Die sieben Sonnen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1960
  • 3
Die sieben Sonnen
Die sieben Sonnen
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Thomas Nussbaumer
88°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2007

Die Stadt und das Universum

Millionen Jahre in der Zukunft ist Diaspar der letzte Hort der Menschen. Ein sanfter Schleier des Vergessens hat sich über die hermetische Stadt in der Wüste und über die Geschichte ihrer Bewohner gesenkt. Nur noch düstere Mythen sind selbst den Bürgern die Erinnerungen an einen Krieg, bei dem fremde Invasoren die Herrschaft über das Imperium erlangten. Zuletzt konnte nur die beherzte Verteidigung des Heimatplaneten Erde die Vernichtung der menschlichen Rasse verhindern. Ein mit den Invasoren geschlossener Pakt besiegelte, dass Diaspar als eine Art hochtechnologisierter Zoo, als ein Gefängnis der Freiheit, weiterbestehen dürfe, während die Invasoren den Rest des Universums für sich beanspruchten.

Die Vorgeschichte zu "Die Stadt und die Sterne" liest sich beinahe wie die Zusammenfassung einer mehrbändigen Space-Opera. Visionärer mutet da die Beschreibung dieses städtebaulichen Wunderwerks an. Diaspars Ingenieuren war tatsächlich nichts zu schwör, haben diese doch mit ausgereifter Technologie realisiert, dass alles für immer so bewahrt bleibt wie es die Pläne festlegen. Und so wie die Stadt ihre Substanz mit Hilfe von Gedächtnisanlagen bis ins letzte Atom immer wieder erneuert, haben auch die Menschen Unsterblichkeit erlangt. Der Tod hat keine Macht mehr über die Lebenden und wenn einer doch mal aus freien Stücken beschließen sollte die Welt zu verlassen, so muss er nichts weiter tun als in die Halle der Schöpfung einzutreten, wo man seine Existenz für ein paar Jahrtausende ´auf Eis´ legt. Es ist möglich, mehrfach wiedergeboren zu werden und die Erinnerungen und Erfahrungen aus den früheren Leben gehen dank der Gedächtnisanlagen nie verloren. Zerstreuung finden die Städter in sogenannten Abenteuern, virtuellen Episoden, der Historie entsprungen oder komplett erfunden, die auf Wunsch jederzeit nacherlebt werden können. Ein Leben ohne Zwänge, aber auch ohne Herausforderungen, so scheint es. Doch Wandel ist unerwünscht, zu tief sitzt den Bürgern noch die Angst in den Knochen vor den fremden Invasoren und vor dem feindseligen Universum außerhalb der Stadtmauern.

Dennoch gab und gibt es in der Geschichte Diaspars immer wieder Menschen, die den Alltag durch ihr anarchistisches Verhalten durcheinanderwirbeln. Der junge Alvin ist ein Erstgeborener, einer, der über keine Vorleben verfügt. Eine Laune des Systems oder bewusste Anweisung der urzeitlichen Ingenieure? Alvin ist derweilen fasziniert von der Idee, die Stadt zu verlassen, was jedem anderen Städter ein Albtraum bedeuten müsste.

Clarkes visionären Welten

Arthur C. Clarke ist mit "Die Stadt und die Sterne" ein einzigartiges Stück Zukunftsliteratur gelungen. Wenn man bedenkt, dass es 1956 erstmals veröffentlicht wurde, muss man geradezu von einem visionären Buch sprechen. Clarke war ja nicht nur Unterhaltungsschriftsteller, sondern verfasste auch zahlreiche populärwissenschaftliche Essays. Diese fachliche Kompetenz spürt man in seinen Büchern, auch wenn er nicht zu jenen Autoren gehört, die sich an technologischen Details weiden oder den Leser seitenlang damit langweilen. Der Autor starb 2008 als über Neunzigjähriger und er durfte noch zu Lebzeiten erfahren, wie ihn einige seiner Fantastereien als gemachte Realität einholten. Beispielsweise all die Satelliten im Erdorbit, die heute als ´Clarke Belt´ auf ihn verweisen. Und es scheint naheliegend, dass weitere seiner Versprechen in näherer oder fernerer Zeit noch eingelöst werden.

In "Die Stadt und die Sterne" geht es um das Modell eines vernetzten Supercomputers, der mithilfe von Rechenpower und Virtualität stoffliche Wirklichkeit erschafft. Clarkes Szenario erstaunt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass gerade mal zehn Jahre zuvor die ersten noch absolut primitiven Computermodelle gebaut worden waren! Die Technologie ist aber wie gesagt nur Grundgerüst für die Geschichte; die erste Hälfte des Buches ist eine echte Utopie und zeigt wie das Leben in Diaspar dank perfekter Illusion und Täuschung seit Jahrtausenden funktioniert. Neugier und Forscherdrang der Menschen wurden genetisch soweit abgeschwächt, dass das irdische Gefängnis eben nicht als einengend, sondern als notwendiger Schutz gegen äußere Einflüsse wahrgenommen wird. Gesellschaftliche Reibung entsteht in seltenen Fällen, wenn Abweichungen von der Normalität auftreten. Dazu haben die Konstrukteure Diaspars offenbar bewusst Fehler eingebaut, indem die Stadt immer wieder subversive Elemente auftreten lässt (wie Alvin oder die ´Spaßmacher´, ein offizielles Amt, das dem Zweck dient, die Bevölkerung emotional ein wenig aufzurütteln) und die letztlich kleinere oder größere Änderungen in der Matrix Diaspars bewirken. Dass ein derart starres System trotz dieser Erfrischungskuren auf Dauer nicht funktionieren kann, ist allerdings voraussehbar. Denn die Zeitumstände sind es, die die Rahmenbedingungen jeder Gesellschaft stets neu definieren. Und in Diaspar steht eine Zeitwende bevor. Alvins Drang, die Stadt zu verlassen, führt letztlich dazu, dass sich letztere nicht mehr länger Einflüssen von außen verschließen kann. Und wie Alvin seinen Lebensraum hinter sich lässt, muss er feststellen, dass in Diaspar keineswegs die letzten Menschen leben.

Weitschweifiges Ende mit einem Deus ex machina

Stellt die erste Hälfte des Romans eine kompakte Geschichte aus Handlungsort und Plot dar, das den Mythos und das Geheimnis einer Stadt zum Thema hat, wird diese Einheit in der zweiten Hälfte aufgebrochen. Es kommen Orte und Figuren außerhalb Diaspars (ja im gesamten Universum) hinzu und der Erzähler rekapituliert Zeiträume von Jahrmillionen und Ereignisse, die dem Leser einen Überblick über die Geschichte des menschlichen Kosmos verschaffen. Der Roman wird dann zur Entdeckungsfahrt durch das unerforschliche Universum; aus der Utopie wird ein futuristisches Märchen. Nur leider verliert die Story dabei auch viel von ihrer mysteriösen Spannung und wird fast schon ein etwas beliebiges Space-Abenteuer. Auf den Spuren der Menschen und anderer intelligenzbegabter Rassen gelangt Alvin ins Zentrum des Universums, wo seine Vorfahren einen Ring künstlicher Welten zurückließen. Allerdings ist jede intelligente Lebensform daraus verschwunden und zurückgeblieben sind lediglich Trümmerwelten und Ruinen, die mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Zuletzt erscheint ein Deus ex machina, der dann doch viel guten Leserglauben voraussetzt. Oder vielleicht müsste man einfach ein bisschen Flair für das Esoterische zeigen, um sich mit diesem ´reinen Geist des Universums´ arrangieren zu können, den Clarke hier beschwört. Dennoch bleibt das Buch mit gut 300 Seiten durchwegs knackig, so dass man der Geschichte gerne das numinos verwässerte Ende verzeiht. Die Protagonisten sind keine ausgefeilten Persönlichkeiten mit Profil oder gar mit einem eigenen Willen, sie gehorchen schlicht der Anlage der Geschichte, so wie die Bewohner Diaspars Teile des Programms oder in der zweiten Hälfte die Akteure Teil einer ganzen Kosmologie sind.

Die Balance des Romans zwischen Verständlichkeit und Anspruch ist ideal umgesetzt; das macht die Geschichte wiederum zum zeitlosen Klassiker. Der Einfluss von "Die Stadt und die Sterne" auf die zeitgenössische Science Fiction und Filme wie "The Matrix" oder "Dark City" ist sicher nicht zu verkennen, auch wenn heute der Roman nicht zu den bekanntesten Clarkes zählt. Er bleibt aber eine verblüffend visionäre Utopie, deren erste hundert Seiten wohl ihresgleichen suchen in der Science Fiction der Fünfzigerjahre - eigentlich noch bis heute.

(Thomas Nussbaumer, Juli 2012)

Die sieben Sonnen

Arthur C. Clarke, Goldmann

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