Allem Fleisch ein Greuel

  • Edition Medusenblut
  • Erschienen: Januar 2005
  • 0
Allem Fleisch ein Greuel
Allem Fleisch ein Greuel
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Elmar Huber
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2008

Ambitionierte Anthologie, die sich dem Thema Wahnsinn widmet

";Bei der Bitte meines Freundes Darby, ihn auf seinem Backsteinlandsitz außerhalb von Terrence, Missouri, zu besuchen, schien es sich um eine ganz harmlose Einladung zu handeln."
(Matt Cardin - Allem Fleisch ein Greuel)

Innenansichten von vermeintlich Verrückten. Was ";sieht" ein solcher; wie ist seine/ihre Wahrnehmung der Dinge; was ist die Rechtfertigung für seine/ihre Taten? Um die Wahrheiten von Besessenen geht es in dieser Kurzgeschichtensammlung von Eddie M. Angerhuber und Boris Koch, die talentierte deutsche Autoren und noch eher unbekannte angloamerikanische Namen zusammenbringt.

Der Bewohner eines Mehrfamilienhauses leidet unter des Auswirkungen des Sommers. Unbestimmte Ausdünstungen, Fliegen, streitende Nachbarn, Schlaflosigkeit und damit verbundene Trägheit wirken mit nicht abzusehender Wirkung auf ihn ein, während ";Die gelbe Zeit" herrscht..

Die surreale Übersteigerung der Hochsommerzeit in einem Mehrfamilienhaus, garniert mit einigen Leichen. Ständig fragt man sich, was real ist und was wohl lediglich im Kopf des Erzählers passiert oder was in den Erzählpausen geschehen ist. Eine Geschichte wie ein lichtdurchfluteter Alptraum. Leider nicht wirklich eine Erstveröffentlichung, da diese Geschichte bereits auf den Internetseiten von Thomas Wagner zu lesen war.

Eine Frau gerät bei einem Museumsbesuch in den Bann einer Maske, stiehlt diese und wird verhaftet. Nachdem es ihr während des anschließenden Verhörs gelingt, die Maske nochmals in die Hände zu bekommen und anzulegen eröffnet sich ihr ";Die Geschichte der Äonenwürmer".

Nachdem die Maske angelegt wird, springt die Geschichte in eine Fantasyhandlung um Eifersucht und Brudermord. Nach dem Abnehmen der Maske wird klar, das währenddessen in der Realität ebenfalls ein Mord verübt wurde.

Eine wahre Clownphobie entwickelt derjenige, der die Wahrheit ";Hinter dem bemalten Gesicht" erkennt. Nämlich, dass schon von klein auf eine Konditionierung durchgeführt wird, mit Clowns immer Unbeschwertheit und Spaß zu verbinden. Dabei wird man von den Clowns verfolgt und bedrängt, bis man selbst einer von Ihnen ist.

Leider findet die Geschichte am Ende nicht wieder in die Realität zurück, sondern entschwindet in ein traumhaftes Finale. Die Idee der bedrohlichen Clowns wurde bereits mehrfach verwendet. Ansonsten eine sehr gute, nachdenkenswerte Geschichte.

Auf einer Waldlichtung stehen zwei geheimnisvolle, verwitterte Statuen. Der Protagonist versucht, das Geheimnis dieser ";Steinernen Träume" zu ergründen und wühlt damit ein dunkles Kapitel der kommunalen Vergangenheit auf, bis er von dieser Vergangenheit eingeholt wird.

Diese Geschichte weist alle Versatzstücke Siefenerscher Schreibtradition auf (tragischer Verlust, Ortswechsel, klerikales Rätsel). Die Geschichte ist sehr atmosphärisch und liest sich flüssiger als ältere Veröffentlichungen von Siefener. Thematisch wird hier allerdings nichts Neues geboten.

Überzeugt von der kreativitätsfördernden Wirkung eines Joints, der in die Seiten eines Wörterbuchs eingeschlagen ist, probiert ein Schriftsteller eine neue Droge aus, die noch wesentlich mehr Inspiration bringen soll. Nach oder während des Drogentraums findet er sich als ";Nummer" (im übertragenen Sinn) wieder, der einen Vertrag mit seinem Blut unterzeichnen soll.

Nach einem vielversprechenden Anfang wird die Story während des Deliriums leider sehr abgehoben und endet auch unvermittelt, ohne einen Anker in der Realität zu bieten. Die Teile, die in der Realität spielen, sind sehr gut gelungen. Die gefühlte Zeitverzögerung und die vermeintlich gesteigerte Beobachtungsfähigkeit und Schärfenzunahme während der Wirksamkeit des Marihuana-Deliriums sind sehr nachvollziehbar geschildert.

Ein Walfänger nimmt eine Schiffbrüchige in sein einsames Haus auf. In dem Anwesen finden sich dreizehn Kammern, von denen zwölf mit exotischen Schätzen von seinen Reisen und Walfängen gefüllt sind. Trotz seiner Bitte ";Die dreizehnte Kammer" nicht zu öffnen, kann sie der Versuchung nicht widerstehen und entdeckt das grausame Geheimnis ihres Liebhabers.

Bei Licht besehen ist die Geschichte keineswegs neu. Es gelingt dem Autor allerdings eine neue Form dafür zu finden. Jörg Kleudgen bleibt seinem Lieblingstypus des empfindsamen Einzelgängers treu, dem es nicht vergönnt ist, Gesellschaft zu finden. Obwohl er sich auf vertrautem Feld bewegt (maritime Umgebung, einsamer ";Held", unmögliche Liebe), ist ";Die dreizehnte Kammer" stilistisch wohl mit das Beste was Jörg Kleudgen bisher geschrieben hat. Genial ist die Parallelmontage im letzten Kapitel, in dem die Schiffbrüchige erkennt, was in der verbotenen Kammer passiert ist und gleichzeitig auf See ein Wal erlegt wird.

Die Hauptfigur bekommt von einem zeitweise verschollenen Freund eine Einladung auf dessen Landsitz. In Erwartung des Auflebens vergangener gemeinsamer Abende nimmt er an. Statt des erwarteten Austauschs von selbstvermitteltem Expertenwissen erwartet ihn eine Runde Fremder und eine Geschichte über die Gründung einer Kirche, die sich dem angeblich unverfälschten Urglauben verschrieben hat, bei dem Gott noch als strafender Gott dargestellt ist, und dessen Anhänger ";Allem Fleisch ein Greuel" sind.

Der Erzähler ist ein unkomplizierter Jedermann, mit dem sich wohl jeder Leser leicht identifizieren dürfte. Die Umkompliziertheit spiegelt sich auch in Cardins Schreibstil wieder, so dass der Geschichtenverlauf ungekünstelt ist und die Reaktionen der Hauptfigur für den Leser immer absolut nachvollziehbar bleiben. Die Geschichte an sich wird gegen Ende leider wenig verfolgbar und man fragt sich, was denn nun eigentlich passiert ist. Die Motivation des Übernatürlichen bleibt leider unklar. Dennoch sollte man sich Matt Cardin aufgrund seines ungekünstelten und klaren Stils merken.

Die Auswirkungen leichter Versätze im Kopf der Figuren

Die Gemeinsamkeit der Geschichten, die sich für mich erst bei nochmaliger Lektüre gezeigt hat, ist stets der Realitätsverlust der Hauptpersonen. Es ist Eddie Angerhuber und Boris Koch zweifellos verlegerischer Mut zu bescheinigen, eine solche Anthologie mit (für die überwiegende Buchkundschaft) ausnahmslos No-Name-Autor/Innen zu veröffentlichen. Noch dazu, weil die Thematik der Geschichten eher nicht greifbar ist, also keine Vampire, Hexen, Dämonen und anderes personifiziertes Gruselgeschmeiß ist, sondern die Auswirkungen leichter Versätze im Kopf der Figuren beschreibt.

Die Übersetzungen der im Original englischsprachigen Geschichten durch Eddie M. Angerhuber sind sehr gut und dem Thema Realitätsverlust angemessen. Sie versteht es, die rationalen Teile ebenso treffgenau umzusetzen wie die Teile, die sich in den Köpfen der Figuren abspielen.

Das Buch ist sauber gesetzt und gedruckt (übrigens in Deutschland, was keine Selbstverständlichkeit mehr ist); das Cover dürfte allerdings leider wenig zum Kauf animieren. Ich denke, es handelt sich um eine Veröffentlichung, die am ehesten die Stammleser anspricht. Trotzdem möchte ich das Buch auch allen Neugierigen empfehlen.

Allem Fleisch ein Greuel

Boris Koch, Edition Medusenblut

Allem Fleisch ein Greuel

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