Das Dritte Buch des Blutes
- Knaur TB
- Erschienen: Januar 1990
- 0


Beinharter Grusel in poetischer Überzeichnung
Fünf Episoden aus den „Büchern des Blutes“:
- Rohkopf Rex (Rawhead Rex; 1984), S. 11-87: Vor vielen Jahren brachte er Furcht und Tod über die Menschen, bis sie ihn lebendig begruben. Nun wird er versehentlich befreit und knüpft mörderisch motiviert dort in der modernen Gegenwart an, wo man ihn einst unterbrochen hatte.
- Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs (Confession of a [Pornographer's] Shroud; 1984), S. 89-142: Ronnie ging erst in die Falle und fand dann einen grausamen Tod. Er findet sich als Gespenst in den Fasern seines Leichentuchs wieder und nutzt diesen ‚Körper‘, um Gangsterboss Maguire buchstäblich in die Hölle zu jagen.
- Der Zelluloidsohn (Son of Celluloid: 1984), S. 143-201: Barberio stirbt unbemerkt in einem Winkel des alten Kinos, doch was ihn ihm wuchert, will weiterleben und findet in der filmgeistgeschwängerten Atmosphäre seinen Nährboden.
- Sündenböcke (Scape-Goats; 1984), S. 203-245: Doppeltes Pech ist der Schiffbruch auf dieser Insel, die nicht grundlos von den Toten gefunden und von den Lebenden gemieden wird.
- Menschliche Überreste (Human Remains; 1984), S. 247-319: Gavin trifft auf ein sehr gefährliches, aber auch einsames Wesen, das seit Äonen überlebt, indem es die Körper seiner Opfer kopiert.
Dieser Schrecken ist tödlich, aber nicht böse
Was zunächst seltsam klingt, wird nach kurzem Innehalten bzw. Erinnern verständlicher: Ins Gedächtnis der Leser (oder Zuschauer) gräbt sich besonders jener Horror ein, der nicht Trottel von einem blutrünstigen Ungeheuer jagen lässt, sondern den Protagonisten ‚Gesichter‘ gibt. Das schließt das ‚Monster‘ ausdrücklich ein. Schon im Stummfilm sorgten „Nosferatu“ (1922), „Der Glöckner von Notre-Dame“ (1923) oder „Das Phantom der Oper“ (1925) dafür, dass die Zuschauer Mitleid für die entstellten, an den Rand der Gesellschaft gedrängten, sogar toten Kreaturen empfanden, wenn sie letztendlich ihr ‚gerechtes‘ Schicksal ereilte.
Solche Ambivalenz wirft die Frage nach der Definition des Bösen auf und geht über dessen bloße, sich selbst genügende Existenz hinaus. In diesem dritten der „Bücher des Blutes“ steigt Clive Barker mit einem Paradebeispiel ein. Rohkopf ist das Relikt einer vergessenen Vergangenheit, als die Menschen sich die Erde mit Wesen teilten, die nach ihrem Aussterben in Legenden und Märchen fortexistierten. Damit rührte man an Urinstinkten, die über belegtes Wissen hinaus einstige Ängste in Worte fassten.
Rohkopf ist kein Mörder und Menschenfeind, Barker stellt klar, dass er nicht ‚verdorben‘, sondern einfach in seiner Haut gefangen ist. Seine Macht resultiert aus seiner Größe, Kraft und Rücksichtslosigkeit, während er tut, was er immer getan hat: Er tötet und frisst und labt sich an der Angst seiner Opfer. Doch Rohkopfs Zeit ist abgelaufen. Nur der Zufall ließ ihn in seinem Gefängnis überleben, und nur die Panik, die er unter den Menschen auslöst, sorgt für seinen kurzen Triumph. Die Menschheit hat allerdings nicht grundlos über ihre Konkurrenten gesiegt. Faktisch hat Rohkopf keine Chance gegen sie. Er ist nicht klug und mit der modernen Gegenwart überfordert. Seine Opfer schlagen zurück - ebenso unbarmherzig wie er!
Haben sie nicht auch das Recht zu existieren?
Die übrigen Erzählungen dieses Band variieren das Thema. In „Der Zelluloidsohn“ beschreibt Barker ein Wesen, dem Unsterblichkeit quasi in die Wiege gelegt wurde. Realiter muss es dennoch untergehen, wenn sein ‚Wirt‘ stirbt. Hier existiert es jedoch unabhängig vom Menschenkörper und kann aktiv um sein Überleben kämpfen. Wiederum siegt der Mensch, denn dessen Überzahl ist einfach zu groß. Kaum ein Schrecken kann sich auf Dauer dieser Tatsache entziehen.
Beinahe rührend wirkt die Kreatur aus „Menschliche Überreste“. Sie ist einsam, fragt sich, was oder wer sie ist. Die grausamen Attacken auf Menschen sind Bestandteil einer für sie natürlichen Lebensweise. Das Wesen kopiert nicht einfach die Körper seiner Opfer. Irgendwann ist die Kopie so vollkommen, dass die Gefühle kommen. Obwohl der Fremdling dies schon oft erlebt (und erlitten) hat, wird er erneut überwältigt, zumal er dunkel begreift, dass Emotionen sein Leben bereichern würden.
Ironischerweise kommt Gavin, sein Opfer, mit diesem Problem besser zurecht. Er kennt den Kampf mit seinen Gefühlen. Selbst das Übernatürliche kann ihn nur bis zu einem bestimmten Punkt schockieren, denn es sorgt auch dafür, dass ihn die Probleme, mit denen er sich auseinandersetzt, früher als erwartet einholen. Mit diesem von Gavin insgeheim befürchtete Moment der Erkenntnis kann das ‚Monster‘ nicht mithalten: ein Punkt, den Barkers Protagonisten irgendwann stets erreichen.
Der Tod ist komplexer als gedacht
In dieser Hinsicht bietet der Tod keine Erlösung. Pechvogel Ronnie will sich zwar an seinen Peinigern rächen, doch zunächst muss er sich damit abfinden, dass auch das Spuken gelernt sein will. Dies gilt erst recht, wenn man als ‚Körper‘ nur ein Leinentuch beseelen kann. Viel Zeit muss Ronnie darauf aufwenden, das Tuch halbwegs in eine Form zu zwingen, die ihm eine Rache ermöglicht. Hier schleicht sich nicht zum ersten Mal ein Unterton knochenkrachend trockenen, schwarzen Humors in die Erzählung.
Parallel dazu erweist sich Maguire, Ronnies sadistischer Mörder, nach und nach als Familienmann, Vater und überhaupt Mensch, der jenseits seiner kriminellen Aktivitäten mit sehr typischen Alltagsproblemen kämpft. Wer hier das eigentliche Monster ist - Ronnie oder Maguire - verschwimmt bald. Kein Wunder also, dass Ronnie nach gelungener Vergeltung endgültig sterben, aber vorher noch einmal beichten will. Es misslingt, weil der Pfarrer gerade denkbar Unchristliches treibt und die Beichtstunde ausfallen lässt: abermals ein ironischer Seitenhieb des Verfassers.
Der typischen Gruselstory am nächsten kommt „Sündenböcke“. Doch auch hier entwickelt die Handlung rasch eine zweite Ebene. Sie dreht sich einerseits um die privaten, auf die Spukinsel mitgebrachten Problemen der Schiffbrüchigen, was andererseits dazu führt, dass jene erwachen, die nur ruhig und unter der Oberfläche bleiben, solange man sie mit einem Opfer über ihr Schicksal hinwegtröstet. Jetzt tauchen sie buchstäblich auf, und auch Unschuld ist kein Grund, verschont zu werden.
Das Ende ist niemals friedlich
Es ist gleichgültig, ob der Tod von Menschen oder von Monstern verursacht wird: Stets kommt er schmutzig und verursacht Schmerzen. Als Barker seine sechs „Bücher des Blutes“ 1984/85 veröffentlichte, galt er als Großmeister des „Splatterhorrors“, der gerade als letzter Schrei des Genres gefeiert wurde. Vor allem junge Autoren folterten, metzelten und ekelten, was das Zeug hielt, und versuchten einander zu übertreffen; ein Wettlauf, der in Übertreibung und Lächerlichkeit sowie im Mainstream und zuletzt in einer Nische namens „Torture Porn“ (ver-) endete.
Viele Jahre später wird wie oben beschrieben deutlich, dass Barkers „Bücher des Blutes“ sich keineswegs in oberflächlichen Schnetzeleien erschöpfen. Er beherrscht den klassischen Horror, den er nicht abtut, sondern abstaubt und in die Gegenwart holt, ohne ihm seine Vorgeschichte zu rauben. Die detailliert beschriebenen Grausamkeiten sind kein Selbstzweck, sie erfüllen im Rahmen der jeweiligen Ereignisse einen Zweck. Daher verwundert es wenig, dass diese Storys ihre Kraft bewahren konnten.
Anmerkung: 1986 griff Regisseur George Pavlou auf die Geschichte „Rohkopf Rex“ zurück. Für diesen Film schrieb Clive Barker selbst das Drehbuch, aber vom Ergebnis war er nicht begeistert; ein Urteil, das die Zuschauer mehrheitlich teilten. Pavlou hatte jegliche Zwischentöne verbannt und Rohkopf zum eindimensionalen und somit beliebigen Metzelmonster heruntergebrochen. Zudem erregte die Körpermaske den Verdacht, man habe einfach den Inhalt mehrerer Mülltonnen über den unglücklichen, mit Kleister beschmierten Rohkopf-Darsteller ausgekippt.
Fazit:
Fünf weitere Kapitel aus den „Büchern des Blutes“ bieten abermals harten, aber nie herzlosen Horror. Autor Barker überrascht mit zum Teil bizarren Ideen und Szenarien, mischt klassischen Grusel gekonnt mit modernem Splatter: noch gar nicht so alt, aber schon fester Bestandteil des Horror-Kanons!

Clive Barker, Knaur TB
Deine Meinung zu »Das Dritte Buch des Blutes«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!