Infiziert

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 15
Infiziert
Infiziert
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Jochen König
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2008

Blutfontänen und überbordendes Grand Guignol

Martin Brewbaker hat einen denkbar schlechten Tag. Er sitzt benzindurchtränkt in seinem Bad, eine Axt in der Hand. Kurz zuvor hat er bereits seine Familie massakriert. Als zwei CIA-Agenten in seine Privatsphäre eindringen, hackt er sich die Beine ab, und setzt sich anschließend in Brand. Nicht ohne noch einen der beiden Agenten lebensgefährlich zu verletzen. Vor dem Mehrfachmord ein unbescholtener Bürger und liebevoller Familienvater, stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum? Die Antwort ist einfach: eine Hand voll dreieckiger Wucherungen, die seinen Körper befallen haben, scheinen ihn in den mörderischen Wahnsinn getrieben zu haben. Dummerweise ist er nicht der einzige, dessen durchschnittliches Leben mit einer wahnsinnigen Bluttat endet. Scheinbar unmotivierte Gewalttaten im Zusammenhang mit dem Wort "Dreiecke" wecken das Interesse des CIA. Zunächst vermuten die Epidemiologin Margaret Montoya und ihr Kollege Amos einen terroristischen Akt hinter den Infektionen, was der Wahrheit ziemlich nahe kommt. Zumindest wenn man es kosmisch betrachtet. Nichts liegt dem Ex-Footballstar Perry Dawsey ferner, der zunächst einmal mit dem Juckreiz beschäftigt ist, den sieben Infektionsherde auf seinem Körper verursachen. Was zunächst wie eiternde Pickel oder Insektenstiche aussieht, wächst zum Schrecken Dawseys schnell heran und beginnt sein ganzes Sein zu bestimmen. Er kann sich bei weitem nicht so viel kratzen wie es juckt. So greift er zu wesentlich drastischeren Maßnahmen, um seinen Körper wieder in den Griff zu bekommen. Radikalkur.

Scott Siglers Infiziert hat etliche Passagen tiefschwarzer Komik zu bieten, aber den größten Lacher beschert uns der Buchdeckel. Dort wird nämlich Publishers Weekly mit den großen Worten zitiert, Infiziert sei ein "erschreckend realistischer Horrorthriller". Der Roman mag ja vieles sein, nur eins ist er nicht: realistisch. Sigler präsentiert seine finstere Geschichte auf über 500 Seiten und entzündet ein makabres und abstruses Feuerwerk, das seinesgleichen sucht. Was beginnt wie ein Alptraum, den CIA und Heimatschutzbehörde gemeinsam träumen, entwickelt sich zur Geschichte einer feindlichen Übernahme, an der Robert A. Heinlein und sämtliche interstellaren Körperfresser ihre reinste Freude gehabt haben dürfen.

Eine Infektion befällt mehr oder weniger rechtschaffene Menschen und verwandelt sie in mörderische Bestien. Glaubt die in den Diensten der CIA stehende Epidemiologin Margaret Montoya zunächst an eine geschickte terroristische Infiltration, mehren sich nach den ersten Untersuchungen der zerfließenden Überreste Martin Brewbakers Zweifel an dieser Theorie. Denn hinter den gemeingefährlichen Sporen verbergen sich hochentwickelte Organismen, die kaum einem irdischen Labor entstammen können. Das dem tatsächlich so ist, erfährt der Leser eindringlich am bedauernswerten Schicksal des ehemaligen Footballstars Perry Dawsey. Gebeutelt von Erinnerungen an seinen gewalttätigen Vater und seine eigene cholerische Natur, plagen ihn auch noch sieben Entzündungsherde an teilweise kompromittierenden Zonen seines Körpers. Was zuerst nach juckenden Insektenstichen aussieht, wächst sich zu dreieckigen Wucherungen aus, die ein eigenes Bewusstsein entwickeln, dass das des infizierten Opfers langsam überlagert.

Die Pyramide mit dem Allsehenden Auge

Auch wenn der Klappentext so tut, als stünde Margaret Montoya im Mittelpunkt des Romans - sie ist bestenfalls eine exponierte Nebenfigur, ebenso wie der abgebrühte CIA-Agent Dew Philllips - gehört der meiste Raum Dawsey und seinem blutigen Kampf gegen einen Körper und einen Geist, der sich gegen seinen ursprünglichen Besitzer auflehnt. Der schmerzerprobte Ex-Sportler setzt sich auf äußerst rabiate Weise gegen die Infektionsherde zur Wehr. Als echter Mann kommt ein Arztbesuch für ihn natürlich nicht in Frage. Warum auch, bietet doch der durchschnittliche amerikanische Haushalt genügend Instrumente für den konsequenten Heimwerker-Chirurgen. Das Titelbild der deutschen Ausgabe ziert nicht umsonst eine Geflügelschere.

Fleisch und Schmerz müssen überwunden werden. Sigler zelebriert dabei ein überbordendes Grand Guignol, in dem Blutfontänen nur so spritzen. Von dezenten Andeutungen hält er wenig. Und beschreibt so auf berserkerhafte Weise eine der größten Ängste, die Menschen verfolgen. Nicht mehr Herr des eigenen Körpers zu sein, ist ein Horrorszenario, das tödliche Krankheiten tagtäglich allerorten abrufen; aber auch noch das eigene Bewusstsein an eine fremde Macht zu verlieren, ist der persönliche Super-Gau, den es mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln zu bekämpfen gilt.

Die Ohnmacht, in einem Körper gefangen zu sein, der seinem geistigen Herbergsvater allmählich entgleitet, ist das bestimmende Thema des Romans. Die außerirdische Invasionsgeschichte wird eher beiläufig und auf leicht absurd-komische Art abgehandelt. Ähnelt Siglers Vorhut aus dem All doch den hyperaktiven Marsianern aus Tim Burtons "Mars Attacks". Doch wo bei Burtons Film Countrymusik das Ende der kleinen, bösartigen Außerirdischen bedeutet, zieht Sigler leider eine konventionelle, militaristische Variante vor. Andererseits hat die Vorstellung, dass die geballte Militärmacht USA gegen eines ihr Lieblingssymbole mit aller Konsequenz vorgeht, einen großen humoristischen Reiz. Denn die infektiösen Vorbereiter einer extraterristischen Invasion sind nichts anderes als Nachbildungen eines der populärsten amerikanischen Symbole: der Pyramide mit dem Allsehenden Auge, die jeden Dollarschein ziert. Zur besseren Beweglichkeit hat Cthulhu ihnen ein paar Tentakel spendiert.

Damit bleibt Infiziert am Ende näher bei Monty Python als bei Robert A. Heinlein. Und das ist auch gut so. Zwar um einige Seiten zu lang, serviert uns Sigler dennoch einen Blut- und existenzialistischen Überlebenskampf-Cocktail der bekömmlichen Art. Er spielt wohlig mit herkömmlicher Spannungsdramaturgie und Klischees, die er erst mit seinen Figuren freudig nachzeichnet, um sie auf ironische Art sofort wieder zu brechen. Dabei gelingt es ihm mit scheinbarer Leichtigkeit, einen doppelbödigen Beitrag zu den Unberechenbarkeiten und Schwierigkeiten des Überlebens in den Strudeln der westlichen Welt vorzulegen.
Insofern vielleicht doch - realistisch?

Infiziert

Scott Sigler, Heyne

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