaris gelegenen Geisterstadt Superwaffen einer untergegangenen Zivilisation zu bergen wären. Vor Äonen sind die echsenhaften Krelran mit Raumschiffen auf die Erde gekommen. Sie haben die Stadt Arellarti gegründet und in ihrem Zentrum den mächtigen Blutstein als Inkarnation ihrer Stärke installiert. Doch Arellarti fiel durch Verrat, die Krelran wurden besiegt. Um die Stadt bildete sich der undurchdringliche Sumpf von Kranor-Rill, in denen die Rillyti - die degenerierten Nachkommen der Krelran - mörderisch die Ruinen Arellartis bewachen.

Kane lässt von Dribeck eine Expedition ausrüsten. Nach erbitterten Kämpfen erreicht Kane allein die Stadt. Er besitzt den Schlüssel, mit dem der Blutstein sich aktivieren lässt. Das Wagnis gelingt, und Kane gewinnt wie erhofft unglaubliches Wissen. Allerdings hat er die Rechnung ohne den Blutstein gemacht, der einen eigenen Willen besitzt und dem Kane als Instrument einer späten aber umso gründlicheren Rache an den Menschen gerade recht kommt ...

Der Mensch ist schlecht, doch Kane ist schlechter

Gemeinhin gilt der Barbar nicht nur im Fantasy-Genre als triebgesteuerter Muskelprotz. Schon der große Conan zog in der Krise seine Fäuste und ein scharfes Schwert einem schlauen Plan vor, und auch Fritz Leibers Fafhrd überließ das Denken gern dem Grauen Mausling. Vermutlich manifestiert sich hierin der Wunsch nach gerechtem Ausgleich: Wer so groß & stark ist, dass er seinen Mitmenschen nach Belieben herumschubsen kann, sollte wenigstens dumm sein!

Nicht nur in diesem Punkt segelt Karl Edward Wagner gegen den Wind. Sein Kane ist riesengroß und bärenstark, dabei aber nicht nur schlau, sondern hochintelligent und gebildet. Außerdem ist er ein Killer. Vor vielen Jahren hat er seinen Bruder - der Autor sagt uns nicht, ob dieser Abel hieß ... - erschlagen und wurde dafür zur Unsterblichkeit verdammt. Was als Strafe zunächst kontraproduktiv erscheint, erwies sich für Kane als echter Fluch: Er ist der Gefangene einer Welt, die sich nur langsam entwickelt. Offensichtlich handelt es sich um die Erde, aber es ist nicht der Planet, den wir kennen. Wagner siedelte Kanes Welt in einer versunkenen Vergangenheit an. Allerdings scheint eine andere Interpretation ebenfalls möglich: Mehrfach erwähnt Kane die Relikte einer hochtechnisierten Menschen-Zivilisation, die in einem lange zurückliegenden (Welt?-) Krieg ausgelöscht wurde.

Kane kann zwar durch Gewalt getötet werden aber nicht altern. Stattdessen stirbt er vor Langeweile. Er hat alles gesehen und getan, was diese Welt ihm bieten kann. Sich selbst zu töten, verbietet ihm sein Stolz: Diesen Triumph will er dem Gott, der ihn verfluchte, nicht gönnen! Immer wieder hat Kane sich als Mentor versucht und die Menschen an seinem Wissen teilhaben lassen. Dahinter steckt keine Güte, sondern reine Berechnung, in die sich Verzweiflung mischt: Kane will den Prozess der Zivilisation beschleunigen, um auf diese Weise endlich ein Umfeld zu schaffen, in dem er intellektuell gefordert wird. Auch deshalb fällt es Blutstein einfach, Kane zu korrumpieren, indem er ihm die Kraft verspricht, durch das All jede beliebige Welt zu bereisen: Dies ist ein Angebot, das Kane einfach nicht ablehnen kann!

Jeder hat seinen Preis

Nur so ist es zu erklären, dass der schlaue Fuchs, der die Fäden sonst fest in der Hand zu halten pflegt, sich aufs Kreuz legen lässt. Kane wird das Opfer seiner eigenen Sehnsucht. Darüber hat er vernachlässigt, was er selbst am besten wissen dürfte: Nicht nur auf dieser Welt ist es klug, niemals die Deckung zu vernachlässigen, weil sich stets jemand findet, der sein Glück auf deine Kosten zu machen versucht! Schließlich handelt Kane seit jeher ebenso.

Dieses Mal versucht er sich nicht als Lehrmeister, sondern wirkt als Doppelagent in eigener Sache. Kane will Herrscher werden, um so den dummen Menschen aufzwingen zu können, was sie nicht lernen wollen. Die die Throne seiner Welt derzeit besetzt sind, muss er als Usurpator aktiv werden. Da Kane über keine Armee verfügt, setzt er List und Lügen ein - eine Praxis, die den gewalttätigen und simpel gestrickten aber erstaunlich moralischen Barbaren-Kollegen fremd ist. Sie schimpfen gern über Politiker und Diplomaten, die lieber reden, statt zu handeln. Kane fährt doppelgleisig.

Wagner zeichnet vor allem Lord Dribeck deutlich sympathischer als seinen ‚Helden'. Der junge Mann ist kein Dummkopf aber klug genug, sich vor seinen rustikalen Kriegern als Grobklotz zu geben, denn Nerds haben auch in der Vergangenheit nichts zu lachen. Jenseits Kriegsdrohung plagt sich Dribeck allzu selbstbewussten Adeligen und einem arroganten Kult herum: Wagner zeichnet das plastische Bild einer Fantasy-Welt, die bemerkenswert real wirkt. Auch das Dasein von Königen ist reich an alltäglichen, lästigen Routinen.

Aus härterem Holz ist Malchion geschnitzt, ein Herrscher alten Schlages, der sich den Thron erkämpft hat und mit dem Frieden schlecht zurechtkommt. Wagner zeigt einen alternden Mann, der das Schwinden seiner körperlichen und geistigen Kraft durch Entschlossenheit bis zum Starrsinn überspielen will. Damit wird Malchion zum idealen Spielball für Kane, dem es jedoch gelingt, auch Dribeck einzuwickeln: Ihn lockt Kane mit alten Büchern, die der Lord von Selonari heimlich über alles liebt.

Wenn drei sich streiten ...

Nachdem Wagner sorgfältig und erfolgreich die Weichen gestellt hat, beginnt die Handlung sich zu verselbstständigen, denn natürlich geht Kanes "perfekter" Plan nicht auf. Blutstein erweist sich als noch geschickterer Lügner und Intrigant. Dass Kane überhaupt merkt, wie übel ihm mitgespielt wird, verdankt er der gelungensten Figur in dieser Geschichte.

Nie wurde Malchion der ersehnte Sohn und Thronerbe geboren, Tochter Teres vom Vater erst zur Kenntnis genommen und akzeptiert, als sie jegliche Weiblichkeit ablegte und härter als jeder mögliche Konkurrent in der Königsnachfolge wurde. Diese Verdrängung blieb nicht folgenlos; Teres ist eine mürrische, misstrauische Frau, die reflexhaft zuschlägt. Wagner zeigt sie als Tochter, die sich nach Vaterliebe sehnt, ohne dies jemals peinlich ausarten zu lassen: Als ausgebildeter Psychologe wusste Wagner um die Folgen ignorierter Gefühle, was er als Schriftsteller überzeugend in Worte fasste. Der Kampf mit Blutstein ist gleichzeitig Teres' „Coming-Out" als Frau, die unter der Kruste der Kriegerin zum Vorschein kommt.

Blutstein ist ein klassischer Super-Schurke. Zur Fantasy kommt mit seiner "Person" die Science Fiction, denn Blutstein ist ein außerirdisches Intelligenzwesen auf kristalliner Basis, das mit einem Raumschiff auf die Erde landete und hier gestrandet ist. Über die näheren Umstände dieses Scheiterns schweigt sich Blutstein klugerweise aus, denn diese Kreatur, die sich heimwehkrank gibt und nur zurück in seine Heimat möchte, ist Repräsentant einer Macht, die in der Erde einen Hort zukünftiger Sklaven sah und nun die Gelegenheit nutzt, die alten Invasionspläne neu aufzulegen.

Kane kehrt zurück

Obwohl Der Blutstein bereits 1975 erschien, lässt Wagner viele der heutigen Fantasy-Autoren ganz, ganz alt aussehen. Hier gibt es keine endlosen, um sich selbst kreisenden Verschwörungen, keine seitenschindenden Seifenoper-Einschübe, keine weihevoll schwafelnden Magier oder Tolkien-Klischees, die Fantasy oft zum Ärgernis gerinnen lassen. Wagner schreibt knapp und präzise, märchenähnliche Untertöne liegen ihm nicht.

Die Kane-Romane erschienen in Deutschland erstmals Ende der 1970er Jahre. Schon damals waren sie durchaus gut und von Martin Baresch übersetzt, der damals noch das Pseudonym „Martin Eisele" verwendete. Allerdings wurden die Vorlagen zum Teil so arg gekürzt, dass sogar Wagner es in den fernen USA bemerkte und seinem Ärger Luft machte. Später fasste der Bastei-Verlag die Romane in zwei umfangreichen Sammelbänden zusammen, die sogar einige der Kane-Kurzgeschichten enthielten.

Nun kehrt Kane zurück. Angekündigt sind zunächst die drei Romane, aber es bleibt zu hoffen, dass der Golkonda-Verlag sich auch der Kane-Storys annimmt, die laut Wagner zum Serien-Universum gehören. Für „Blutstein" hat Martin Baresch seine alte Übersetzung durchgesehen und etwaige Lücken der deutschen Erstauflage geschlossen. Das Buch erscheint verlagstypisch als Klappenbroschur und, ist schön gestaltet und druckt sowie mit einem echten, d. h. für dieses Buch entworfenen Cover versehen. Es ist Teil eines Triptychons, zu dem sich die drei Titelbilder schließlich zusammenlegen lassen: So bereitet eine ohnehin lohnenswerte Lektüre noch größeres Vergnügen!

Der Blutstein

Karl Edward Wagner, Bastei-Lübbe

Der Blutstein

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