Im Bann der Magie

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: Januar 2008
  • 1
Im Bann der Magie
Im Bann der Magie
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Carsten Kuhr
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2008

„Die Fantasy der Robin Hobb - leise Töne mit viel Tiefgang und Phantasie

Im Gerianischen Königreich hat König Troven den Befehl erteilt, die Grenzen auszudehnen. Nachdem das Reich in einem Jahrzehnte währenden Krieg seine Küstenprovinzen verloren hat, soll neuer Raum im kargen Osten erobert werden. Seit zwanzig Jahren treibt insbesondere die siegreiche Kavallerie des Königreiches die dort heimischen Nomaden vor sich her, schlägt deren Heere dank ihrer Feuerwaffen, deren Eisenkugeln dafür sorgen, dass die magischen Fähigkeiten der Schamanen wirksam und endgültig unterbunden werden. Mittlerweile hat man die Nomaden sesshaft gemacht und befriedet, die siegreichen Truppen aber stoßen am westlichen Ende des Reiches auf neue Feinde. Am Rande des Gebirges in den tiefen Wäldern lauern die Specks, magisch begabte Krieger, die die Kräfte der Natur, die Fleckseuche gegen ihre Gegner mobilisieren.

Die neu erschlossenen Länder werden von verdienten Soldaten bevölkert. Der König hat Kriegshelden in den Adelsstand erhoben, und mit entsprechenden Ländereien bedacht. Mit den jüngst ernannten Adeligen hat der König sich eine loyale Hausmacht verschafft, die den alteingesessenen Blaublütigen, die seinem Expansionsstreben reserviert gegenüberstehen, ein Dorn im Auge sind.

Nevare Burvelle, unser Erzähler, ist der zweite Sohn eines zweiten Sohnes. Schon im Buch des monotheistischen Gottes ist festgeschrieben, dass der erste Sohn eines Adeligen das Erbe seines Vaters antritt, der zweite als Soldat seiner Heimat dient, der dritte seine Zukunft im Klerus findet und der vierte sich den schönen Künsten widmen soll. Ausnahmen gibt es nicht, so dass die Jungen von klein auf auf ihre jeweilige Aufgabe vorbereitet werden. Nachdem er ein Jahr an der Akademie für angehende Kavalla-Offiziere in der Hauptstadt gedient hat, während dieser Zeit an der Fleckseuche erkrankte und genas, darf er nun zur Hochzeit seiner Bruders nach Hause zurückkehren. Doch schon auf der Reise muss er mit einer mysteriösen Gewichtszunahme kämpfen. Egal wie viel oder wenig er zu sich nimmt, welchen körperlichen Anstrengungen er sich auch unterzieht, der Wanst wächst und wächst. Sein Vater, der gefeierte Kriegsheld fällt aus allen Wolken, als er den schneidigen Jüngling, den er auf seinen Spuren zum Karrieristen im Heer seine Majestät glaubte, als Fettklos wiedersieht. Keiner seiner Verwandten glaubt ihm, dass die Magie, die ihm von den Naturvölkern angehext wurde, die Fettleibigkeit verursacht. Sein Vater bricht mit ihm, er wird enterbt und vom häuslichen Anwesen verjagt, die Entlassung von der Akademie kommt hinzu. Sein Weg führt ihn gen Osten, ins Land der Kidona und Specks, wo er zunächst als einfacher Soldat, als Wächter des Friedhofs eine Anstellung findet. Hier, in der Nähe des Waldes wird sein Fleck-Ich immer stärker. Als er versucht, die Leichenräubereien der Fleck, die die Verstorbenen im Wald zur Ehren ihrer Götter aufhängen, zu stoppen, erfährt er erstmals ein wenig mehr über seine Fettleibigkeit und deren Ursachen. Doch kann er wirklich als Mittler zwischen Waldbewohnern und Zivilisation, zwischen alt und neu, zwischen Natur und Technik wirken und will er das überhaupt?

Das Bild eines gebrochenen Mannes

Was hat Megan Lindholm unter ihren Pseudonym Robin Hobb nicht für tolle Romane vorgelegt. Ihr beiden Weitseher-Chroniken (dt. bei Bastei-Lübbe) um Fitz, den Königsbastard und Attentäter und die Romane um die lebenden Schiffe des Bingtowner Regenwaldes (dt. Blanvalet) boten herausragendes Lesefutter. Insbesondere die Zeichnung ihrer ungewöhnlichen Charaktere hoben die voluminösen Werke weit über die Konkurrenz hinaus. Um so gespannter wartete ich auf die Publikation ihrer neuen Trilogie, der bei Klett-Cotta die Weihen des Hardcovers angediehen wurden.

Wie nicht anders zu erwarten spinnt Hobb, um bei ihrem Pseudonym zu bleiben, ein ungewöhnliches Garn. Ganz bewusst stellt sie einzelne Personen in den Mittelpunkt des Geschehens. Wer große Schlachtengemälde sucht, wer Helden, die ihre Nation vor dem Untergang bewahren, erwartet, der ist bei Hobb definitiv an der falschen Stelle. Ihr geht es darum, nachvollziehbar aufzuzeigen, was ihren Protagonisten, denen sie immer viel zumutet, passiert, wie diese vom Schicksal gebeutelten sich bemühen zu überleben, den Mut nicht zu verlieren. Das sind Menschen, die von ihrem Leid geprägt sind, mit denen der Leser mitfühlt und Anteil nimmt, die dem Geschehen oftmals fast verbohrt und ungläubig gegenüberstehen.

Wenn der Fantasy-erfahrene Leser zum Beispiel nach einigen Kapiteln schon ahnt, was die Ursache der Gewichtszunahme ist, man dann aber miterleben muss, wie hilflos Nevare seinem Fluch gegenübersteht, dann möchte man am liebsten ins Buch springen und den Hauptcharakter schütteln, um ihm zu helfen.

Ähnlich wie im ersten, doch recht zähen Teil wartet der Leser vergebens darauf, dass Navare sich als charismatischer Anführer entpuppt und die Zügel des Geschehens fest in seine Hände nimmt. Keine Triumphe, keine großen Erkenntnisse warten auf uns, statt dessen die Schilderung des verzweifelten Versuchs, es allen recht zu machen, sich seiner Herkunft und Erziehung als würdig zu erweisen.

Dabei schluckt Nevare viel - Staub, Demütigungen, Beleidigungen, nur selten begehrt er auf, und dies zudem meist mit eher mäßigem Erfolg, wenn überhaupt. Nur langsam lernt der innerlich verunsicherte, fast gebrochene junge Mann sich selbst zu behaupten, entwickelt innere Stärke eher aus Zwang ob der Umstände, denen das Schicksal ihn aussetzt, als aufgrund eines normalen Erwachsenwerdens. Er hat schlicht weder die Zeit noch Kraft, geschweige denn ein Vorbild, an dem er sich ein Beispiel nehmen kann. Zu oft wurde er von Menschen, denen er vertraut hat, verraten und fallen gelassen, verletzt und angefeindet. Er muss erkennen, dass er letztlich nur ein Statussymbol war, dessen Wert angesichts seines Fluches ins Bodenlose gefallen ist, der schlicht eine Peinlichkeit darstellt, mit der sich niemand sehen lassen will, geschweige denn wirklich abgeben möchte. Lange - für den Leser viel zu lange - sperrt er sich gegen die Akzeptanz von Magie und seine mehr als unfreiwillige Queste. Das ist keine stromlinienförmige Hau-Ruck-Fantasy mit großen Gefühlen und weltbewegenden Taten, das ist das Bild eines jungen Mannes, der seine Bestimmung nicht anzunehmen bereit ist, der mit seiner Situation überfordert ist.

Die Sorge um die Umwelt, in der alle leben, ist ein Thema, das im Verlauf des Buches immer wichtiger wird. Daneben aber geht es um Probleme wie Gleichberechtigung, die Entwicklung junger Menschen, gesellschaftspolitische Entwicklungen, Not und Verelendung, politische Ränke. Die Auseinandersetzung des Gerianischen Königsreiches mit den Stämmen erinnert in vielem, nicht zuletzt in der Bewaffnung und dem Triumph der berittenen Weißen gegen die Naturvölker, frappierend an die Kämpfe der weißen Eroberer gegen die Indianer.

Dennoch ist dies nicht einfach ein historischer Roman, der in einer fiktiven Welt angesiedelt ist. Nie im Vordergrund, aber die Handlung ständig unterschwellig begleitend, sind die übernatürlichen Sequenzen Bestandteil der Handlung, bestimmen das Verhalten der Stämme, wie sie auch das Denken und Erleben unseres Protagonisten beeinflussen.

Die komplexe Ausgestaltung der Gesellschaft und der nie wirklich obsiegende Held machen die Lektüre nicht eben einfach. In anderen Werken aus Hobb´scher Feder fand man sich als Leser wesentlich leichter in die Handlung ein, sympathisierte mit dem Erzähler, litt und triumphierte mit diesem. Das ist vorliegend nicht so. Die ganze Ausgestaltung des Erzählers lässt eine solche Nähe, ein „Hineinschlupfen" kaum zu. Statt dessen begleiten wir Nevare zwar interessiert aber distanziert, verstehen wir seine Motivation, seinen anfänglichen Willen, es seinem Vater recht zu machen, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen und seine Unfähigkeit, sich von den Erwartungen, die an ihn gestellt werden zu lösen. Auffällig auch, dass neben Nevare fast keine Gestalt wirklich dauerhaft auftaucht, und entsprechend ausführlich vorgestellt wird.

Bestechend, dass der Leser selbst zum Schluss des zweiten voluminösen Bandes nicht einmal annähernd ahnen kann, wie die Autorin ihre Handlungsfäden zusammenführen, ihre Gordischen Knoten letztlich auflösen wird. So bleibt die Spannung gewahrt, nimmt uns ihr Protagonist mit seinem schweren Schicksal für sich ein und fasziniert uns ihre dezidiert ausgearbeitete Welt.

Im Bann der Magie

Robin Hobb, Klett-Cotta

Im Bann der Magie

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