Flash

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 1
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Verena Wolf
84°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2008

Temporeiche Science-Fiction: eine Zukunft für alle

Man stelle sich vor, mit einem Fingerschnipp werden im Jahr 2009 alle Menschen der Welt zwei Minuten lang bewusstlos. In dieser Zeit sehen sie zwei Minuten ihrer persönlichen Zukunft in genau 21 Jahren. Wie kommt der Einzelne mit dieser plötzlichen kurzen Hellsicht klar?

Eine fesselnde Grundidee

Dieses interessante Zeitreise-Thema knüpft sich Robert J. Sawyer in seinem Buch ";Flash" vor, dessen Original-Titel ";Flash Forward" die Kernidee weit deutlicher umreißt.

Die kurze Zeitreise hinterlässt bei den Menschen deutliche Spuren. Dabei sind die Visionen der meisten an sich erst einmal nicht schrecklich. Man sieht sich selbst, zwar schockierend älter, im Spiegel oder einen Ehepartner, den man eventuell noch gar nicht getroffen hat, Kinder, Freunde, bekannte oder fremde Wohnungen. Aber viel der daraus resultierenden Erkenntnisse sind durchaus schmerzhaft, denn das Puzzle-Stück kurz erlebte Zukunft besiegelt schnell die Gegenwart. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft stirbt, wenn der Betroffene sieht, dass er nie die große Karriere gemacht hat, krank oder auf immer in dem tumpen Dorf seiner Kindheit hängen geblieben ist beziehungsweise hängen bleiben wird. Und mancher, der gar nichts sieht, muss erkennen, dass er offensichtlich in 21 Jahren nicht mehr lebt. Auch nicht schön. Das Wissen, was kommt, ist ein zweischneidiges Schwert. Es drängt sich die Frage auf, ist die eigene Zukunft vermeidbar?

Ein Experiment hat ungeahnte Folgen

Aber erst einmal müssen andere Probleme gelöst werden. Denn während die Menschheit komplett ohnmächtig zu Boden sank, stürzten Flugzeuge ab, Autos kollidierten, Brände brachen aus, Operationen misslangen und Hunderte von Unfällen geschahen, deren Folgen man jetzt - wieder erwacht - erst einmal begreifen muss.

Wie sich herausstellt war der kurze weltweite geistige Trip in die Zukunft eine ungeplante Nebenwirkung eines naturwissenschaftlichen Experiments des CERN in der Schweiz. Die Physiker Lloyd Simcoe und Theo Procopides lösten es unwissend mit einem Teilchenbeschleuniger aus und müssen jetzt mit den Folgen klar kommen. Denn aufgrund ihres Experiments kamen Tausende zu Tode. Der Schaden geht in die Millionenhöhe. Neben Schuldgefühlen haben die beiden Wissenschaftler aber noch mit anderen Auswirkungen zu kämpfen. Lloyd Simcoe muss erkennen, dass er in zwanzig Jahren nicht mit seiner jetzigen Verlobten zusammen ist. Außerdem verunglückte die Tochter seiner Verlobten bei dem ";Zwischenfall" wie der Flash Forward allgemein genannt wird tödlich. Theo Procopides hingegen, ein smarter, ehrgeiziger Aufsteiger, dessen größtes Ziel der Nobelpreis ist, trifft es noch härter. Er erfährt, dass er am Vortag des Zwischenfalls ermordert werden wird. Beide müssen lernen, mit der bekannten Zukunft umzugehen, sie zu akzeptieren oder zu ändern. Als durch einen unerwarteten - da unvorhergesehenen - Selbstmord deutlich wird, dass die Zukunft in der Tat variabel ist, soll das Experiment wiederholt werden, der nächste ";Flash Forward" steht an.

Freier Wille versus vorbestimmtes Schicksal

Robert J. Sawyer ist Science-Fiction-Lesern kein Unbekannter. Auf Englisch sind bereits 17 Bücher von ihm erschienen, für ";The Terminal Experiment" wurde er mit dem Nebula-Award ausgezeichnet, für ";Hominids" erhielt er den HUGO-Award. Sawyer beherrscht die Fähigkeit naturwissenschaftliche und technischen Modelle gut und verständlich zu erklären ohne ins Dozieren abzugleiten. Er nimmt sein ";Was wäre wenn" Szenario und spielt damit, dreht und wendet es und schaut was herauskommt. Sein Gedankenexperiment schildert er durch eine Handvoll Hauptfiguren. Mit diesem Kniff bleibt es kein lauwarmer, philosophischer Exkurs, sondern wird eine kurzweilige, mit hohem Erzähltempo gestrickte Science-Fiction Story. Diese rundet er mit Krimi-Elementen und zwischenmenschlichen Problemen ab. So versucht Theo Procopides mit Hilfe von E-Mails und Aufrufen aller Art mehr über sein zu frühes Ableben zu erfahren. Simcoe auf der anderen Seite reagiert gelähmt auf die Gewissheit, dass die Ehe mit seiner großen Liebe nicht hält. Er überlegt die Verlobung zu beenden, hat aber Angst damit die Zukunftversion erst real werden zu lassen.

Nur kleine Makel

Simcoes ewige Selbstzweifel und sein innerer Konflikt zwischen ";Shall I stay or shall I go now" bremsen leider die Geschichte unnötig ab. Sawyers Hauptfiguren bleiben streckenweise zu clicheehat ";kluger Wissenschaftler", ";treue Freundin" oder ";superreicher Egozentriker" vom Reißbrett. Aber sie sind lebendig genug, die Geschichte trägt. Routiniert und solide geschrieben ist ";Flash" handwerklich absolut einwandfrei. Und Gott sei Dank folgt Sawyer nicht sklavisch der Mode, dass ein Buch unter 500 Seiten nichts mehr gilt. Zwar (aber das sind inhaltliche Schönheitsflecken), ist es unlogisch, dass Theo seinem Schicksal 2031 brav in die Arme läuft. Auch dass Sawyer so tut, als müsse der Leser wie Simcoe mühselig lernen, dass es - Überraschung! - einen freien Willen gibt, stört ein wenig. Dritter kleiner Kritikpunkt: Die letzte Wendung der Story beim zweiten Flash Forward ist zu gewollt und konstruiert. Man spürt richtig, wie der Autor dachte: Hah! Jetzt verblüffe ich sie alle. Das war unnötig, aber macht nichts kaputt. Es zieht nur eine extrem gute Story hinunter auf das Level sehr guter, empfehlenswerter Science-Fiction.

Flash

Robert J. Sawyer, Heyne

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