Zweimal Pluto und zurück

  • Moewig
  • Erschienen: Januar 1970
  • 1
Zweimal Pluto und zurück
Zweimal Pluto und zurück
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Michael Drewniok
40°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2006

Das Glück ist mit dem manisch Tüchtigen

Mitte des 22. Jahrhunderts hat der Mensch längst begonnen, das Planetensystem zu besiedeln. Roger und Edith Stone haben tatkräftig dabei geholfen, die Mondkolonie aufzubauen. Nun versuchen sie ein bürgerliches Leben, sehnen sich jedoch insgeheim nach Abenteuern, die sie zugunsten ihrer Kinder - vier an der Zahl - aufgegeben haben. Meade, mit ihren 17 Jahren die Älteste, und Lovell, genannt "Buster", der telepathisch begabte Vierjährige, haben das Verlangen nach dem freien Weltall geerbt. Aber vor allem Castor und Pollux, die auf dem Mond als "unheilige Zwillinge" bekannt bzw. berüchtigt sind, haben genug vom alltäglichen Einerlei sowie die lebenslustige Großmutter Hazel auf ihrer Seite.

Irgendwann ist es soweit: Die Stones erwerben ein uraltes Raumschiff, das sie selbst wieder flott machen. Sie nennen es "Rolling Stone" und begeben sich auf eine Kreuzfahrt durch das Sonnensystem. Der Mars soll das erste Ziel sein, doch die Familie hat sich zwischen den Planeten kaum an ihr neues Nomadenleben gewöhnt, als ein Pestschiff SOS funkt. Trotz der Gefahr einer Ansteckung begibt sich Mutter Edith - praktischerweise Ärztin - helfend an Bord des fremden Schiffes.

Die Heilung gelingt, der Mars wird erreicht, aber die Faszination des exotischen Ortes lässt schnell nach: Mars ist zur Touristenfalle verkommen, und die Ureinwohner des Planeten verbitten sich jegliche Belästigung. Die Stones packen deshalb zusammen, ignorieren die düstere Venus und machen sich auf in den Asteroidengürtel. Dort hat man wertvolle Edelmetalle entdeckt, die kernige Goldgräber-Naturen anlocken. Das Gesetz ist eher beiläufig vertreten, was den Stones sehr behagt: Um Ceres und die anderen Groß-Asteroiden herum geht es wie erhofft abenteuerlich zu, was weitere, nicht selten gefährliche Ereignisse heraufbeschwört ...

Wahre (US-) Helden wollen es unbequem

Obwohl sie noch gar nicht begonnen hat, besitzt sie eine ausnehmend kurze Halbwertszeit: Gemeint ist die Zukunft, wie sie sich Science-Fiction-Autoren (und Futurologen) vorstellen. Hinterher ist natürlich jede/r schlauer. Irrtümer und Fehlschlüsse verzeiht man gern, wenn sie Teil einer spannenden Geschichte oder so obskur geraten sind, dass ihnen selbst ein Unterhaltungswert innewohnt. Je weiter entsprechende Prognosen zurückliegen, desto deutlicher wird, dass sie von zeitgenössischem Denken geprägt wurden. Die Zukunft lässt sich nicht in Bahnen pressen. Wenn man sich Gedanken über das Morgen macht, sollte man es heute tun und damit rechnen, dass man trotzdem überrascht wird.

Zweimal Pluto und zurück entstand 1952. Das Zweite Weltkrieg war dank der USA gewonnen worden, während der Kalte Krieg sich gerade erst abzuzeichnen begann. Die Zukunft sah rosig aus, wie sich u. a. an den Automobilen erkennen ließ, die in Detroit entstanden: Sie wurden immer größer, erinnerten an Düsenflugzeuge und schließlich an Raumschiffe, während der Benzinverbrauch absolut nebensächlich blieb. Noch kreiste der sowjetrote Sputnik nicht drohend über der Erde. Der Wettlauf ins Weltall wurde schon angedacht, aber US-Amerika rechnete mit einem Alleingang zum Mond und dann rasch weiter zu den nächsten Planeten.

Während die Gedanken einerseits weit vorauseilten, blieben sie andererseits sehr gegenwärtig. Robert A. Heinleins Zukunftswelt ist aus heutiger Sicht penetrant US-geprägt. Faktisch hat er die "frontier", jene flüchtige Grenze, die im 19. Jahrhundert die Eroberung der USA von der Ostküste in Richtung Südwesten markierte, in den Weltraum verlagert. Die Entwicklung wiederholt sich: Zunächst kommen die Pioniere, dann folgt das Gesetz. Schließlich kehrt die Zivilisation ein. Sie hat inzwischen die ehemalige Mond-Kolonie erreicht, die für die abenteuerlustigen Stones deshalb ihren rauen Charme verloren hat.

Alte Werte = gute Werte

Zweimal Pluto und zurück gehört zu einer Reihe von Romanen, die Heinlein in den 1950er Jahren speziell "für die Jugend" schrieb. Man muss dies in Anführungsstriche setzen, denn die Auffassung davon, wie mit der Jugend umzugehen ist, hat sich seit 1952 eindeutig verändert. Heinlein war stets Vertreter eines Lebensstils, der handfeste Tatmenschen über gesichtslose Systeme stellt. Hilf dir selbst, dann muss es der Staat nicht tun, der sich um andere Dinge kümmern kann - und denke stets daran: Es gibt in diesem Leben nichts umsonst: "There Ain't no Such Thing as a Free Lunch!"

Folgerichtig ist für Heinlein das Glück mit dem Tüchtigen; eine Lehre, die er seinen jungen Lesern nicht nur ans Herz legt, sondern mit einer harpunengroßen Nadel einzuimpfen versucht. Vor allem die Zwillinge Castor und Pollux sind Anhänger eines reinen Profitdenkens, das den Tatbestand der rücksichtslosen Gier erfüllt und nur durch eine noch stärkere Präsenz gezügelt werden kann: Mister Rose - stets steht der Titel vor seinem Namen - ist uneingeschränktes Oberhaupt der Stone-Familie.

Etwaige sozialliberale Züge, die Heinlein-Befürworter gern in die Werke ihres Meisters hineininterpretieren, erweisen sich als reine Augenwischerei. Zwar wird mehrfach die Gleichheit von Mann und Frau angesprochen. Gleichzeitige Beziehungen auf mehreren Planeten sind beiden Geschlechtern gestattet, doch Hazel Stone hält als Vertreterin traditioneller Werte nichts davon. Tochter Meade ist schon 17 und weiterhin unbemannt; an einen Wechsel dieses Zustands ist nur durch Heirat zu denken. Immerhin dürfte Meade ihre Gattenwahl selbst treffen.

Somit herrscht in Heinleins Welt der Mann. Die Freiheit der Frau durch ihn definiert, und die Frau fügt sich, denn ER ist weise und gütig. Dank weiblicher List (in Gestalt scheinbarer Nachgiebigkeit) erreicht SIE dennoch ihre Ziele; eine scheinheilige Sicht, die sich heute beim besten Willen nicht mehr ignorieren lässt: Dr. Edith Stone ist eine fähige Ärztin, doch an Bord der "Rolling Stone" nimmt sie völlig selbstverständlich die Stellung der Köchin ein. Ansonsten ist sie Mutter und stabilisiert den Familienfrieden.

"Go West, young man!"

Romane für jugendliche Leser vereinfachen die komplexe Realität. Die Geschichte konzentriert sich auf Aspekte, die das Publikum beschäftigen - oder beschäftigen sollen, denn nie konnte die Jugendliteratur sich der Pädagogik entziehen: Wenn sich Leser unterhalten lassen, kann man sie doch gleichzeitig belehren - und formen! Das Zielpublikum lernt schnell, sich solchen Zwängen zu entziehen. 1952 wurden Didaktik und Methodik mit der ganz groben Kelle ausgeteilt oder Kinder vorsichtshalber wie Zirkuspferde dressiert.

Leben heißt lernen - eine Weisheit, die ebenso wahr wie missbraucht worden ist. Castor und Pollux sind 15 Jahre jung. Wenn sie nicht gerade grübeln, wie sie möglichst profitabel Schrott verhökern können, stecken sie ihre Nasen in Lehrbücher. Der väterliche Hinweis auf die Notwendigkeit von Wissen genügt völlig: Castor und Pollux versinken selig viele Stunden täglich in den Wunderwelten der Mathematik und Physik. Hat sich davon einst tatsächlich jemand anstecken bzw. an der Nase herumführen lassen?

Ohnehin gilt Heinleins Liebe primär den Naturwissenschaften. Wer mit dem Rechenschieber - der in dieser Welt den Computer ersetzt - umgehen kann, ist für die Herausforderungen des Lebens gerüstet. Den Rest regelt der kluge Menschenverstand. Er hat sich schließlich überall im Weltall durchgesetzt. Deshalb sieht es auf dem Mars oder zwischen den Asteroiden aus wie in einer klassischen Wild-West-Stadt. Geregelt wird, was nötig ist. Ansonsten regiert der freie, individuelle Wille (notfalls ergänzt durch die Faust), der hier freilich recht spießbürgerlich definiert wird. Politik, Gesetz, Moral: Darum kümmern sich nebenbei Handwerker, Kleinhändler, Arbeiter, kurz: Männer, die mit den Händen und weniger mit dem Kopf arbeiten. Sie bilden die Schule des Lebens. Für den Rest sorgt - nach sokratischem Vorbild - Mr. Stone.

Der Versuch von Ironie

Er stellt den Mittler zwischen Hirn und Hand dar, wenn man ein altes Bild verwenden möchte. Mr. Stone ist ein Ingenieur, der nun seine Familie als Schriftsteller ernährt. Natürlich schreibt er Science Fiction, was Heinlein für Seitenhiebe auf das Genre nutzt, die damals womöglich witzig waren. In diesem 22. Jahrhundert hat sich die SF überhaupt nicht entwickelt. Noch immer dominiert jener "Pulp"-Trash, wie er in den 1930er Jahren seine große Zeit hatte: Überlebensgroße Heldengestalten prügeln sich mit Weltraumpiraten oder glotzäugigen Monstern, die es auf Erdenfrauen abgesehen haben. Heinlein treibt seinen Spott auf die Spitze, wenn er schließlich Hazel Stone die Fortsetzungen schreiben lässt, wobei ihr Enkel Buster zur Hand geht. Seht und erkennt den Unterschied zwischen dem Schund, von dem ihr besser die Finger lasst, und meiner sorgfältig faktenrecherchierten SF, die euch hilft, nützliche Bürger der Zukunft zu werden! Wollte Heinlein nicht nur witzig sein, sondern auch diesen Gedanken pflanzen?

Dabei könnte Zweimal Pluto und zurück Humor gut gebrauchen. Die Story mäandriert wie die "Rolling Stone" ziellos voran. Episode reiht sich an Episode, der verbindende Faden bleibt dünn. Es wird mehr geredet als gehandelt, wobei ein oberflächlicher, hektischer Ton und der hoch erhobene Zeigefinger vorherrschen. Die angeblich so genialen Zwillinge reden in der Regel Unfug. Der strenge Vater schneidet ihnen ohnehin das Wort ab, um dann eine Entscheidung zu treffen, die brav befolgt wird, zumal sich schnell herausstellt, dass Vater immer Recht hat.

Im Finale scheint es endlich einmal ernst zu werden mit den allgegenwärtigen Gefahren, vor denen Mr. Stone so gern warnt. Doch um die jugendlichen Leser emotional nicht zu überlasten, geht selbstverständlich alles gut aus. Wenn jemand stirbt, dann stets an anderer Stelle. Dann setzen die Erwachsenen Leichenbittermienen auf und flüstern miteinander, während die Kinder auf ihre Zimmer geschickt werden. Wie sich dies mit Heinleins Prinzip der praxisorientierten Rund-um-die-Uhr-Erziehung-fürs-Leben vereinbaren lässt, bleibt ohne Antwort.

Was bleibt außer Nostalgie?

Wenn dieser Roman in den USA noch heute in Ehren gehalten wird, sagt dies viel aus über das Land und seine Leute: Weiterhin gibt es viele Heinleins. Der kritische Leser ärgert sich nicht nur über die Figurenzeichnung, sondern auch über eine Weltsicht, die unverhohlen und unter konsequenter Igoranz negativer Folgen nicht die Erforschung, sondern die Eroberung des Alls verherrlicht. Umweltverschmutzung? Zerstörung fremder Ökosysteme? Profit-Kriege? Gibt es nicht. Immerhin lernte Heinlein dazu: 1966 erzählte er in "The Moon Is a Harsh Mistress" (dt. Revolte auf Luna/Der Mond ist eine herbe Geliebte/Mondspuren) die Vorgeschichte der Mondkolonie und entwarf ein wesentlich komplexeres, "erwachsenes" Weltbild.

Wenn überhaupt etwas positiv im Gedächtnis bleibt, so ist es die "Flachkatze", ein sockenähnliches Marstier, das in Aussehen und Verhalten stark an die Tribbles der "Star-Trek"-Serie erinnert, die womöglich durch Heinleins Buch inspiriert wurde. (Heinlein selbst erhob keine Ansprüche, weil er selbst auf eine frühere Vorlage zurückgriff.) Ansonsten ist es natürlich amüsant zu lesen, dass Raumfahrzeuge wie Raum-Schiffe (oder U-Boote) gesteuert werden, wofür man Kurse auf Papier und mit Bleistift errechnet.

Nicht auf Heinleins Mist gewachsen ist übrigens der doppelt schwachsinnige, erst im 21. Jahrhundert ersonnene deutsche Titel: Die Stones reisen nicht zum Pluto - schon gar nicht zweimal. Frühere deutsche Ausgaben trugen den Titel Die Tramps von Luna, der dem Geschehen deutlich mehr entspricht. Vermutlich ist der Ausdruck "Tramps" heute politisch nicht mehr korrekt und musste deshalb weichen. (Immerhin heißt das Raumschiff jetzt wieder "Rolling Stone" und nicht mehr "Moostöter".)

Zweimal Pluto und zurück

Robert A. Heinlein, Moewig

Zweimal Pluto und zurück

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