Hellraiser

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1992
  • 4
Hellraiser
Hellraiser
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2006

Agile Leiche ohne Haut und Gewissen

Die unscheinbare Kirsty liebt den gutmütigen Rory, doch der verehrt nur seine Gattin, die herzlose Julia; diese trauert ihrem Schwager hinterher, dem aufregend-bösem Frank, mit dem sie Rory noch vor der Hochzeit betrog. Wer weiß, was dann geschehen wäre, hätte sich der Schurke nicht aus dem Staub gemacht.

Frank ist freilich gar nicht so weit entfernt von seiner Familie. Seine in Fetzen gerissene Leiche liegt in einer Mauer des großmütterlichen Hauses in der Lodovico Street. Auf einer seiner weiten Reisen entdeckte Frank den Zauberwürfel des Lemarchand, welcher dem, der ihn zu bedienen vermag, den Zugang in eine Welt unbeschreiblicher Lüste öffnet. Dorthin zieht es den verderbten Frank selbstverständlich sehr, doch als er in einer stillen Kammer von Omas Haus besagten Würfel in Gang setzt, finden ihn keine geilen Geister, sondern die dämonischen Zenobiten vom Orden der Wunden, die ihn in ihre Welt ewiger Qualen entführen. Als blutiger Zombie schwebt Frank nun zwischen den Sphären, als ihm wieder einmal unverdient das Glück hold ist.

In das Haus an der Ludovico Street ziehen Rory und Julia Cotton ein. Während der Renovierungsarbeiten verletzt sich der neue Hausherr. Blut sickert durch Ritzen auf die Reste von Franks Leiche. Diese beginnt sich zu regenerieren. Noch ist Frank schwach und abgrundtief hässlich, aber er kann sich Julia erneut unterwerfen. Sie lockt ahnungslose Männer von der Straße in ihr Heim, wo der ghoulische Hausgast schon hungrig auf sie wartet.

Allerdings stellten die Zenobiten inzwischen fest, dass Frank ihrer Folterhölle entkommen ist. Sie unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind, was für alle Bewohner des Hauses gefährlich wird - den Toten wie die Lebenden ...

Sadomaso-Dämonen mit Kultfaktor

In der realen Welt des 21. Jahrhunderts haben die Zenobiten längst ihre mythologische Nische gefunden. Sie wohnen in der Nachbarschaft von Freddy Krueger, Jason Vorhees oder Michael Myers, mit denen sie gewissenhaft zur Nachtschicht ins Filmstudio fahren: Pinhead & Co. gehören zu den viel beschäftigten Serienhelden des modernen Horrorfilms. Acht Teile umfasst der ";Hellraiser"-Zyklus inzwischen, und es ist davon auszugehen, dass sich weitere anschließen werden.

Das Fundament dieser blutigen, von wahren Gorehounds heiß geliebten Schlacht- und Folterplatte bildet Clive Barkers schmale Novelle ";The Hellbound Heart", hierzulande erstmals erst fünf Jahre nach dem ersten Film und erst 2006 in ungekürzter Fassung erschienen, was schade ist, denn Barker fand seither selten zur hier bewiesenen Form zurück.

";The Hellbound Heart" ist noch heute wahrlich alles andere als ein Durchschnitts-Grusler. Das bezieht sich nicht auf die Mord- und Folterszenen; da ist der hartgesottene Fan heute gröber Gehacktes gewöhnt. Nein, es ist Barker gelungen, eine gute Idee originell in eine atmosphärisch außerordentlich stimmungsvolle Geschichte umzusetzen. Der vordergründige Horror wird dabei durch die eindringliche Schilderung verlorener, durch ihre unbewältigten Gefühle ins Unglück stürzender Durchschnittsmenschen ergänzt.

Figuren jenseits von Gut- und Böse-Klischees

Frank Cotton, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte; einerseits ein Dieb, Lügner, Mörder, andererseits ein Mensch auf der konsequenten Suche nach dem, was er sich wirklich ersehnt: Erfahrungen weit jenseits derer, mit denen der ‚gewöhnliche‘ Zeitgenosse sich bescheidet. Frank ist durch und durch unkonventionell, ein Egoist, aber neugierig und ehrlich bemüht, alles über das Laster zu lernen. Außerdem ist er ein Überlebenskünstler. Selbst in der Vorhölle der Zenobiten gibt er nicht auf, sondern wartet auf seine Chance zu entkommen. Als sie sich ergibt, nutzt er sie konsequent. Wer sollte gegen einen solchen Mann ankommen, selbst wenn er nur aus einem blutigen Knochenhaufen besteht?

Bruder Rory ganz sicher nicht. Er ist einer dieser mit dem Leben zufriedenen Menschen, die Frank so verachtet. Seine Julia hat ihn geheiratet, im Job läuft es bestens, viele gute Freunde sind da, mit denen man gemütliche Abende verbringt. Der arme Rory hat keine Chance. Bis es zu spät ist, begreift er niemals, was unter seinem eigenen Dach vorgeht.

Kirsty ist sogar noch langweiliger. Sie führt ein graues Leben, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen und wohl auch Depressionen. Ihre heimliche Liebe zielt nicht einmal auf den wirklichen Rory, sondern auf das Idealbild, das sie sich von ihm macht. Andererseits überrascht Kirsty als Kämpferin; als sie den Zenobiten in die Hände zu fallen droht, zögert sie keine Sekunde, ihnen statt dessen Frank vorzuwerfen. Sie wird als einzige das finale Massaker überleben und sogar zur Hüterin des Zauberwürfels aufsteigen.

Julia ist sicherlich die interessanteste Person unserer Geschichte. Sie ist weniger kalt als wie Frank unzufrieden: mit dem Leben, vor allem aber mit Rory. Julia hungert nach Aufmerksamkeit und möchte die Fesseln ihrer bürgerlichen Existenz abstreifen, koste es was es wolle, und das lässt sie für Frank zum idealen Opfer werden. Julia wird zur Mörderin, bis sie schließlich wiederum betrogen wird: eine fast tragische Gestalt, wie Frank Cotton eine Gefangene ihrer eigenen Leidenschaften, deren Untergang daher unabwendbar ist.

Noch durch Abwesenheit glänzt übrigens Ober-Zenobit Pinhead alias Captain Elliot Spencer; Barker erwähnt ihn zwar kurz, aber zur Kultfigur machte er ihn erst im ";Hellraiser"-Film von 1987.

";Hellraiser" - die Filme

1987 inszenierte Barker nach eigenem Drehbuch ";Hellraiser" und schuf einen modernen Klassiker des Horrorfilms. Sein handwerkliches Geschick als Regisseur und die weitgehende Kontrolle, die er über sein eigenes Werk ausüben konnte, brachte ein auch heute noch eindrucksvolles Werk zu Stande. Die Story wird spannend erzählt, optisch lässt sich Barker keine Fesseln anlegen. (Achtung: Niemals ";Hellraiser" in der stümperhaft kastrierten Kindergarten-Version deutscher Fernsehsender anschauen!) Sogar die Musik ist keine akustisch-elektronische Belästigung, sondern melodisch und suggestiv. Für den Film verjüngte Barker Kirsty und verwandelte sie in Rorys leibliche Tochter, was wesentlich besser funktioniert.

Natürlich kehrte Frank zurück; ";Hellbound: Hellraiser II" (1988) zeigt seinen neuerlichen Versuch den Zenobiten zu entkommen. Julia schließt sich ihm dabei an. Das Ergebnis ist noch gewalttätiger, noch blutiger als Teil 1, aber - Clive Barker überließ dieses Mal den Regiestuhl Tony Randel und verfasste nicht einmal das Drehbuch - ein Horror-Sequel ohne die Faszination des Originals, wenn auch noch einmal sehr unterhaltsam, bevor mit Teil III der Niedergang der Serie eingeläutet wurde, die nur reine Franchise-Gier am (Schein-) Leben erhält.

Hellraiser

Clive Barker, Heyne

Hellraiser

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Hellraiser«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery