Die besten Stories von Murray Leinster
- Moewig
- Erschienen: Januar 1984
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13 Überraschungen aus vergangenen Zukünften
13 Erzählungen der Jahre 1934 bis 1956, geschrieben von Murray Leinster, einem Großmeister der klassischen Pulp-Science-Fiction:
- John J. Pierce: Vorwort (The Dean of Science Fiction; 1978), S. 7-15
- Seitwärts in der Zeit (Sidewise in Time; 1934), S. 17-75: Ein ‚Raumbeben‘ reißt jene Pforten auf, die normalerweise die Welten des Multiversums voneinander trennen, weshalb das Auftauchen ‚paralleler‘ Gegenwarten für bizarre Begegnungen sorgt.
- Proxima Centauri (Proxima Centauri; 1935), S. 77-134: Erdmenschen reisten als Forscher und Kolonisten ins ferne Weltall, wo sie auf Aliens stoßen, deren Waffenkraft nur von ihrer Gier nach Fleisch in den Schatten gestellt wird.
- Der Vierte-Dimensions-Demonstrator (The Fourth-Dimensional Demonstrator; 1935), S. 135-148: Der Onkel hinterließ ihm ein technisches Wunderwerk, das unprofessionell bedient für Chaos durch Vervielfältigung sorgt.
- Erster Kontakt (First Contact; 1945), S. 149-186: In einer fernen Galaxie begegnen sich Menschen und Außerirdische. Die Neugier wird auf beiden Seiten aufgewogen durch Angst: Können wir einander trauen, oder sollten wir uns vorsichtshalber vernichten?
- Die Ethischen Gleichungen (The Ethical Equations; 1945), S. 187-206: Das fremde Raumschiff verspricht aufregende Entdeckungen; nur ein Mann bleibt genug bei Verstand, um den lebensbedrohlichen Haken zu entdecken.
- Pipeline zum Pluto (Pipeline to Pluto; 1945), S. 207-220: Menschenschmuggel per Container ist ein einträgliches, aber grausames Geschäft, das hier die Schurken einholt.
- Der Mächtige (The Power; 1945), S. 221-240: Im 15. Jahrhundert trifft ein Möchtegern-Magier nicht wie erhofft den Teufel, sondern einen auf der Erde gestrandeten Alien.
- Ein Logik namens Joe (A Logic Named Joe: 1946), S. 241-260: Joe weiß alles und teilt sein Wissen bereitwillig mit allen, die ‚ihn‘ fragen, was bei denen, die ihre Geheimnisse lieber hüten, Panik auslöst.
- Symbiose (Symbiosis; 1947), S. 261-277: Der Krieg gegen einen scheinbar unterlegenen Gegner endet für den ‚Sieger‘ tragisch.
- Der seltsame Fall des John Kingman (The Strange Case of John Kingman; 1948), S. 279-297: Seit anderthalb Jahrhunderten lebt er auf der Erde und könnte sicherlich einiges erzählen, doch leider ist er geisteskrank.
- Der einsame Planet (The Lonely Planet; 1949), S. 299-333: Alyx ist riesig, aber naiv, was die Menschen gnadenlos ausnutzen, bis sie es übertreiben.
- Schlüsselloch (Keyhole; 1951), S. 335-353: Die Bewohner des Mondes finden ihren eigenen Weg, um die lästigen Eindringlinge von der Erde schachmatt zu setzen.
- Kritische Differenz (Critical Difference; 1956), S. 355-398: Die Abkühlung ihrer Sonne bedroht die Bewohner zweier Kolonialplaneten; das Überleben hängt von der Einfallskraft der Betroffenen ab.
Die Zukunft steckt voller Möglichkeiten
Man nannte ihn den „Dekan der Science Fiction“, denn Murray Leinster (1896 geboren als William Fitzgerald Jenkins) hatte das Genre nicht nur mit aus der Taufe gehoben, sondern war ihm ein halbes Jahrhundert bis fast zu seinem Tod (1975) treu geblieben. 1917 und damit noch vor der ‚offiziellen‘ Geburt der meisten legendären SF-Magazine (ab 1926) begann Leinster zu schreiben. Er begleitete die trivialliterarische Zukunftsschau durch deren Evolution, schrieb nach 1945 Romane, stieg auf das Taschenbuch um, als die Pulp-Magazine nach und nach eingingen, und wandte seine Aufmerksamkeit immer stärker von der zukünftigen Technik ab und dem Menschen zu.
Diese Sammlung präsentiert 13 längere und kürzere Geschichten der Jahre 1934 bis 1956, Leinsters großer Zeit, in der er nicht nur spannend und plausibel unterhielt, sondern auch unter denjenigen war, die dem Genre jene Impulse gaben, die es schließlich zu einem anerkannten Zweig der Literatur aufwerteten. Die Genese wird deutlich, vergleicht man „Seitwärts in der Zeit“ von 1934 mit den Storys ab 1945. „Seitwärts ...“ ist jene Ereignis-SF, die in ihren „Goldenen Jahren“ weder auf die Naturgesetze noch auf die Grenzen des menschlichen Denkens Rücksicht nahm - zwar einfallsreich und angenehm zu lesen, aber simpel in Geschehen und Figurenzeichnung (obwohl es ohne das Konzept der parallelen Multiversen wohl weder „DC“ noch „Marvel“ gäbe).
Als Leinster 1956 in „Kritische Differenz“ die ‚pragmatische‘ Science Fiction (mit dem Schwergewicht auf „Science“) aufgriff, hatte sich sein Ansatz geändert. Planeteninspektor Massy findet heraus, wie eine Umweltkatastrophe auf zwei Planeten gemeistert werden kann, aber sein Weg dorthin ist keineswegs heldenhaft, sondern wird von Sackgassen und Selbstzweifeln begleitet: So werden Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Das einsame Genie, das in seinem Kellerlabor die Wissenschaft neu definiert, war für Leinster schon 1935 eine Figur, die höchstens für SF-Ulk taugt („Der Vierte-Dimensions-Demonstrator“).
„Der ist anders!“ - Die tödliche Konsequenz
Seit jeher ist dem Menschen das Fremde verdächtig. Was und besonders wen man nicht kennt, mag Böses im Sinn haben. Diese Haltung prägt ungeachtet aller (vorgeblichen) Fortschritte noch in der Gegenwart das Denken. Früher gab es nicht den Schleier des „politisch Korrekten“, der „sensible readers“ vor der Gewalt ‚böser‘ Wörter (und Weltanschauungen) schützen sollte. Deshalb nahmen die meisten SF-Autoren der „Pulp“-Ära kein Blatt vor den Mund, wenn sie Menschen auf Außerirdische treffen ließen. Als „BEM“ = „bug-eyed monster“, also glotzäugige Ungeheuer wurden sie beschrieben, die alle Erdmenschen (minus die schönen Frauen) ausrotten wollten und deshalb ausgetilgt werden mussten.
„Proxima Centauri“ aus dem Jahre 1935 demonstriert, dass auch Leinster dieses Plotmuster kannte. Zehn Jahre und einen Weltkrieg später hat sich daran nichts geändert, aber Feindschaft ist nun ein Problem, das gelöst werden kann. In „Erster Kontakt“ dekliniert Leinster sämtliche Argumente für und wider Kampf oder Vertrauen durch. Die Auflösung mag ein wenig naiv wirken, aber sie gibt immerhin der Koexistenz den Vorzug. „Erster Kontakt“ ist nicht grundlos in den Kanon der besten klassischen SF-Erzählungen eingegangen.
Mit der scheinbar vorprogrammierten Feindschaft und seinen Folgen hat sich Leinster schon vor, aber besonders nach 1945, als sich der „Kalte Krieg“ mit dem „Ostblock“ abzeichnete, oft beschäftigt. In „Die Ethischen Gleichungen“ verschärft sich das Problem aufgrund einer eher pessimistischen Weltsicht, die Leinster entwickelt hatte: Menschliche Hab- und Machtgier im Bund mit (bürokratisch gestützter) Rücksichtslosigkeit sorgen in „Pipeline zum Pluto“, „Symbiose“ und „Der einsame Planet“ für die eigentlich unnötige Eskalation der jeweiligen Krise.
Kommunizieren ist missverstehen
Dies thematisiert Leinster auch in „Der Mächtige“, obwohl er einen anderen Ansatz wählt: Mensch und Alien begegnen sich nicht in einer fernen Zukunft, sondern im irdischen Mittelalter. Die Tragik wurzelt im Nichtverständnis zweier Wesen, die nicht miteinander kommunizieren, sondern aneinander vorbeireden, weil sie nicht bemerken, dass sie ausschließlich eigene Wünsche auf ihr Gegenüber projizieren. „Der seltsame Fall des John Kingman“ geht nur ironisch betrachtet ‚glücklich‘ für den notgelandeten Alien aus, da die (Neu-) Gier des Menschen dafür sorgt, dass die Quelle unglaublichen Fortschritts zugeschüttet wird. Der Fremde überlebt, weil er - Leinster macht keinen Hehl daraus - in ein Stadium des Unwissens zurückgefallen ist und für seine Peiniger den Wert verloren hat.
In „Schlüsselloch“ entwickelt Leinster diesen Gedanken weiter: Hier stellt sich eine tragfähige Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Mondbewohner ein. Dass dies funktioniert, ist dem Geschick der Luna-Wesen sowie ihrer Vorsicht zu verdanken. Ihre besondere Gabe enthüllen sie erst, als die Würfel nur noch zu ihren Gunsten fallen können. In „Der einsame Planet“ ist nicht die Klärung, aber die ‚Auslagerung‘ des bekannten Dilemmas möglich, weil Alyx, der lebende Planet, sich in eine ferne Galaxis absetzt, wo ihn seine ängstlichen menschlichen Feinde nicht mehr finden werden.
Eigentlich prägt es die Science Fiction, dass so gut wie nichts, das ihre Autoren ‚vorausgesagt‘ haben, jemals eingetroffen ist. Manchmal allerdings gelingen Volltreffer. Als diese Sammlung 1978 (bzw. zwei Jahre später in deutscher Übersetzung) erschien, steckte das Internet noch in sehr kleinen Kinderschuhen. Deshalb erstaunt „Ein Logik namens Joe“ heute deutlich stärker als damals oder gar 1946, als Leinsters Story erstveröffentlicht wurde. Der „Logik“ ist ungeachtet der verwendeten Begriffe bis in die Details das Internet. Dann setzt Leinster noch eins drauf und stellt uns mit „Joe“ eine waschechte KI vor! Obwohl seine Geschichte humorvoll (bzw. klamaukig) gestimmt ist, transportiert sie bereits Vorstellungen bzw. Befürchtungen, die heute in diesem Zusammenhang sehr vertraut wirken.
Anmerkung: „Die besten Stories von Murray Leinster“ erschien hierzulande 1980 in einer denkwürdigen Taschenbuchreihe: „Playboy Science Fiction“ markiert tatsächlich die Kooperation mit jenem am Hals mit einer Fliege verzierten Häschen, das sich vom Patron nackt in Hochglanz fotografierter Frauen zu einem Franchise entwickelte, zu dessen Portfolio auch Hotels oder eben ein eigener Verlag gehörten. Unter dem „Playboy“-Häschen erschienen natürlich auch jene verdrucksten Ferkeleien, die das Magazin dominierten. Allerdings fehlten die Bilder, sodass man diese Reihen um Belletristik, Thriller, Sachbücher oder eben Science Fiction erweiterte. Solange diese Non-Nackt-Aktivitäten währten, erschienen im Namen des Langohrs durchaus hochwertige Titel. (Ray Bradburys ewiger Klassiker „Fahrenheit 451“ erschien 1954 zuerst als Serie im „Playboy Magazine“!) Die SF-Reihe ist vor allem in ihren ersten 25 oder 30 Titeln eine wahre Schatztruhe für die Liebhaber klassischer Science-Fiction-Kurzgeschichten, die hier oft erstmals sowie ausgezeichnet übersetzt und ungekürzt veröffentlicht wurden.
Fazit:
Ausgezeichnete Kollektion ebensolcher Kurzgeschichten eines Schriftstellers, der die Science Fiction über viele Jahre prägte. Der Unterhaltungswert ist durchweg hoch, was durch den Nostalgiefaktor noch unterstrichen wird: ein antiquarisches Beuteziel für die Leser alter, aber nur bedingt altmodischer Phantastik.

Murray Leinster, Moewig
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