Vellum

  • Shayol
  • Erschienen: Januar 2007
  • 1
Vellum
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Carsten Kuhr
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2007

Vorschusslorbeeren für einen verwirrenden Roman?

Um was geht es in diesem umfangreichen, mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Roman? Eine einfache Frage, die aber diesmal gar nicht so einfach zu beantworten ist. »Vellum«, das ist Pergament aus dem Haupt ungeborener Kälber. Das »Vellum« ist aber auch eine Welt, jenseits der Welt, oder danach, dahinter, innen, aussen, eine Welt, oder vielleicht einer der sieben Himmel?

Engel vor dem letzten Kampf in Raum und Zeit

Im Vellum lernt man, dass Dinge bleiben, was sie sind, je mehr sie sich verändern ...zumindest unter der Oberfläche - so der Autor. Jede Veränderung ist eine Illusion, die Zeit und Raum hinter sich lässt. Die Unkin, früher einmal Menschen, die durch die Sprache des Cant die Wirklichkeit verändern können, die Bewohner des Vellum, sind auf dem Kriegspfad. Sie, die die Menschen Engel nennen oder Dämonen oder Götter machen sich bereit zum letzten, entscheidenden Kampf.

Während die gefallenen Unkin im Auftrag von Luzifer die Extremisten zu Selbstmordattentaten anstiften, suchen die Streiter des Einen die vor der ersten Auseinandersetzung geflohenen Unkin in ihren Verstecken heim. Es gilt sich für eine Seite zu entscheiden, Fahnenflucht wird nicht länger toleriert, denn die Welten selbst dienen als Schauplatz des bevorstehenden Kampfes.

Doch eine kleine Gruppe der geflüchteten Unkin widersetzt sich nach wie vor den Rekrutierungsversuchen. Dies ist die Geschichte des Zynikers und Moralisten Seamus Finnan, der schon in den beiden grossen Kriegen die Schrecken der Gewalt kennen und fürchten gelernt hat und sich statt für eine der Kriegsparteien für die Opfer, für die Sterblichen entscheidet. Oder die Story von Phreedom Messenger, die einst als Sumerische Lebensgöttin Inanna bekannt war, und nun mit ihrem Motorrad die Wüste Kaliforniens nach ihrem verschollenen, schwulen Bruder durchsucht und die Geschichte ihrer Häscher.

Alles beginnt damit, dass der jüngste Spross der Carter Dynastie, ehemaliger Transportunternehmer, das seiner Familie anvertraute, aber seit Jahrhunderten verschollene ewige Stundenbuch in einer Bibliothek versteckt findet. In diesem vor Äonen von den vor dem ersten Konflikt fliehenden Unkin mitgenommenen Almanach soll das Wissen und die Pläne Gottes über alle Welten und das Schicksal eines jeden Lebewesens von seiner eigenen Hand niedergelegt sein: Wer immer dieses Buch besitzt, kann die Realität verändern, buchstäblich Gott spielen....

Schlechtes Buch - gutes Buch?

Was ist das für ein Buch, das selbst begeisterte Kritiker als kompliziert bezeichnen? Adjektive wie schwierig, verwirrend, ungeordnet, unzusammenhängend und chaotisch kommen mir in den Kopf. Aber auch Beschreibungen wie faszinierend, packend, ungewohnt, neu, intelligent und interessant.

Der Prolog liest sich noch unauffällig. Ein junger Stundet auf der Suche nach dem Familienerbe findet verborgen in einer alten Universitätsbibliothek ein magisches Buch, das seine Familie seit Generationen hütet. Das kennen wir aus anderen Romanen, das lädt zum gemütlichen Zurücklehnen im Lesesessel ein. Doch statt auf ausgetretenen Pfaden entführt uns der Autor dann in einer Tour de Force, in neue Regionen, die nie zuvor eines Menschen Auge erkundet hat.

Wenn man gewohnt ist, einen Protagonisten in seiner Queste zu begleiten, wird man gleich im ersten Kapitel verwirrt. Nicht weniger als sieben Handlungsträger in mehreren Inkarnationen und durch unterschiedliche Schrifttypen auch optisch voneinander abgesetzt erwarten den Rezipienten. Der Plot springt wild von einem Setting zum nächsten, wechselt Handelnde und Stil ebenso abrupt und schnell wie Zeiten, hüpft von einer Figur und Daseinsebene zur anderen und wieder zurück.

Magie, griechische und sumerische Mythologie, Schamanenüberlieferungen mixen sich mit Virtual Reality Avataren, Nanotechnologie und Engeln. Das verwirrt, das macht die Lektüre anstrengend und erinnert ansatzweise an Dan Simmons letztlich enttäuschenden Zweiteiler Ilium / Olympus, geht aber doch ganz eigene Wege.

Anstrengende Lektüre

Ständig muss sich der Leser auf neue Realitätsebenen einstellen und muss offen sein für einander durchdringende Realitätsebenen. Dabei variiert Duncan gewohnte Fantasy-Plots mit uralten Mythen und fügt dann wieder Elemente ein, die wie ein erzählter Comic oder die Niederschrift eines Ego-Shooters wirken. Sprachlich verwirrende Passagen wechseln sich mit fast poetisch anmutenden Absätzen ab - mal wird sehr bildhaft erzählt, dann wieder nüchtern, fast spartanisch dokumentiert. Dabei liebt es der Autor mit Versatzstücken und Archetypen zu spielen. Auffallend zum Beispiel, dass viele seiner Protagonisten schwarze Lederklamotten anhaben, ihre Zigaretten mit Zippos anzünden und undurchsichtige Sonnenbrillen auf ihrer Nase tragen.

Den Leser erwarten blitzlichtartig beleuchtete Welten, ein Kaleidoskop von Momentaufnahmen, die sich in ihrer Summe zu einem fassettenreichen, uneinheitlichen, verwirrenden aber eben auch detailreichen und interessanten Ganzen fügen.

Das ist beileibe keine leichte Lektüre, das erfordert Mitarbeit und Konzentration vom Leser. Ich benötigte mehrere Anläufe für dieses erste Buch eines Zweiteilers. Immer wieder brach ich die Lektüre ab, legte das Buch aus der Hand, nur um es dann ein paar Stunden oder einen Tag später wieder aufzunehmen, weil mir das Gebotene einfach keine Ruhe liess. Ich wollte wissen, wie der Autor seine Handlung voranbrachte, wie dieser komplexe, verschachtelte Plot weitergehen würde.

In der kongenialen Übersetzung von Hannes Riffel - eine Sisyphosarbeit ohnegleichen - erwartet den Käufer ein Werk, das anders ist, das man nicht einfach vergnüglich herunterlesen kann, das nicht zur Flucht in eine Welt einlädt, die klar in Gut und Böse unterteilt ist, sondern eine Geschichte, die so chaotisch, wandelbar und absonderlich ist, wie das Leben selbst, die Abneigung und Widerstand provoziert, die verwirrt aber eben auch bereichert und an die Seiten bannt.

Vellum

Hal Duncan, Shayol

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