Sternensturm

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2007
  • 4
Sternensturm
Sternensturm
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S.B. Tenz
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2007

Das etwas andere Universum

Stellen sie sich vor, sie steigen in einen klassischen Doppeldecker und fliegen damit zum Mond. Unterwegs kreuzen einige Himmelswale ihre Bahn, die gemütlich im Orbit eines Planeten treiben. Sie meinen, das klingt ganz schön verrückt oder nach einer Parodie?  Weder noch… Adam Roberts stellt das ganze Universum einfach auf den Kopf und alle uns bekannten physikalischen Gesetze gleich mit. Was dabei herauskommt, ist überaus intelligente Science Fiction, brillant erzählt.

Das System: Sechs Planeten und vier Monde, seit mehr als vierhundert Jahren von Menschen besiedelt. Der Planet Kaspian gilt als Ursprungswelt aller Menschen im System. Irgendwann gelang es einem verwegenen Pionier, den Mond Kaspians zu erreichen. Von diesem Zeitpunkt an wurde den Menschen klar, dass sie auch alle anderen Planeten im System erreichen bzw. kolonialisieren können. Raumschiffe werden dazu nicht benötigt, denn in diesem Universum liegen alle Planeten so eng aneinander, dass man ohne Schwierigkeiten alle Welten mit einem Flugzeug oder Zeppelin erreichen kann. Alle Planeten im System unterstehen der Herrschaft des Reichs, einer äußerst konservativen Monarchie. Ganz oben in der Hierarchie des Reichs steht der Prinz, darauf folgen die Verwalter der einzelnen Planeten, die wiederum nur dem Prinzen unterstellt sind. Einer dieser Verwalter ist der relativ unerfahrene Polystom. In seiner Verantwortung liegt die Verwaltung des Planeten Enting. Eine Aufgabe, die zuvor sein Vater inne hatte. Alles in allem führt Polystom ein sehr angenehmes Leben, da das ";Regieren"; nur sehr wenig Zutun erfordert. Die Maschinerie läuft reibungslos und praktisch störungsfrei. Eine Menge Leibeigene sorgen zudem für sein Wohlergehen. Die Dienerschaft kümmert sich um Haus und Hof, während andere die riesigen Ländereien bestellen und das Wirtschaftssystem am Laufen halten. Obwohl die Bediensteten ihrer persönlichen Freiheit größtenteils beraubt sind, kommt es nur selten zu Zwischenfällen, die den sozialen Frieden stören. Jeder Versuch des Aufbegehrens wird von den Aristokraten mit brutalsten und grausamsten Mitteln bestraft. Bedienstete, die zur Revolte neigen, werden ausgepeitscht oder kurzerhand exekutiert.

Doch nicht auf allen Planeten des Systems herrscht eine solche ";Ordnung"; wie auf Enting. Herrenlose, nicht sesshafte Bedienstete haben schon vor langer Zeit auf Aesop -";Der Schlammwelt";- einen Aufstand angezettelt. Dort herrscht ein blutiger Krieg, der tagtäglich unzählige Opfer fordert. Polystom selbst zeigt kaum Interesse an diesem Krieg. Für ihn spielt sich das alles weit entfernt auf einem Planeten ab, für den er ohnehin kein Interesse hegt. Doch das soll sich schlagartig ändern, als sein Lieblingsonkel Kleonikles Opfer eines feigen Mordanschlags wird. Plötzlich sieht sich Polystom einem Patriotismus verpflichtet, den er zuvor bestenfalls verbal vertrat. Er meldet sich freiwillig zum Militärdienst und zum Einsatz gegen die Aufständigen der ";Schlammwelt";. Hoffend, Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zu erlangen, nimmt Polystoms Nationalbewusstsein schon krankhafte Züge an. In seiner grenzenlosen Naivität ahnt er nicht, welche grauenhaften Erlebnisse ihn erwarten. Aber es sind nicht nur die Schrecken des Krieges, die ihm bevorstehen, er wird auch mit einer Wahrheit konfrontiert, die seine Existenz und die des gesamten Systems in Frage stellen wird.

Aus Drei mach Eins

Nimmt man es genau, handelt es sich bei ";Sternensturm"; eigentlich um drei Kurzgeschichten, die allerdings in unmittelbarem Zusammenhang zueinander stehen.

Teil Eins (Polystom - Eine Liebesgeschichte) schildert die tragischen Ereignisse innerhalb der Ehe zwischen Polystom und seiner Frau Beeswing. Eine unglückliche Verbindung, die schließlich in einer Katastrophe endet. Schon zu diesem Zeitpunkt zeichnet sich die grenzenlose Naivität und Ignoranz des Hauptcharakters ab. Der mutmaßliche Sympathieträger Polystom entpuppt sich als eine von Neurosen geplagte Seele, für die der Leser bestenfalls noch Bedauern empfinden kann. Ein selbsternannter Poet, der sich einer Lächerlichkeit preisgibt, wodurch ihm jegliche Art von Respekt und Sympathie versagt bleibt. Polystoms zwanghaftes Bemühen, seine Frau in eine von ihr verhasste Welt zu zwingen,  ist zum Scheitern verurteilt und endet schließlich  in einer Tragödie. Anspielungen und zugleich Kritik an der viktorianisch-puritanischen Gesellschaftsform sind unverkennbar.

Teil Zwei (Kleonikles - Geschichte eines Mordes) schildert die Geschehnisse der letzten Stunden im Leben Kleonikles (Onkel von Polystom). Sein wissenschaftliches Schaffen und seine Genialität stehen in krassen Gegensatz zu seinen absonderlichen sexuellen Neigungen. Kleonikles geringschätzige und erbarmungslose Art, die er seinen Mitmenschen gegenüber an den Tag legt, ist zum Teil schockierend. Nichtahnend, dass es sich um einen Vorboten seines eigenen Todes handeln könnte, beobachtet er an diesem Tag einen Himmelswal, der dem Mond ungewöhnlich nahe kommt und schließlich auf der Oberfläche strandet. Kleonikles, der diese Tiere schon über Jahrzehnte studiert, sieht die einmalige Gelegenheit gekommen, zum ersten Mal seine Forschungen direkt am Objekt zu betreiben. Dieses Vorhaben wird er jedoch nicht mehr in die Tat umsetzen können, sein Schicksal ist beschlossene Sache.

Teil Drei (Die Schlammwelt - Eine Gespenstergeschichte) ist die wohl eindringlichste Erzählung. Erschreckend, wie authentisch es Roberts gelingt, die Schrecken des Krieges in Worte zu fassen. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, er hätte in diesem Teil des Romans persönliche Erlebnisse des 1. Weltkriegs verarbeitet. Ähnlich den Protagonisten in Remarques ";Im Westen nichts Neues"; ergeht es Polystom, dessen anfänglich naive Euphorie sich sehr schnell in der brutalen Realität verliert. Sein Leben reduziert sich mit einem mal auf Schnappschüsse, die nur noch ein sinnloses Sterben und Leiden wiederspiegeln.  Das schmutzige Sterben in den Schützengräben ist die Realität. Die Hoffnung auf Ruhm und Ehre bleiben naives Wunschdenken eines irregeleiteten Träumers. Polystom selbst bringt es an dieser Stelle des Romans irgendwann selbst am besten zum Ausdruck, indem er sagt: ";Was für ein Scheiß. Ich bin ein richtiger Blödmann."; Als er mit letzter Kraft über die Leichenberge des Schlachtfeldes taumelt, offenbart sich ihm eine Wahrheit, die ihn an seinem Verstand zweifeln lässt.

Mut zum Risiko

Jede dieser drei Erzählungen ist schon für sich genommen das Resultat einer von hoher Erzählkunst geprägten Einzelarbeit. Zusammen ergeben sie ein Werk von solch einer erzählerischen Kraft, wie man es nur sehr selten zu lesen bekommt. Dabei lassen die ersten Seiten des Romans etwas ganz anderes vermuten.

";Eines Morgens bestieg Polystom seinen Doppeldecker, da er beschlossen hatte, zum Mond zu fliegen."; So die erste Zeile des Romans. Anschließend erfährt man, dass Polystoms Onkel Kleonikles - seines Zeichens ein angesehener Wissenschaftler - auf dem Mond in einem Herrenhaus residiert. Nun denn, Polystom benötigt kein Raumschiff (die gibt es nämlich nicht), um den Mond zu erreichen. Ein Ersatzpropeller und ein dickes Lunchpaket sind alles, was er während seines Fluges zum Mond benötigt. In diesem, um es vorsichtig zu formulieren, etwas naiven Erzählstil geht es dann eine Weile weiter. Keine rosigen Aussichten auf ein anspruchsvolles Lesevergnügen befürchtet man da zu recht. Es kommt einem spontan ";Peterchens Mondfahrt"; in den Sinn. Aber es kommt ganz anders. Es dauert nicht sehr lange und man spürt die erzählerische Kraft, die in diesem Roman steckt. Eine Wirkungsstärke, der man sich kaum noch entziehen kann. Ein erstes Indiz also dafür, dass der Autor gewisse Eigenarten gleich zu Beginn der Erzählung erkennen lässt. Das birgt ein gewisses Risiko in sich, da es durchaus passieren kann, dass der ungeduldige Leser schon nach den ersten Seiten den Roman mit einem Kopfschütteln wieder zur Seite legen könnte. Um es kurz zu machen: Tun sie das nicht, denn sonst werden sie vielleicht nie erfahren, was für ein großartiger Roman ihnen entgangen ist. Adam Roberts beweist Mut zum Risiko, indem er so ziemlich alles auf den Kopf stellt, was den grundlegenden Strukturen des  Science Fiction-Genres ansonsten entspricht. Anders ausgedrückt, einige ungeschriebene Gesetze innerhalb der Science Fiction, die eine gewisse Ordnung bzw. Logik garantieren, ignoriert er bewusst. Das Geniale dabei ist, dass er zu keiner Zeit (abgesehen vom Anfang) den Eindruck erweckt, er wolle mit einer Parodie aufwarten oder gar in Douglas Adams´ Fußstapfen treten. Adam Roberts hat seinen ganz eigenen Stil und der ist schlichtweg genial.

Zwei Hauptcharaktere genügen, um die Story voranzutreiben: Polystom und Kleonikles. Alle anderen Protagonisten spielen eine eher untergeordnete Rolle, sind aber deshalb nicht minder glaubwürdig. Nach einem Sympathieträger wird der Leser vergeblich Ausschau halten. Polystom ist der klassische Antiheld, jedoch ohne Ambitionen auf die Gunst des Lesers. Ein Gefühl irgendwo zwischen Bedauern und Verachtung ist alles, was man für ihn empfinden kann. Am Ende, wenn sich die Ereignisse überschlagen und ein schwindelerregendes Bombardement aus Halbwahrheiten über den Leser hereinbricht, wird er sich auf die Seite Polystoms schlagen, hoffend, dass dieser die richtigen Entscheidungen trifft. Das Verwirrspiel erreicht schließlich seinen Höhepunkt und die Grenze zwischen Sein und Schein wird fließend, ist nicht mehr zu erkennen. Was bleibt, ist die Frage: erkennt Polystom die ganze Wahrheit oder verliert er einfach nur seinen Verstand?

Fazit

Man sollte nicht mit bestimmten Erwartungen an diesen Roman herangehen. Bei ";Sternensturm"; muss der Leser in anderen Kategorien denken, sich voll und ganz auf diese Erzählung einlassen, ohne wenn und aber. Adam Roberts erfindet das Rad sicher nicht neu, aber er bereichert die Science Fiction mit frischen, unverbrauchten Ideen. Ich persönlich zähle mich jetzt schon zu seiner Fangemeinde, die sicherlich im Laufe der Zeit einen großen Zulauf erfahren wird.

Sternensturm

Adam Roberts, Heyne

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