Der Zeitsprung - Farnhams Oase

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1967
  • 1
Der Zeitsprung - Farnhams Oase
Der Zeitsprung - Farnhams Oase
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Michael Drewniok
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2006

 Apokalypse als Glücksfall für wahre US-Amerikaner

In diesen 1960er Jahren artet der Kalte Krieg zwischen Ostblock und Westmächten zum III. Weltkrieg aus, der wie erwartet mit Atomwaffen geführt wird. Im mittleren Westen der USA hat Tatmensch Hugh Farnham mit dem Schlimmsten gerechnet und unter seinem Haus einen Bunker angelegt. Als die Raketen explodieren, geht er mit Gattin Grace, Sohn Duke, Tochter Karen, Hausdiener Joseph und der zufällig anwesenden Barbara Wells unter die Erde.

Die sechs Menschen überleben den Angriff. Anders als von Farnham senior befürchtet stellen nicht Zerstörung, Radioaktivität oder der Rückfall in die Barbarei die eigentlichen Probleme dar, als sich das Bunkertor wieder öffnet: Tatsächlich zeigt die Umgebung keinerlei Kriegsschäden, sondern ist ein Paradebeispiel für völlig unberührte sowie menschenleere Natur. Offenbar hat eine direkt über dem Bunker explodierende Bombe diesen zwei Jahrtausende in die Zukunft geschleudert, wie sich später ergibt.

Ratlos richtet die kleine Gruppe sich ein. Zwar hat der ältere Farnham Vorsorge für einen Neubeginn getroffen, doch nicht jede/r will sich seinem kategorischen Führungsanspruch unterwerfen. Die Probleme rücken in den Hintergrund, als doch Menschen auftauchen und die Zeitreisenden gefangen nehmen. Die Gesellschaft dieser Zukunft baut auf Sklaverei, bis Hugh Farnham die Aufmerksamkeit des mächtigen Fürsten Pense erregt, der ihm eine hohe Stellung in seinem Hofstaat verschafft.

Den Preis - die vollständige Aufgabe der Freiheit - will Farnham jedoch nicht zahlen, zumal er überaus hässliche Aspekte der scheinbar menschenfreundlichen Diktatur entdeckt. Farnham will flüchten, doch nicht einmal auf seine Familie kann er sich verlassen...

Völlig fehlinterpretiertes Vorbild

1961 hatte Robert A. Heinlein das in seinem Fall eigentlich Unmögliche geschafft: Mit „Stranger in a Strange World“ (dt. „Ein Mann in einer fremden Welt“) war ihm ein Science-Fiction-Epos geglückt, das nicht nur seine übliche Leserschaft erreichte, sondern auch jene jüngere Generation aufhorchen ließ, die sich wenige Jahre später zur „Hippie“-Bewegung formieren würde. Dass ausgerechnet er, der ganz sicher kein Freigeist war, in diesen Kreisen zu einer Leitfigur wurde, befremdete und ärgerte Heinlein beträchtlich. Denken und handeln sollten nach seiner Meinung zwar unbedingt frei sein, aber gleichzeitig einer strikten Disziplin folgen. Das Glück war nach Heinlein ausschließlich mit den Tüchtigen, die es sich hart erarbeiten und bewahren mussten. „Love & Peace“ waren daher keine Begriffe, mit denen er sich identifizieren konnte.

Das stellte Heinlein in weiteren Romanen klar. Gleichzeitig war er keineswegs weltfremd und erkannte durchaus, dass sich in den USA ein gesellschaftlicher Wandel mit weitreichenden politischen und kulturellen Folgen anbahnte. Auf seine Weise war Heinlein bereit; schon früher hatten ihn US-Realitäten gestört, die er deshalb in seinen Werken kritisiert und vorbildhaft ‚verbessert‘ hatte.

Mit „Farnham’s Freehold“ setzte er sich 1964 zwischen alle Stühle. Den „Falken“ unter seinen Lesern war er zu ‚weich‘ geworden, während die ‚Tauben‘ entsetzt Heinleins Vision einer Zukunft verfolgten, die von brachialen ‚Werten‘ geprägt wurde, denen der Autor kaum verhohlen durch seinen Stellvertreter Hugh Farnham Geltung verschaffte.

Ratloser Autor in einer ihm fremdgewordenen Welt

„Mr. Farnham war an die Fünfzig. Sein Haar wurde bereits grau und schütter. Er selbst wirkte mager, wenn man von dem Bäuchlein absah … Er war nicht sehr hübsch, aber männlich.“ (S. 12) Schon diese kuriose Beschreibung lässt aufhorchen. Vor allem der Heinlein-geprüfte Leser erinnert sich an die zwar alternden, aber niemals an Kraft, Entscheidungsgewalt und Potenz verlierenden Leitbullen, mit denen der Autor seine späteren Werke bevölkerte und in denen er sich selbst spiegelte.

In der Tat lebt Hugh Farnham buchstäblich auf, als die Bomben fallen: Er hat sich vorbereitet und scheint der Apokalypse förmlich entgegengefiebert zu haben, um einem festgefahrenen Leben einen Neustart zu ermöglichen - in jeder Hinsicht: „Was hatte diese Frau für ein Recht, heimlich zu trinken, fett zu werden und sich gehen zu lassen, wenn sie mit so einem Mann verheiratet war? … Müssen Frauen irgendwann nervtötend und nutzlos werden?“ (S. 12) Im Leben vor dem Untergang ist Farnham durch Gesetz und Moral an eine Gattin gefesselt, die seine (noch) heimliche Verehrerin, die (deutlich) jüngere, hübsche und mannbare Barbara später mitleidsfrei aus dem Rennen um das Überleben in einer (zunächst) zivilisationsfernen Zukunft wirft.

Der Welt, die ihr feuriges Ende findet, trauern weder Farnham noch Heinlein nach. Sie blenden die Opfer aus und konzentrieren sich auf das Positive: „Die Jungs beim Militär sind verhältnismäßig sicher. Und die Zivilisten, die Köpfchen genug hatten, sich gegen den Krieg zu rüsten, dürften eher durchkommen als die anderen … Das wird die Spezies verbessern.“ (S. 49) Ansonsten gilt, was Farnham als Begründung seines Bunkerbaus äußert: „Weil ich nicht zulassen will, dass dieser schweinsgesichtige Bauer, der auch noch die Manieren eines Schweins hat, mich aus meinem Haus vertreibt. Ich bin ein freier Mann und will das auch bleiben.“ (S. 17/18) Zwar spricht Farnham hier über Nikita Chruschtschow, den sowjetischen Regierungschef, doch dies entspricht auch seiner Meinung über Pense.

Mit voller Kraft - gegen die Wand

Heinlein wich einer Herausforderung niemals aus. Zeitgenössische Probleme kommentierte er gern - und sorgte wie bereits eingangs beschrieben für Interpretationen, die einfallsreich und witzig oder haarsträubend dämlich bis offen beleidigend waren. Schon seine Planungen zur Neubevölkerung der Erde schließen praxisorientiert Inzest keineswegs auf. Ganz Heinlein ist auch die Konzeption einer postatomaren Gesellschaft, die auf einer muslimisch geprägten und nicht mehr ‚weiß‘ geprägten Herrschaftsbasis ruht - an sich eine interessante Idee. Heinlein fällt jedoch nichts Besseres = Schlechteres ein, als eine plumpe Umkehrung US-historischer und zeitgenössischer Verurteile zu propagieren: Die neuen Herren sind dunkelhäutige Sklavenhalter, die sich schließlich sogar als Kannibalen entpuppen.

Der Mittelteil dieses Romans wird durch pseudo-philosophische Debatten über das Wesen der Freiheit dominiert. Pense ist ein ‚freundlicher‘ Tyrann, intelligent, lernoffen und nicht bereit, sich in ein hofzeremonielles Korsett pressen zu lassen, gleichzeitig jedoch berechnend, brutal und zynisch. Hier ist Heinlein eine gleichermaßen abstoßende wie faszinierende Figur gelungen, die er aufs Abstellgleis schiebt, als in Hugh Farnham urplötzlich der freiheitsliebende US-Amerikaner neu erwacht, der sich über viele Seiten damit begnügt hatte, sich in Penses Hofstaat einzuleben.

Solche Brüche in der Charakterisierung sind zahlreich. Ex-Hausdiener Joseph will nicht wie Farnham neu anfangen, sondern ergreift erfreut die Chance, sich für erlittene Demütigungen als „Nigger“ in den untergegangenen USA zu rächen. Farnham-Sohn Duke mutiert zum Rassisten, bevor er sich Pense ergibt und daraufhin vom Vater als Sohn ‚aufgegeben‘ wird. Auch Gattin Grace bleibt in der Zukunft zurück, als Penses Hof-Wissenschaftler urplötzlich eine Zeitmaschine aus dem Hut ziehen und Farnham, den rebellischen Wilden von Gestern, nicht etwa umbringen, sondern umständlich in die Vergangenheit zurückschicken.

Der alte Mann steht voll im Saft

Inzwischen wachsen Hugh Farnham zwar keine neuen Haupthaare, aber er hat seinen Wanst verloren und die schöne Barbara geschwängert - mit Zwillingen selbstverständlich. Die Ehe mit der dicken Grace betrachtet Farnham als aufgelöst - immerhin ein Vorteil der Zukunft, denn außer Sohn Duke erhebt niemand deshalb Einspruch. Bis sie wieder handlungsrelevant wird, parkt Heinlein Barbara und die Babys in Penses Harem, wo sie der Herr dieses Ortes in Ruhe lässt; Barbara ist ihm ohnehin zu selbstständig, hinzu kommt ihr lauthals verkündeter Entschluss, lieber sich und die Zwillinge zu töten, als von Farnham senior zu lassen. (Als Joseph ihr enthüllt, wie er sich an Duke und Grace rächen wird, spuckt Barbara ihm ins Gesicht. Heinlein fürchtet offenkundig die Revanche nun gleichberechtigter Minderheiten und verurteilt sie vorsorglich.)

Vor allzu grobschlächtigen Heinlein-Ideen schützten uns deutsche Leser die früher erschienenen Ausgaben dieses Romans, der hier erstmals ungekürzt erscheint. Was mit dem Blick auf die (literarische) Zeitgeschichte durchaus erfreulich ist, erschreckt durch den nunmehr ungefilterten Fundamentalismus, die freizügig gemeinten, tatsächlich peinlich missratenen Sexismen, die pathetischen, aber hohlen Pionier-Predigten, die Hugh Farnham so gern hält.

Zudem zerfällt „Zeitsprung“ - der ‚neue‘ deutsche Titel ist absolut überflüssig - in drei schlecht miteinander verknüpfte Groß-Kapitel. Der Apokalypse folgt der Überlebenskampf im Post-Doomsday-Amerika. Weiter geht es mit dem Kampf gegen Penses Privat-Diktatur, der ein Zeitsprung - da ist er dann doch - zurück in die Vergangenheit führt, die - Heinlein tröstet seine von der ‚schwarzen‘ Zukunft entsetzten Leser - sich in Details verändert hat, was eine Veränderung des Zeitstroms andeutet.

Die Farnhams sind vorbereitet - als Familie sitzen sie in „Farnham’s Freehold“ - Farnharms von allen altmodisch-degenerierten Gesetzen und Regeln befreiten Miniatur-Reich - auf einem Berg gehorteter Vorräte, Werkzeuge und Waffen; über allem knattern die „Stars & Stripes“: Im zweiten Anlauf werden die von der Spreu getrennten Rest- und Neu-Farnhams ihren Teil dazu beitragen, die Zukunft im Heinlein-Stil zu ‚verbessern‘.

Der Zeitsprung - Farnhams Oase

Robert A. Heinlein, Heyne

Der Zeitsprung - Farnhams Oase

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