Somnia

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 3
Somnia
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Carsten Kuhr
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2008

Das Mädchen ohne Gedächtnis und der Krieg der Engel

Ihr Name ist Scarlet Hawthorne. Wir lernen die junge Frau kennen, als sie ohne Erinnerung - wer sie ist und wie sie hierher kam - im winterlichen New York von etwas angegriffen wird, das es eigentlich nicht geben dürfte. Wendigos nennt man die Wesen, blutfressende Geister trachten ihr offensichtlich nach dem Leben. Aber warum nur, und was schützt sie - noch zumindest - vor den Angriffen?

Ihre Flucht bringt sie in Kontakt mit einer Frau - Mistress Anthea Atwood -, die sie zunächst vor den Werwölfen rettet. In ihrem Heim, einer alten Mühle, fasst sie den Entschluss. herauszufinden, was um sie herum vorgeht. Wer ist sie, was ist das für eine Welt, die unbemerkt von den meisten Menschen anscheinend existiert, und was hat das alles mit ihr zu tun?

Die Spur führt sie in die Metropole unter der Stadt. Hier haben sich Elfen, Engel und andere Wesen angesiedelt, hierher zog es in letzter Zeit viele der Wesen aus der Stadt der Schornsteine. Das Leben in der Metropole unter London ist nicht mehr das, was es einmal war. Eine neue Regentin schwingt das Zepter, ein geheimnisvoller Berater hat dafür gesorgt, dass die Engel und ihre Freunde gnadenlos verfolgt werden.

Nach Gotham emigriert werden die ehemaligen Heerscharen des Träumers jedoch weiter bedroht. Eistote und Schläfer findet man überall im Big Apple, Kinder verschwinden aus der Stadt unter der Stadt, Luzifer und Lilith scheinen ihre Schreckensherrschaft von neuem zu beginnen. Auf der Suche nach ihren Erinnerungen und Wurzeln begibt sich Scarlet immer tiefer in diese für sie unbekannte Welt - eine Welt aber, zu der sie eine Verbindung hat. Über Gotham findet sie Zugang zu den Neverglades, besucht Chinadowntown und wird schließlich in der Hölle in einen uralten Konflikt verwickelt - oder ist doch alles nur ein Traum....?

Die Fortsetzung einer abgeschlossenen Geschichte

Christoph Marzi katapultierte sich mit seiner Emily Laing Trilogie auf die Bestsellerlisten. Mit seinen Geschichten um die Uralten Metropolen, um Götter, Engel und Elfen, Luzifer und den Träumer verband er auf ganz eigene, innovative Weise eine anrührende Geschichte um ein junges Waisenmädchen mit der Darstellung eines historisch überzeugenden Londons und einer Stadt unter der Stadt. Diese Geschichte, die dem Leser in den Romanen Lycidas, Lilith und Lumen präsentiert wurde, ist in sich abgeschlossen.

Aber wie sagte Wittgenstein immer so treffend - es gibt keine Zufälle. Und so ist es auch kein Zufall, dass im vierten Band um die Uralten Metropolen alte, bekannte Gesichter auftauchen. Seinen es Herr Fuchs und Herr Wolf, Lucifer und Lilith, ja auch Wittgenstein selbst haben ihren Platz in vorliegendem Buch. Dabei ist es aber keine simple Fortsetzung geworden. Nein, die Geschichte der Laing ist erzählt. Hier geht es um die Auseinandersetzung zwischen dem Lichtlord und dem Träumer, zwischen dem gefallenen Engel und seinem ehemaligen Herren, auch wenn dies erst spät deutlich wird.

Verpackt in eine Handlung, die erneut den Phantasiereichtum Marzis dokumentiert, die vor bizarren Einfällen nur so strotzt, lässt sich der Leser von einem New York verzaubern, wie er es so bestimmt noch nie zu Gesicht bekommen hat. Ein New York aber auch, das merkwürdig unscharf bleibt. Sicherlich es gibt den Ground Zero, die Freiheitsstatue, Madison Square Garden, den Central Parc und Greenwich Village, doch so richtig mitspielen tut der Big Apple nicht.

Auffallend, dass der Autor immer wieder zwischen einem allwissenden Erzählstil und der Ich-Erzählung aus Sicht von Mistress Atwood wechselt. Diese Wechsel werden sehr bewusst auch mitten in Kapiteln eingesetzt, bewirken zum Einen, dass der Leser mitten in der Handlung eine andere, erhellende Sichtweise auf die Vorgänge bekommt, und sorgt zum Anderen dafür, dass wir direkter in die Handlung eingebunden werden.

Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass mich das Geschehen nicht ganz so in seinen Bann zog, wie in den ersten drei Bänden. Dies mag damit zusammenhängen, dass Scarlet als Protagonistin lange nicht die charismatische Person ist wie es Emily war. Zu sehr wird Scarlet von den Ereignissen, die ihr widerfahren, beherrscht, zu unscharf bleibt sie insbesondere zu Beginn des Romans, als sie sich selbst und ihren Platz im Geschehen sucht.

Und auch New York und die Stadt unter der Stadt bleiben gegenüber den Settings in London und Paris doch ohne wirkliches Flair. Zu sehr steht die Suche nach der Aufklärung um Scarletts Vergangenheit im Mittelpunkt der Handlung, als dass viel Platz für die Darstellung der unterirdischen Metropole bleibt. Dabei sind faszinierende Ansätze vorhanden. Der gestrandete Walfänger aus Moby Dick komplett mit Überlebenden aus Melvilles Roman, die Neverglades mit ihren intelligenten Alligatoren oder Chinadowntown natürlich mit Drachen, das sind Orte voller Farbe und Atmosphäre, über die ich nur zu gerne mehr erfahren hätte. Allein diese Schauplätze werden nur gestreift, sind lediglich Pappkulisse für die Handlung. Lange Zeit bleibt die Suche unserer Protagonistin nach sich selbst im Zentrum des Geschehens. Erst spät offenbart der Autor, was wirklich hinter den Vorgängen, deren Zeuge wir werden, steckt.

Der Krieg selbst, die Täuschung in der Täuschung, der Traum im Traum, das eigentliche Finale kommt dann abrupt und wird kurz, um nicht zu sagen zu kurz regelrecht abgehandelt. Zwar erhalten wir Erklärungen für die Fährnisse unserer Heldin, doch so richtig befriedigen oder gar mit ihrem Schicksal versöhnen konnten mich diese nicht. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Christoph Marzi sich ein wenig in seiner Handlung verloren hat. Zum Finale hin überstürzen sich die Ereignisse, werden wir von Offenbarungen förmlich erschlagen.

Zwar besticht der Roman mit tollen Ideen, doch macht der Autor letztlich zu wenig daraus, um im Vergleich mit seiner Bestseller-Trilogie oder den Jugendbuch-Titeln aus dem Arena Verlag wirklich punkten zu können.

Somnia

Christoph Marzi, Heyne

Somnia

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