Tristopolis

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2007
  • 3
Tristopolis
Tristopolis
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2007

Science-Fiction-Horror-Thriller-Roman der angenehm morbiden Art

Im 7. Jahrtausend gleichen die großen Städte der Erde gewaltigen Friedhöfen mit bewohnbaren Mausoleen. Die Ähnlichkeit kommt nicht von ungefähr; sie basiert auf der einzigartigen Methode, die diese Gesellschaft zur Erzeugung ihrer Energie anwendet: "Nekroflux" heißt sie, und ihre Quelle sind die Knochen der Verstorbenen. Sie enthalten in ihren Zellen elementare Erinnerungssplitter an das vergangene Leben, die sich in gewaltigen Meilern 'auskochen' und in Energie verwandeln lassen.

Dabei gibt es einen Aspekt, der den Bürgern sorgfältig verschwiegen wird: Die 'Erinnerung' derer, denen diese Knochen einst Halt & Stütze waren, lässt sich 'destillieren' und schenkt denjenigen, die wissen, wie das funktioniert, drogenähnliche Rauschzustände. Am besten geeignet sind die Gebeine künstlerisch aktiver Menschen. Solche Knochen sind begehrt aber selten. Eine international agierende Verbrecherbande ist auf den Gedanken gekommen, zuverlässig für 'Nachschub' zu sorgen, indem sie lebendige Genies umbringen und ihre Leichen bzw. Knochen rauben lässt.

Zwölf Opfer wurden bisher gezählt. Nummer 13 könnte die Operndiva Maria daLivnova werden, die ein Gastspiel in der Metropole Tristopolis geben wird. Zu ihrem Schutz kommandiert die Polizei Lieutenant Donal Riordan ab. Er kann den Mord an der Sängerin indes nicht verhindern - ausgerechnet der mächtige Direktor der städtischen Energiebehörde gehört zu einer Verschwörergruppe, die der "Schwarze Zirkel" genannt wird.

Riordan wird von einer Sonderermittlungsbehörde der Bundespolizei rekrutiert. Er soll gemeinsam mit Commander Laura Steele und ihrer Truppe dem "Zirkel" das Handwerk legen. Sie legen sich mit Gegnern an, die ebenso einfallsreich wie skrupellos versuchen, sie zu täuschen, durch Intrigen zu Fall zu bringen oder durch Mord auszuschalten ...

Ein besserer Roman als uns weisgemacht werden soll

Wieder einmal dürfen wir Zeugen werden, wie das Genre Science Fiction einen Quantensprung erfährt - dies versucht uns zumindest die Werbung vorzugaukeln. "John Meaney hat das Genre neu definiert. Alles ist jetzt anders", wird Stephen Baxter 'zitiert', dessen Name grundsätzlich einen gewissen Klang hat. Hier muss man freilich an Baxter zweifeln bzw. sich die Frage stellen, wie viel man ihm für diese Aussage gezahlt hat.

Denn "Tristopolis"  ist sicherlich kein Meilenstein in der Geschichte der SF, sondern 'nur' ein richtig spannender Roman mit entsprechender Handlung in einer geschickt konstruierten Kulisse. Das scheint den Werbe-Schreihälsen als Anreiz für Leser = Käufer nicht ausreichend zu sein, weshalb wieder einmal die Werbetrommeln gerührt werden, bis die Trommelfelle der Umworbenen zu platzen drohen bzw. sie so betäubt sind, dass sie sich wie gewünscht von ihrem Geld trennen.

Solche Manipulation ist schändlich und unnötig, denn "Tristopolis" kann gut für sich selbst stehen. Autor Meaney serviert zwar wie gesagt alten Wein in neuen Schläuchen, doch 99 von 100 Romanen bedienen sich (nicht nur in der SF) der Variation des längst Bekannten.

Meaney geht von der Prämisse aus, dass die zukünftige Gegenwart untrennbar mit der Vergangenheit verknüpft ist. Vergangenheit bedeutet hier primär: mit dem Tod, der keineswegs das Ende bedeutet, sondern die Menschen dazu verpflichtet, für ein angenehmes Leben zu bezahlen. Die Energie für das alltägliche Leben wird aus Menschenknochen gewonnen. Die Gesellschaft kann und will nicht darauf verzichten, und obwohl der Normalbürger lieber nicht genau wissen möchte, wie das Verfahren funktioniert, ist der Tod allgegenwärtig nicht nur im Alltag, sondern auch in der Kultur geworden - kein Wunder also, dass die Städte, die auf endlosen Katakomben gründen, auch oberirdisch gewaltigen Friedhöfen gleichen.

Leben und Tod werden noch enger miteinander verknüpft, weil die Menschen nicht die einzigen intelligente Lebensform dieser Erde darstellen. Neben ihnen existieren Ghule, Dämonen, Geister und andere (Un-) Wesen, die auf 'unserer' Erde fiktiv und ins Reich der Sagen verbannt sind. Unter den Menschen befinden sich Hexen und Zauberer. Besessenheit ist kein Fluch, sondern das Natürlichste von der Welt, da Geister Maschinen und Steuergeräte 'beseelen' und damit die Computertechnik weitgehend ersetzt haben. (Nebenbei: Die Geschichte spielt im siebten Jahrtausend, was wenig überzeugend wirkt, da die Menschen weiterhin Autos, Flugzeuge und andere Objekte eines sehr gegenwärtig wirkenden Alltags benutzen, selbst wenn diese im wahrsten Sinn der Worte 'wie von Geisterhand' bewegt werden. Nekroflux scheint für die Entwicklung der Zivilisation gewissermaßen tödlich zu sein ...)

Die Zukunft wird (wieder einmal) 'gotisch'

Tristopolis wird als Schauplatz für das Geschehen eindrucksvoll geschildert. Dass diese gleichermaßen prächtig wie kalt und unwirtlich beschriebene Megalopolis diversen Vorlagen 'entliehen' wurde, soll nicht als Vorwurf an den Verfasser gemeint sein. Das dumpf dröhnende Baxter-Lob noch im Ohr, möchte Ihr Rezensent mögliche Inspirationen zumindest erwähnen. Wer die "Städte"-Fantasien des François Schuiten oder die "Terminal City"-Comics von Michael Lark gesehen hat, wird vieles von dem wieder erkennen, das Tristopolis ausmacht. Der Filmfreund wird sich an Metropolis oder Gotham City oder die Metropole aus "Blade Runner" erinnert fühlen.

Die Story selbst ist spannend und wird gut entwickelt. Originell ist sie allerdings nicht. Gothic ersetzt bzw. ergänzt Cyberpunk und wird durch konventionelle Horror-, SF- und Thriller-Elemente abgepuffert. Erneut überzeugt vor allem das Geschick, mit dem der Verfasser als Geschichtenerzähler agiert und die diversen Bestandteile kombiniert.

Manches ändert sich offenbar nie ...

Da haben wir ihn zum Beispiel wieder einmal - den privat einsamen & beruflich unbestechlichen Cop, der seinen Weg geht, um der Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen, auch wenn sein Leben darüber in die Brüche oder gar zu Ende zu gehen droht. Donal Riordan ist - dem Klischee entsprechend - nur leidlich gut angesehen bei seinen Vorgesetzten, weil er mit dem Fluch des selbstständigen Denkens und Handels geschlagen wurde. Das System, in dem er lebt, sieht er kritisch, aber er verteidigt es, weil das sein Job ist. Den Ausbruch wagt Riordan erst, als im keine Alternative mehr bleibt, und begründen kann er ihn, weil er auf einer anderen Ebene seinen Idealen folgen kann.

Wie einst Jimmy "Popeye" Doyle (im Kino großartig verkörpert von Gene Hackmann in "French Connection") wird Riordan renitent, als man ihn verrät und besagte Ideale verhöhnt. Er muss durch die Hölle gehen, aus der er geläutert und voll des ebenso rechtschaffenen wie rachsüchtigen Zorns auf den "Schwarzen Zirkel" hervorgeht.

Der gibt sich elitär und wichtig, aber im Grunde geht es ihm nur um die Befriedigung selbstsüchtiger Bedürfnisse, wozu berufliche und gesellschaftliche Privilegien korruptiv missbraucht werden: die Mitglieder des "Zirkels" wollen 'high' werden und beschaffen sich ihren 'Stoff' - ein SF-Motiv ist das kaum, sondern höchstens eine Bestätigung der Vermutung, dass sich die menschliche Begierden der Zukunft zwar formal ändern können aber grundsätzlich bestehen bleiben.

Bei näherer Betrachtung knirscht es auch ohne die Umtriebe des "Zirkels" tüchtig im Getriebe dieser Metropole. Die nichtmenschlichen Bewohner von Tristopolis gelten als 'Bürger' zweiter Klasse. Es gibt sogar eine politische Partei, die ihnen die Bürgerrechte gänzlich streichen will; aus intelligenten Wesen mit durchaus eigenen Willen würden Sklaven, die nach Belieben ausgenutzt werden dürften - eine Drohung, die für weitere dramatische Verwicklungen sorgt.

Selbstverständlich gibt's auch eine Liebesgeschichte, die - noch selbstverständlicher - voller Hindernissen steckt, die hier primär darauf basieren, dass Riordans Herzensdame Steele ein Zombie ist und die Gesellschaft von Tristopolis Beziehungen zwischen Lebenden und Toten fast ebenso ungern wie auf 'unserer' Erde toleriert. Den nekrophilen Aspekt dieser Beziehung behandelt Meaney sehr diskret, wobei hilfreich ist, dass die Zombies der Zukunft weder so grässlich anzuschauen sind noch sich so unfreundlich benehmen wie ihre romeroischen Vorfahren.

Der Purist könnte "Tristopolis" durchaus berechtigt als modisch gestylte und sich an den Leser anbiedernde, dabei jedoch keine neue Wege wagende Science Fiction verdammen. Den 'durchschnittlichen' Leser wird das kaum interessieren. Er erlebt ein gut geplottetes und geschriebenes SF-Abenteuer mit einer sympathischen Hauptfigur und vielen schrägen Nebendarstellern. Meaney hat sich große Mühe gegeben, seine Totenwelt lebendig und mit vielen einfallsreichen und witzigen Details zu gestalten. Sich darauf einzulassen macht Spaß und lässt - wenn schon nicht vergessen, so doch verzeihen -, dass quasi jedes Element von "Tristopolis" eine Kompilation von 'Leihgaben' ist, die ihre Funktionalität bereits unter Beweis gestellt haben.

Damit schließt sich der Kreis und bildet ein Lesevergnügen, das 500 Seiten anhält - und sei es nur, weil uns bei der Lektüre stützt, was wir kennen. Wiedersehen macht halt Freude - und dieses Sprichwort mag auch als Antwort auf die Frage dienen, ob Autor Meaney eine Rückkehr in die "Tristopolis"-Welt plant ...

Tristopolis

John Meaney, Heyne

Tristopolis

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