Black Box

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 7
Black Box
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Michael Drewniok
91°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2007

Dunkle Welten mit kleinen Lichtblicken

Die Realität: der gefährlichste Ort

Das Leben ist ein gefährliches Abenteuer, und gleich um die Ecke kann stets das Verhängnis auf dich lauern. Eine bittere Erkenntnis ist dies, aber realistisch, wenn man Joe Hill Glauben schenken möchte, was abzulehnen schwer fällt, da er sie so überzeugend in Worte zu fassen versteht.

Die hier gesammelten 15 Storys und eine Novelle stellen einen Überblick zum noch schmalen Gesamtwerk von Joe Hill dar, der längst nicht 'nur' moderne Horrorgeschichten schreibt. Die "Black-Box"-Geschichten lassen sich in drei Kategorien gliedern.

"Besser als zu Hause", "Endspurt", "Witwenfrühstück", "Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück", "Die Geretteten" kommen ohne Elemente der Phantastik aus. Sie stellen Momentaufnahmen aus den Leben von Menschen dar, die in einer Krise stecken. Außenseiter sind Hills 'Helden', die entweder gänzlich ins gesellschaftliche Aus geraten, oder die wir dabei beobachten dürfen, wie sich am Ende des Tunnels ein Licht auftut. Hill verarbeitet hier u. a. Teile eines Romans, der in der Depressionszeit der 1930er Jahre spielen sollte, jedoch unvollendet blieb.

Diese Storys werden den Liebhaber 'echter' Literatur womöglich besser gefallen als dem Horrorfreund. Hier sind die Ereignisse emotionaler und nicht jenseitiger Natur, ohne dass sie dadurch weniger dramatisch wirken. Wie sein Vater Stephen King hat Hill ein Gespür dafür, wie der Durchschnittsmensch denkt, fühlt und handelt. Vor allem sind es keine simpel gestrickten Naturen, die er uns vorstellt, sondern komplexe Charaktere, die durch innere Spannungen und persönliche Probleme quasi vorgezeichnet sind. Ohnehin in einer Ausnahmesituation lebend, geraten sie erst recht vom Regen in die Traufe. Für das allzu Menschliche muss man sich allerdings interessieren, sonst werden diese Geschichten wohl langweilen, zumal Hill sie - es muss gesagt werden - hin und wieder mit Hilfe nur zu bekannter Klischees über die Distanz bringt.

Das Mysteriöse: die Freude am Unerklärlichen

"Pop Art", "Der Gesang der Heuschrecken" und "Die Maske meines Vaters" sind eher groteske als gruselige Geschichten. Vor allem "Pop Art" ist im doppelten Sinn fabelhaft: Dass Art im wahrsten Sinn des Wortes eine Gummipuppe ist, wird von Hill als absolut normal dargestellt. Niemand fühlt sich in seiner kleinen, aber gar nicht heilen Kleinstadtwelt durch diese Tatsache irritiert. Art, die Puppe, ist der perfekte Außenseiter. Hill projiziert bekannte Formen menschlicher Diskriminierungen auf ihn. Letztlich erteilt er eine Lektion in Toleranz, aber wenigstens ohne erhobenen Zeigefinger auf Gutmenschen-Art.

"Der Gesang der Heuschrecken" ist eine eigenwillige, man ist geneigt zu sagen 'amerikanische' Interpretation von Franz Kafkas Kurzgeschichte "Die Verwandlung". Wieso sollte die Tatsache, dass man sich in ein menschengroßes Insekt verwandelt, zwangsläufig als entsetzlich empfunden werden? Der Held dieser Geschichte lernt die Vorteile zu schätzen. Er weiß um die Chancenlosigkeit seines Lebens und setzt - ebenfalls sehr amerikanisch - zu einem Amoklauf an, um es erstens seinen Peinigern und zweitens der ganzen Welt heimzuzahlen. Große Macht mag nach Spider-Man große Verantwortung mit sich bringen, aber wer sagt, dass dem automatisch entsprochen wird?

"Die Maske meines Vaters" ist ein Story ohne nachvollziehbaren Plot. Hill ist stolz darauf, dass ihm genau das gelungen ist, wie er in seinen "Story Notes" erläutert. Wie so oft teilt sich die Begeisterung eines Verfassers den Lesern nur bedingt oder gar nicht mit. "Was soll das?" ist eine Frage, die angeblich nur der literarische Prolet stellt, der zu dumm ist, das Gelesene zu 'hinterfragen' und zu 'entschlüsseln'. Was ist aber, wenn da zwischen den Zeilen gar nichts steht, sondern einfach nur eine möglichst bizarre und unterhaltsame Geschichte erzählt werden soll? Deshalb ist in diesem Fall eine Anklage wegen forcierten Mythentümeltums und Effekthascherei ebenfalls möglich ...

Das Grauen: Abgründe in unmittelbarer Nähe

Die verbleibenden Storys der "Black-Box"-Kollektion fallen eindeutiger in die Gattung Horror. Sie erfinden das Genre niemals neu, bringen jedoch einigen frischen Wind durch interessante Ideen sowie eine täuschend kunstlose Umsetzung hinein. Erneut wirken jene Geschichten besonders stark, in denen das 'Monster' nicht aus einem Grab steigt, sondern im Menschenhirn beheimatet ist. "Abrahams Söhne" nicht nur eine folgerichtige Deutung der Figur des besessenen Vampirhetzers Abraham Van Helsing, sondern noch mehr eine schauerliche Studie des Wahnsinns, der vom Vater auf die Söhne übergeht. Auch in "Best New Horror" oder "Das schwarze Telefon" sind die 'Geister' menschlich: Psychopathen und Kindermörder, die wahren Schrecken der Gegenwart!

Weil inzwischen bekannt ist, dass Joe Hill der Sohn von Stephen King ist, kann die Frage nicht ausbleiben, ob sich zwischen Vater und Sohn Verbindungen finden lassen. Die Antwort ist ja - allerdings im positiven Sinn. Hill kann sich wie schon gesagt hervorragend in den durchschnittlichen Zeitgenossen versetzen - in Menschen ohne besondere Eigenschaften, die in der Masse, die sie selbst bilden, normalerweise untergehen, und die im Roman wie im Film über sich hinauswachsen müssen, um 'interessant' zu wirken. Die Fähigkeit zu vermitteln, dass das Schicksal von Joe und Jane Doe auch ohne derartige 'Nachhilfe' faszinieren kann, ist eine seltene Gabe. Für Schriftsteller, die darüber verfügen, ist auf dieser Welt Platz genug, selbst wenn sie verwandt sind.

Wenn es in "Black Box" eine Geschichte gibt, die auch Stephen King hätte schreiben können, so ist es sicherlich die Titelnovelle. Die seltsame Magie, die sich mit Grausamkeit mischt und "Kindheit" genannt wird, ist sogar noch schwieriger zu beschwören als ein durchschnittliches Erwachsenenleben. Hier konnte Stephen King seit jeher punkten; 'seine' Kinder waren und sind keine Disney-Nervensägen aus der Klischee-Stanze. Hill hat auch diese Fähigkeit geerbt Deshalb kann er sich ohne Probleme ins Revier seines Vaters wagen, mit dem er doppelt mithalten kann, denn "Black Box" ist auch vom Plot eine faszinierende Geschichte, die spannend umgesetzt wurde.

Leider hegen Hill und King einen Hang zum Sentimentalen. Das Tragisch-Schreckliche der jeweiligen Handlung wird oft auf den Effekt hin getrimmt. Solche "Oh-jeh!"-Attitüde wird vor allem dem Zyniker aufstoßen. Zumindest in Hills vom Horror befreiten Storys lässt sie sich auch vom gewogenen Leser nicht durchweg ignorieren. "Black Box" ist eben doch nicht "die Zukunft der phantastischen Literatur", wie es auf dem Backcover zu lesen ist, sondern ihre prosaische Gegenwart. Damit kann er sich in einer Szene, die zunehmend von trivialem Reißbrett-Horror und Grusel-Erotik für pubertierende Mädchen bestimmt wird, allerdings leicht und prächtig behaupten.

Black Box

Joe Hill, Heyne

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