Die Sternenbestie

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 1966
  • 2
Die Sternenbestie
Die Sternenbestie
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2021

Lummox: Hausgast als außerirdische Herausforderung

Zwar lebt John Thomas Stuart XI. in Westville, einer abgelegenen Kleinstadt unweit der Rocky Mountains, doch sein Name zeugt von einer langen, manchmal ruhmreichen, auf jeden Fall interessanten Vorgeschichte: Die Stuarts haben seit dem Ersten Weltkrieg immer wieder ihren Weg in die Geschichtsbücher gefunden. Der neunte John Thomas ist noch jung und bereitet sich aufs College vor, als auch ihn der Familienfluch trifft, der ihn ins Rampenlicht befördert. Verantwortlich ist eigentlich sein verstorbener Großvater, dem während einer mutigen, aber schlecht dokumentierten Weltraum-Expedition auf einem fernen Planeten eine achtbeinige Kreatur zulief, die er mit zur Erde nahm und „Lummox“ nannte.

Seitdem ist Lummox ein Teil der Stuart-Familie - im Guten wie im Üblen, denn das kleine Wesen ist auf Dinosauriergröße gewachsen. Lummox ist intelligent und kann sprechen, benimmt sich aber wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, was John Thomas XI. in arge Schwierigkeiten bringt, als sein ‚Haustier‘ einen flurschadenreichen ‚Ausflug‘ in die Stadt unternimmt. Nun soll der lammfromme Lummox womöglich als gefährlicher Schädling umgebracht werden, was allerdings nicht einfach ist: Lummox ist praktisch unverwundbar und frisst sogar Stahl.

Die „Sternenbestie“ wird zum Politikum, als nahe der Erde ein Schlachtschiff der kaum bekannten, ungemein mächtigen Hroshii auftaucht. Sie verlangen die Herausgabe eines entführten „Kindes“, was die Erdregierung in Erklärungsnöte bringt, bis man herausfindet, dass es um Lummox geht, der unter dem Radar des „Ministeriums für Raumangelegenheiten“ auf die Erde kam. Doch die Wiedervereinigung ist schwierig, denn John und Lummox haben sich inzwischen abgesetzt …

Jung = dumm bzw. weisungsbedürftig?

Zwischen 1948 und 1960 veröffentlichte Robert A. Heinlein ein Dutzend „SF-Juveniles“, d. h. Zukunftsromane, die sich an ein jugendliches Publikum richteten. Diese Werke waren überaus beliebt und erfolgreich, sie gehören noch heute zu den Klassikern des SF-Genres. Doch Heinlein schrieb sie zunehmend frustriert. Zumindest in seinen jüngeren Jahren war er offen für neue Ideen, die keineswegs mit den zeitgenössischen Wertvorstellungen übereinstimmen mussten. Ein gutes Beispiel ist die Figur des Mr. Kiko, der aus Kenia stammt und farbig ist. Nichtsdestotrotz hat er ein hohes Regierungsamt inne und wird in seiner Position von den Zeitgenossen ganz selbstverständlich akzeptiert.

Was heute (hoffentlich) nicht auffällt, war 1954 durchaus kritisch sowie tatsächlich fortschrittlich: In den USA gab es eine offizielle, d. h. gesetzlich sanktionierte Rassentrennung, die seit Jahrhunderten konserviert wurde. Heinlein ignorierte das - und kam durch damit, was keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellte. In den USA wurde Heinleins Briefwechsel veröffentlicht, dem zu entnehmen ist, dass der Autor sich über die Zügel ärgerte, die ihm angelegt wurden: Jugendbücher sollten gefälligst gesellschaftskonform sein und den dominierenden Werten folgen: Sei fleißig und gehorsam, ordne dich der Familie, den Behörden bzw. allen unter, die das Sagen haben, denn sie wissen es besser und haben immer recht.

In dieser Hinsicht ist „Die Sternenbestie“ sogar kritischer als andere Heinlein-„Juveniles“. Polizeichef Dreiser, das aufgeblasen-selbstzufriedene Establishment der Kleinstadt Westville, oder die besitzergreifende Hubschrauber-Mutter Stuart sind keine Vorbilder, sondern wirken in ihrem Denken und Handeln erstarrt in Werten, die einer fortschrittlichen Menschheit unwürdig sind. Im krassen Kontrast dazu steht der Arbeitsalltag des „Ministeriums für Raumangelegenheiten“, in dem skurrile Fremdwesen ein- und ausgehen.

Die Zukunft: realistisch bzw. (unfreiwillig) retro

Normalerweise zieht sich der Reifeprozess einer Heinlein-Hauptfigur aufdringlich durch die Gesamtstory. Auch dieses Mal gibt es Grund zur Kritik: Vor allem, aber nicht nur aus heutiger Sicht ist John Thomas unerträglich redlich und naiv. Er will stets das ‚Richtige‘ tun, selbst wenn niemand es von ihm verlangt und es ihm elementare Schwierigkeiten bereiten würde: So sollte aus zeitgenössischer Sicht ein ‚guter Junge‘ gestrickt sein, was angesichts der historisch vielfach belegten Missachtung dieser angeblichen Tugend blanker Hohn ist.

Jedenfalls möchte man John Thomas gern einen tüchtigen Tritt in den Hintern versetzen, um ihm solche Flausen auszutreiben. Freundin Betty versucht es; sie bleibt Nebenfigur, ist aber dennoch der interessantere Part des Duos. So hat sie sich von ihrer allzu besitzergreifenden Familie „scheiden“ lassen, was in dieser Zukunft möglich ist - ein weiteres Detail, das Heinleins Verleger nicht gefiel.

Die Kleinstadt Westville, aus der John Thomas und Betty stammen, wirkt wie eine Parodie. Seit den 1950er Jahren hat sich hier zumindest gesellschaftlich und kulturell rein gar nichts geändert. Diese Zukunft wirkt lächerlich, und das soll sie wohl auch, denn wie sonst ließe sich der Kontrast zum zweiten Handlungsstrang erklären? Sobald das „Ministerium für Raumangelegenheiten“ ins Spiel kommt, weitet sich der Roman zur ‚richtigen‘ Science Fiction. Heinlein entwirft das Konzept einer Regierung (bzw. Verwaltung), für die der Weg ins All längst Alltag geworden ist. ‚Galaktische‘ Probleme werden routiniert und einfallsreich gelöst, wobei Gesetze und Regeln notfalls ein wenig gebeugt werden: Das positive Ergebnis zählt! Dies zu verfolgen ist für die Leser außerordentlich vergnüglich, denn der auf diese Weise dem Korsett der gleichgerichteten Jugendliteratur entkommene Heinlein zeigt, wieso er so tiefe Fußspuren in der SF-Literatur hinterlassen hat.

Vorteile überwiegen erfreulich nachhaltig

Schließlich ist da Lummox, eine wunderbar gezeichnete ‚Figur‘, die kein Leser vergessen wird. „Fremd“ muss nicht „verdächtig“ oder „furchteinflößend“ bedeuten: Hier vermittelt Heinlein seinem Publikum ohne pädagogischen Zeigefinger eine echte Weisheit. Lummox ist kein tumb-niedlicher Schmusedrache und erst recht keine gefährliche „Sternenbestie“, sondern in Gestalt, Denken und Verhalten einfach anders - so anders, dass selbst John Thomas sein ‚Haustier‘ nie verstanden hat.

Die Auflösung stellt zufrieden, weil es einen echten Fortschritt darstellt. Mr. Kiko greift tief in die diplomatische Trickkiste, Lummox bremst die vergeltungsbewussten Hroshii aus, John Thomas und Betty sprengen die Fesseln einer ihren zu eng gewordenen Erdwelt, statt sich nunmehr gratfrei geschliffen als Rädchen ins Getriebe des Establishments einpassen zu lassen. Dem kann man auch heute problemlos zustimmen - und diverse, allzu zeitgenössische ‚Wahrheiten‘, die ihren Weg eben doch in den Text fanden, nach der Lektüre aus dem Gedächtnis streichen.

Fazit:

In einem seiner frühen SF-Romane „für Jugendliche“ lässt Autor Heinlein seine redliche, aber naive Hauptfigur durch eine Krise gehen, die ihn reifen und eine ‚erwachsene‘ Existenz antreten lässt. Trotz heute manchmal haarsträubender ‚Lebensweisheiten‘ gefällt der gut geplottete und geschriebene Roman vor allem durch die liebenswerte Darstellung der titelgebenden „Bestie“, die einfach nur groß und anders, aber niemals bösartig ist.

Die Sternenbestie

Robert A. Heinlein, Bastei-Lübbe

Die Sternenbestie

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