Die Insel des Dr. Moreau

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  • Erschienen: Januar 1904
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Die Insel des Dr. Moreau
Die Insel des Dr. Moreau
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Thomas Nussbaumer
83°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2006

Die Schrecken der plastischen Chirurgie

Der Engländer Prendick rettet sich nach dem Schiffbruch der ´Lady Vain´ mit letzter Kraft auf ein Beiboot, das er mit zwei weiteren Überlebenden teilt. Es geht ums nackte Überleben, denn Wasser und Zwieback werden knapp und sie ziehen je ein Hölzchen, welcher von den dreien sich ´opfern´ muss. Im darauffolgenden Handgemenge, gehen die beiden Männer über Bord und Prendick treibt allein mitten im Pazifik. Tage später wird er von einem kleinen Schoner aufgegriffen und einer von dessen Passagieren, ein angeblicher Arzt, nimmt sich Prendicks an. Dabei verdankt der überzeugte Abstinenzler seine Rettung ausgerechnet den alkoholischen Infusionen, die ihm der Arzt gemacht hat. Der Retter stellt sich später als Montgomery vor und Prendick erfährt, dass diesem auch die tierische Fracht gehört, die das Schiff geladen hat. Davis, der Kapitän der ´Ipecacuanha´ ist ein eher rustikaler Zeitgenosse und die ganze Mannschaft behandelt Montgomery und dessen Diener M'ling aus unbekannten Gründen wenig respektvoll. Letzterer wird gar ein paarmal grob angepöbelt und Prendick beginnt sich über den ´vertierten´ Ausdruck des Dienstboten zu wundern. Als sich Prendick bei einer Auseinandersetzung aus Mitleid mit M'ling solidarisiert und sich zwischen ihn und Kapitän Davis stellt, fällt er bei dem Schiffsbesitzer in Ungnade. Als der Schoner eine unbenannte Insel erreicht, wo der Arzt Montgomery mitsamt seiner animalischen Fracht von Bord geht, wird auch Prendick kurzerhand vom Kapitän in sein altes Beiboot verpflanzt und sich selbst überlassen. Prendick appelliert an seinen Retter Montgomery, ihn mit auf die Insel zu nehmen, doch der kennt nun plötzlich weniger Zartgefühl und weigert sich, den Schiffbrüchigen aufzunehmen. Der Schoner setzt ungetrübt seine Segel, Prendick ist wieder allein und will sich schon seinem Schicksal ergeben, als es sich Montgomery nochmals überlegt und Prendick mithilfe von ein paar ´Insulanern´ an Land holt. Prendick ist dankbar für seine erneute Rettung, doch ihm wird erklärt, dass er hier auf der Insel bloß geduldeter Gast sei. Denn dies sei eine wissenschaftliche Forschungsstation, die unter der Leitung eines zweiten Wissenschaftlers stünde, den Prendick aus der Ferne am Strand bereits gesehen hat. Man bringt ihn bis auf weiteres in einem einigermaßen gemütlichen Quartier unter und zuletzt macht Prendick die Bekanntschaft mit dem Leiter der Station, dem berüchtigten Dr. Moreau, der vor langer Zeit in England in Verruf geraten war und der auf der Insel nun sein Asyl gefunden hat.

Skrupellose Experimente und Fragen der Moral

Das namenlose Eiland ist seit längerem Drehort für Moreaus grausame Experimente: Seit Jahren vollzieht er in der ´ethischen Isolation´ plastische Operationen (ohne Narkose wohlgemerkt!), bei denen aus lebenden Tieren Menschen entstehen sollen. Vivisektion nennt man die Chirurgie am lebenden Organismus und die stand um 1900 noch in den Anfängen, ließ aber das Potential erahnen, das in dieser medizinischen Behandlungsmethode lag. Der Erzähler Prendick, der selber ein paar Semester Biologie studiert hatte, kennt die interessanten Fragen dieses Fachs, ohne jedoch Moreaus blinden Ehrgeiz zu teilen. Auf Prendicks Bedenken hin, was die Operationen betrifft, meint der gute Doktor:

"Bis auf diesen Tag hab´ ich mich um die Ethik der Angelegenheit noch nie bekümmert. Das Studium der Natur macht den Menschen schließlich so gewissenlos, wie die Natur selbst ist." (S. 102)

Ohne viel mehr über die Handlung zu verraten, darf gesagt werden, dass es Moreau schon recht gut gelingt menschenähnliche Wesen zu erschaffen. Diese Kreaturen leben außerhalb der Forschungsstation in einem ´Camp´ mitten im Dschungel und sind durch eine kauzige Religion und unter Androhung von drakonischen Strafen bei Nichtbeachtung der ´Hausgebote´ handzahm geworden. Die Tiermenschen bleiben außerdem durch Suggestion und regelmäßige Hypnose gefügig. Und dennoch ist Dr. Moreau bis jetzt die perfekte Umgestaltung, der perfekte Mensch, nicht gelungen. An einem von Montgomery mitgebrachten Puma will er nun sein Meisterstück versuchen. Dass dabei vieles schiefgehen muss, liegt in der Anlage einer Geschichte wie dieser.

Zeitlos gealtert

"Die Insel des Dr. Moreau" ist einer von Wells frühen utopischen Romane, dem noch weitere und vielleicht genauso berühmte folgten ("Der Unsichtbare", "Krieg der Welten" usw.). Er entstand 1896 und stellt bis heute eine beliebte thematische Vorlage dar, die von diversen Medien, besonders im Gruselbereich, immer wieder gerne aufgegriffen wird. Moreau, Frankensteins Bruder im Geiste, ist das Sinnbild des skrupellosen Forschers, der sich im Namen der Wissenschaft an wehrlosen Lebewesen vergreift. Ohne die Moralkeule zu schwingen, wird in dem Buch die Frage behandelt, was denn den Menschen zu einem Menschen und ein Tier zu einem Tier macht. Es geht Wells weniger darum, über die Methoden der Wissenschaft Rechenschaft abzulegen oder diese anzuprangern, als um die Frage nach der Tragweite jeder Handlung. Um das viel bemühte Beispiel der Gentechnik zu bemühen: Wann wird der Mensch, der in diesen Belangen noch immer als ein täppisches mit ´brisantem´ Spielzeug ausgerüstetes Baby gelten muss, reif sein um die Verantwortung seines Handelns zu tragen? Einige Argumente der Story, die Wells als ´pseudowissenschaftliche Stützen´ einbaute, sollten heute allerdings schlicht als phantastische Elemente angesehen werden. So wirken mitunter gewisse Argumentationen (auch für Laien) nicht mehr überzeugend. Moreau berichtet beispielsweise frohgemut, dass er einfach mal so an Gehirnen herumschnipselt und dass er darüber hinaus aus jeder tierischen Gestalt ein menschliches Wesen erschaffen könne. Doch was ist mit dem Knochenbau, der jedem Körper maßgeblich die Form gibt? Desweiteren werden Tiere verschiedener Arten einfach ´zusammengebastelt´, was ohne entsprechende (moderne!) Medikamente schwer nachvollziehbar ist. Auch nähern sich die Tiermenschen zuletzt unlogischerweise wieder ihren tierischen ´Ausgangsformen´ an. In diesen Punkten hat der Roman von seiner Überzeugungskraft eingebüßt. Die Geschichte funktioniert aber nicht wegen der wissenschaftlichen Fakten, sondern weil sie darüber hinaus einfach ´seriös´ erzählt ist. Es ist leicht zu erkennen, dass Wells einer der großen Schriftsteller seiner Zeit werden sollte.

Der Roman dürfte mit den Worten ´gealtert, aber gut erhalten´ treffend charakterisiert sein. Der Text liest sich flüssig und wirkt in der von Christine Mrowietz durchgesehenen Übersetzung von Felix Paul Greve nicht allzu altbacken, obwohl das Buch über hundert Jahre auf dem Buckel hat. Die inneren Konflikte des Protagonisten Prendick (der ja die ´Lesersicht´ vertritt) werden glaubhaft aufgezeigt und gleichzeitig wird uns eine unterhaltsame Abenteuergeschichte mit Anleihen bei Jules Verne oder Edgar Allan Poe erzählt. Die Geschichte dürfte trotz einiger technischer Mängel aus einem Stoff gemacht sein, der losgelöst von seinem Verfasser, die nächsten hundert Jahre übersteht. Ganz so wie es sich der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges (übrigens ein großer Wells-Fan) in seinem Nachwort wünschte.

(Thomas Nussbaumer, Februar 2012)

Die Insel des Dr. Moreau

H. G. Wells, -

Die Insel des Dr. Moreau

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