Identity

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2007
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Identity
Identity
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Michael Drewniok
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2007

Starker Auftakt, schwacher Mittelteil, plattes Ende

Peter Jance gehört zu den bedeutendsten Physikern der Welt. Er entwickelt für die US-Regierung neue Waffensysteme. Sein aktuelles Projekt sorgt für streng geheim gehaltenes Aufsehen und könnte die Krönung seines 76-jährigen Lebens bedeuten. Doch Jance ist an Krebs erkrankt; ihm bleiben nur noch Tage zu leben.

Auftritt Dr. Frederick Wolfe, der ebenfalls für die Regierung arbeitet. Seit fünf Jahrzehnten ist er Jances Konkurrent und Freund. Seine Forschungen sind sogar noch sensationeller, ist er doch inzwischen sehr erfolgreich damit, Hirne zu verpflanzen. Seit einiger Zeit wagt er sich an menschliche Versuchsobjekte. An unfreiwilligen 'Kandidaten' herrscht kein Mangel, denn das Militär beliefert ihn mit Terroristen aus dem Nahen Osten und anderen erklärten Staatsfeinden, nach denen kein Hahn kräht.

Für Nobelpreisträger Jance wird selbstverständlich kein schnöder Schurkenstaatler geschlachtet. Hans Brinkman, ein Schweizer Bankier, erscheint dem US-Frankenstein als der ideale Körperspender. Kein Wunder, denn Brinkman ist ein Klon von Jance, den Wolfe vor Jahrzehnten heimlich in die Welt gesetzt hat. Ein vom Geheimdienst inszenierter Unfall täuscht Brinkmans Tod vor. Er wird in Wolfes Klinik geschleust, und sein Schädel nimmt das Hirn von Peter Jance auf.

Die Operation glückt, doch dann treten Komplikationen auf: Von Brinkman blieb mehr zurück als nur sein Körper. Wolfe hat ein hybrides Wesen erschaffen, dessen Denken und Handeln nicht zu kalkulieren ist. Dummerweise hat zudem Brinkmans Geliebte Elizabeth Verdacht geschöpft. Wolfe lockt sie auf jene Karibik-Insel, die ihm als Stätte seiner monströsen Versuche dient. Er hegt hässliche Hintergedanken: Jances Forscherleistung leidet, weil Ehefrau Beatrice der Altersunterschied zum operativ verjüngten Gatten zu schaffen macht. Das ließe sich sicherlich ändern, wenn auch ihr Gehirn umgepflanzt würde ...

Frankenstein plus Freddy Krueger

"Identity" (schon wieder so ein dämlicher 'denglischer' Titel!) ist Wes Cravens Romanerstling. Er ist ihm inhaltlich sehr spannend und formal ausgesprochen flüssig geraten, was kaum verwundert, erinnert man sich an die Drehbücher, die Craven seit mehr als drei Jahrzehnten schreibt.

Wer seine Filme kennt, weiß allerdings auch, dass Cravens Ehrgeiz oft größer ist als sein Talent. Ihm ist ein psychologisch stabiler Unterbau für seine Darsteller wichtig. Der Aufwand, den er dafür treibt, ist freilich nicht selten einer Geschichte eher abträglich, die solches gar nicht nötig hat und besser funktionieren würde, ließe man sie einfach abrollen. (Wer "Freddy's New Nightmare" oder "Scream 3" gesehen hat, weiß gut, was ich meine.)

Solange Craven sich auf den Frankenstein-Aspekt von "Identity" beschränkt, bereitet die Lektüre das leicht konsumierte Vergnügen eines flott und unterhaltsam geschriebenen Thrillers. Dann schwenkt die Handlung plötzlich um, verheddert sich in einer Lovestory, die Klischee an Klischee reiht und viele Seiten auf der Stelle tritt. Craven ist es zudem plötzlich viel zu wichtig, Jances Wandlung vom Saulus zum Paulus plausibel zu machen. Wen interessiert das, und wieso macht er das, nachdem er bisher ausgesprochen glaubhaft unmoralische Figuren (s. u.) agieren ließ?

Mit einem billigen Trick, der filmisch umgesetzt meist funktioniert, hier jedoch unvorteilhaft offensichtlich wird, möchte Craven den Knoten durchschlagen, mit dem er seine Story gefesselt hat: Sie löst sich in scheinbar atemlose Hit-and-Run-Action auf. Peter und Elizabeth fliehen und fighten sich eine lange Kette von Meuchlern & Munkelmännern entlang. Das hat man alles und oft wesentlich besser gelesen und vor allem gesehen.

Warum originell, wenn's das Klischee auch tut?

Eine vor allem spannende Handlung benötigt keine komplexe aber eine solide Figurenzeichnung. In diesem Punkt weiß Craven zunächst trotzdem mit einigen Überraschungen aufzuwarten: Selten sind die Hauptfiguren eines Romans so unsympathisch wie in diesem Fall. Peter Nance ist ein Wissenschaftler, der sich an das Militär verkauft hat und apokalyptisch wirkende Hightech-Waffen entwickelt. Er macht sich keine Illusionen darüber, wie man diese einsetzten wird - die enthusiastische Reaktion des Feuerfressers Colonel Henderson auf sein aktuelles Massenvernichtungsmittel ist genug Bestätigung -, doch da er nie ein Schlachtfeld betreten hat, auf dem seine Schöpfungen zum Einsatz kamen, kann er damit leben: Für Nance zählt die Forschung als Schöpfung von Wissen. Was weniger geniale Menschen wie er damit anfangen, ist nicht seine Sache.

Der skrupelfreie Wissenschaftler ist ein treuer und liebevoller Ehegatte. Diese Liebe wird erwidert, nur ist Beatrice selbst in der Forschung aktiv und damit beschäftigt, die Transplantation menschlicher Gehirne zu ermöglichen. Die damit verbundenen Gräuel an Tieren und Menschen betrachtet sie ebenfalls pragmatisch als Kollateralschäden des Fortschritts. Als sie ihr Schneckenhaus verlässt, mutiert sie zur eifersüchtigen Furie und entpuppt sich letztlich doch als 'typische' Frau.

Noch schlimmer treibt es Craven in dieser Beziehung mit der um den halben Erdball schmachtenden Elizabeth, eine dieser Figuren, die man am liebsten mit Fußtritten aus der Handlung treiben möchte. Sobald sie die Bildfläche betritt, stockt die Handlung und wird - was noch schlimmer ist - durch Gefühlsduselei 'ersetzt'. Von echten Gefühlen möchte man jedenfalls nicht sprechen; was Craven uns hier vorsetzt, kennen & hassen wir aus Lore-Romanen und -Filmen. (Für die Chick-Lit-Fraktion der Leserschaft kann ich hier natürlich nicht sprechen.)

Die unheilige Dreifaltigkeit moderner Wissenschaft vervollständigt Frederick Wolfe, der mit den Nances befreundet ist, Peter jedoch den Erfolg und die Gattin neidet, die er ihm gern abspenstig gemacht hätte. An Menschenrechte vergeudet Wolfe erst recht keinen Gedanken und 'verarbeitet' die menschlichen Versuchskaninchen, die ihm seine Auftraggeber liefern, ohne Nachfragen zu stellen; es sind schließlich (oder vielleicht) Feinde der einzig zählenden Nation auf Erden - der USA, und damit haben sie ihr Leben verwirkt. Wolfe zur Seite steht Oscar Henderson, ein bedenkenfreier Kommiskopp schon jenseits der Grenze zur Karikatur.

Leichte Anwandlungen von Kritik

Wes Craven ist offenkundig kein Anhänger von George Bush. Sehr sarkastisch schildert er einen Kriegsalltag im Nahen Osten, der durch Mord, Folter und andere Grausamkeiten auf beiden Seiten geprägt ist. Die USA wirkt hier als williger Helfer ihrer Verbündeten, deren 'Politik' ebenfalls sehr kritisch (und politisch absolut unkorrekt) beschrieben wird. Der Zweck heiligt die Mittel, so lautet die Devise, und Menschenrechte sind nur Ballast, dem höchstens Amnesty International und andere vaterlandslose Weicheier hinterher jammern. Als Bürger einer globalisierten Welt, den die Medien permanent mit allzu realen Inhumanitäten konfrontieren, kommt einem dieses Szenario längst nicht mehr unwahrscheinlich vor. Auf dieser Schiene hätte Craven sein Werk fahren sollen, statt es über immer neue Weichen auf Abwege rumpeln zu lassen. So bleibt die Erinnerung an einen Roman, der verheißungsvoll begann und dann doch die Zielgerade nur aufgrund der handwerklichen Fähigkeiten seines Verfassers leidlich erreicht.

Identity

Wes Craven, Goldmann

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