Das gläserne Tor

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 2
Das gläserne Tor
Das gläserne Tor
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Carsten Kuhr
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2007

Die züchtige Frau aus guten Verhältnissen und der Barbar

Im wilhelminischen Berlin des Jahres 1895 grassiert das Archäologie-Fieber. Nachdem Schliemann Troja aufgefunden hat, wurde nun auf der Pfaueninsel in der Havel ein vermutlich skytisches Grab entdeckt. Doch der Grabschmuck weist eine höchst ungewöhnliche Ausformung auf. Als Grazia, die junge Verlobte des Ausgrabungsleiters aus gut bürgerlichem Hause, die Ausgrabungsstätte besucht, geschieht gar Wunderliches. Tief unter dem Wasserspiegel der Havel taucht ein Licht auf, dann treibt ein nackter Mann unter Wasser. Kein Wunder, dass sie das Gleichgewicht verliert und vom Steg ins Wasser gleitet. Die vermeintliche Wasserleiche rettet sie nicht nur, der nackte Mann küsst sie, ja füllt ihren ganzen Körper mit Wasser. Kurz darauf vernimmt sie in ihrem Geist Worte der Entschuldigung. Das können doch nur Phantasien sein, und wie es sich für ein behütet aufgewachsenes, anständiges Mädchen gehört, fällt sie in Ohnmacht.

Ein innerer Zwang aber treibt sie kurz danach, entgegen der strengen Anweisung ihres Verlobten, erneut zur Ausgrabungsstätte. Als Friedrich, ihr Verlobter, sie entdeckt, gerät sie in Panik und stürzt erneut in den Fluss. Diesmal aber erwacht sie nicht behütet in ihrem Bett, sondern kommt in einer Wüste zu sich. Unzivilisierte Wilde nehmen sich ihrer an. Nur zu bald merkt sie, dass sie weit vom Deutschen Kaiserreich entfernt sein muss. Das ist bestimmt nicht Deutsch-Ostafrika, dazu ist das Verhalten der Menschen zu merkwürdig, zumal sie solch merkwürdige, große Tiere noch in keinem Lehrbuch gesehen hat. Als am Himmel zwei Monde auftauchen, wird ihr bewusst, wie weit weg von zu Hause sie sich befindet.

Anschar, ein Gefangener der Nomaden, lehrt sie die Sprache. Gemeinsam gelingt es den beiden auf die Hochebene Argad zu fliehen. Hier aber trennt das Schicksal zunächst die einstigen Verbündeten. Anschar, der als Sklave der Willkür seines Herren hilflos ausgeliefert ist, muss aufgrund einer verlorenen Wette in die Dienste des despotischen Bruders des Herrschers treten, Grazia entdeckt eine ganz andere Welt für sich. Statt verklemmter Moralvorstellungen und Fischgrätenkorsetts laufen die Menschen hier fast unbekleidet herum, Gewalt ist ebenso alltäglich wie das öffentliche Züchtigen von Sklaven und blutige Rituale.

Seit Jahrzehnten bedroht eine zunehmende Trockenheit die Zivilisation. Der Gott des Wassers, so heißt es, wurde gefangen gesetzt. Um so erstaunter sind die Herrscher, aber auch Grazia, als sie erkennen, dass das Mädchen aus der fremden Welt die Gabe hat, aus sich selbst köstliches Wasser zu schaffen und Becher wie Teiche mit dem so kostbaren Nass zu füllen. Nur zu bald entflammt ein erbitterter Wettstreit um die Gunst Grazias, die eigentlich nur eines will - zurück nach Hause. Davor aber hat ein Gott seine Befreiung und Amor seinen Pfeil gesetzt...

Der Kulturschock einer züchtigen Dame - Fantasy für Frauen mit einem Schwerpunkt auf große Gefühle

Nach dem Klappentext war ich der Überzeugung endlich einmal einen phantastischen Roman zu lesen zu bekommen, der in einer deutschen Metropole angesiedelt ist. Nach den unzähligen Werken, die im viktorianischen London spielen, hoffte ich, dass sich endlich mehr Autoren literarisch unserer deutschen Hauptstadt annehmen würden - und sah mich getäuscht. Berlin zu Ende des 19. Jahrhunderts ist bei all dem Potential, das dieses Setting bieten würde, nur der kurz abgehandelte Ausgangspunkt für eine Fantasy-Handlung, wie sie uns in ihren Grundzügen altbekannt ist.

Eine Heldin gelangt in eine fremde Welt, um dort mittels ihr übertragenen magischen Kräften ihre Queste zu erfüllen - so kurz und prägnant könnte man die Handlung zusammenfassen, wenn Sabine Wassermann aus dem altbackenen Stoff nicht mehr gemacht hätte.

Einfühlsam und überzeugend schildert sie den Unglauben ihrer Protagonistin angesichts der Versetzung in eine fremde Welt, ihre Konsternierung angesichts total anderer Moralvorstellungen. In einer Gesellschaft aufgewachsen, in der der Anblick eines bestrumpften Knöchels höchst verwerflich war, in der Etikette und strenge Moral selbst im Umgang von Ehepaaren miteinander an der Tagesordnung war, hat sie durchaus nachvollziehbar ihre Probleme mit dem offenen Umgang der Menschen mit Nacktheit und Sexualität.

Hierzu gesellt sich ein zartes Pflänzchen der Romantik. Sie, die in Berlin an einen aufstrebenden, respektablen Forscher verkuppelt wurde, den sie vorab gerade ein-, zweimal überhaupt gesehen hat, entdeckt Gefühle in sich. Da wurde ihr von ihrer Mutter immer gepredigt, dass sich die Liebe erst im Lauf der Beziehung erarbeitet werden müsse, dass es auf wirtschaftliche Absicherung, auf Karrierechancen ankomme, und dann erblüht da in ihr ein zartes Pflänzchen. Mit viel Einfühlungsvermögen hat die Autorin, die in ihren diversen historischen Romanen bereits Meriten sammeln konnte, diese Entwicklung festgehalten. Das ist in seiner Ausgestaltung ganz eindeutig Frauen-Fantasy, ohne dass ich dies jetzt negativ meinen würde. Es geht viel um Gefühle, um Entwicklungen, die vorhandenen Kampfszenen treten eher in den Hintergrund.

Ihre Welt selbst bleibt bis weit über die Hälfte des Romans hinaus recht unklar. Die Autorin beschreibt uns ein Land, das geprägt ist vom Wassermangel, dessen Bewohner, so unterschiedlich die Völker auch sind, im tagtäglichen Kampf ums Überleben, um das notwenige Nass kaum Zeit finden, große kulturelle Errungenschaften zu machen. Das bleibt in seiner Ausgestaltung oft zu sehr an der Oberfläche. Ich hätte hier gerne mehr über die Hintergründe, die Entwicklungen, die immer wieder angedeutet werden, erfahren.

Im furiosen Finale spielt Wassermann nochmals mit der Erwartungshaltung ihrer Leser, öffnet sich der Möglichkeit einer Fortsetzung. Alles in allem ein gelungener Roman für Leser-innen von Sara Douglass, Marion Zimmer-Bradley oder Jennifer Fallon, der Potential offenbart, der aber in Details noch zu sehr an der Oberfläche bleibt.

Das gläserne Tor

Sabine Wassermann, Heyne

Das gläserne Tor

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