Dreizehn Geistergeschichten

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 1962
  • 0
Dreizehn Geistergeschichten
Dreizehn Geistergeschichten
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Michael Drewniok
100°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2009

Diese Geister kennen keine Gnade!
  • Der Kupferstich („The Mezzotint", 1904), S. 7-18: Ein altes Bild wird zum Fenster in die Vergangenheit und lüftet ein düsteres Rätsel um Tod und Rache ...
  • Nummer 13 („Number 13", 1904), S. 19-34: Zwischen zwei Hotelzimmer schiebt sich um Mitternacht ein dritter Raum, und er steht keineswegs leer, wie ein unvorsichtiger Gast erfährt ...
  • ‚Pfeife, und ich komme zu dir, mein Freund!‘ („'Oh Whistle, and I'll Come to You, My Lad'", 1904), S. 35-55: Was der Urlauber am hellen Tag zufällig fand, ruft in der dunklen Nacht dessen garstigen Besitzer auf den Plan.
  • Eine Schulgeschichte („A School Story", 1911), S. 56-63: „Wenn du nicht zu mir kommst, komme ich zu dir", lautet die geheimnisvolle Warnung, die der ein dunkles Geheimnis hütende Lehrer Sampson vergeblich zu ignorieren versucht ...
  • Der Rosengarten („The Rose Garden", 1911), S. 64-75: Ihren neuen Blumengarten möchte Mrs. Anstruther ausgerechnet dort anlegen, wo vor vielen Jahren ein ungemein widerwärtiger Zeitgenosse unter der Erde festgesetzt wurde ...
  • Der Traktat Middoth („The Tractate Middoth", 1911), S. 76-93: Der gierige Neffe muss feststellen, dass der Erbonkel auch nach dem Tod nachdrücklich auf die Achtung seines Testaments besteht ...
  • Mr. Humphreys und seine Erbschaft („Mr. Humphries and His Inheritance", 1911), S. 94-121: Besagter Erbe lernt, dass mancher Irrgarten nicht zum Vergnügen der Besucher angelegt wurde, sondern um jemanden - oder etwas - in seinem Inneren zu halten ...
  • Die Domherrenwohnung in Whitminster („The Residence at Westminster", 1919), S. 122-147: Was der junge aber gottlose Lord einst heraufbeschwor, kam schließlich über ihn, doch sein Tod bringt keineswegs das Ende einer schlimmen Heimsuchung ...
  • Das Tagebuch des Mr. Poynter („The Diary of Mr. Pointer", 1919), S. 148-159: Der unmoralische Lebemann Sir Everard war stolz auf seinen unbändig wucherndes Haar, das in der Tat über ein erstaunliches Eigenleben verfügt ...
  • Die geheimnisvollen Gebetbücher („The Uncommon Prayer-Book", 1921), S. 160-176: So sehr hasste die alte Lady die Protestanten, dass sie auf ganz und gar unchristliche Weise die ewige Unversehrtheit ihrer geliebten Kapelle sicherstellte ...
  • Ein Blick von einem Hügel („A View from a Hill", 1925), S. 177-196: Wer sich als Möchtegern-Hexenmeister aus alten Gräbern bedient, muss damit rechnen, dass ihn die Insassen zur Rechenschaft ziehen ...
  • Eine Warnung für die Neugierigen („A Warning to the Curious", 1925), S. 197-215: Die Freude an einem unerwarteten Schatzfund verfliegt schnell, wenn sich ein unerbittlicher Wächter auf die Spur des Finders setzt ...
  • Ratten („The Rats", 1929), S. 216-222: In einem aus gutem Grund nicht belegten Hotelzimmer stößt der neugierige Gast auf den abscheulichen Dauerbewohner ...

Wenn Neugier nicht vor Strafe schützt

„Eine Warnung für die Neugierigen" lautet einer der Titel der hier gesammelten Erzählungen; er ist beinahe programmatisch für die „ghost stories" von M. R. James. Diese sind zwar nicht so schematisch strukturiert, wie es seine Kritiker gern anpranger(te)n. In der Tat lassen sich aber Schlüsselelemente erkennen. So ist der ‚Held‘ meist ein (privater) Gelehrter und/oder Kirchenmann, der sich in einem Archiv unter alten Manuskripten deutlich heimischer fühlt als in der ‚richtigen‘ Welt. Der Zufall führt oder wissenschaftliche Neugier lockt ihn - Frauen bleiben Randerscheinungen; wenn sie wie in „Der Rosengarten" eine gewisse Rolle spielen, erscheinen sie in keinem günstigen Licht - an pittoreske Orte in der englischen oder europäischen Provinz, wo er in einer alten Kirche („Die geheimnisvollen Gebetbücher"), einem vergessenen Adelssitz („Der Kupferstich") oder einem selten frequentierten Hotel („Ratten") auf ein historisches Relikt stößt, hinter dem sich ein übernatürliches Grauen lauert.

Oft speist es sich aus der örtlichen Überlieferung („Die geheimnisvollen Gebetbücher", „Ratten"), ein schon im Leben unerfreulicher Zeitgenosse steigt im Tod zur Schreckensgestalt auf („Der Rosengarten", „Mr. Humphreys und seine Erbschaft"), oder über einen Schatz wurde ein finsterer Wächter gesetzt („‚Pfeife, und ich komme zu dir, mein Freund!‘", „Eine Warnung für die Neugierigen").

Ein Wesenszug eint diese Gespenster: Sie sind ausnahmslos bösartig; die Unschuld des Forschers ist ihnen gleichgültig. Wer sie weckt, wird verfolgt und nimmt meist ein schlimmes Ende, wenn nicht das historische Spezialwissen des Opfers in letzter Sekunde einen Ausweg öffnet („Das Tagebuch des Mr. Poynter"). Ganz ohne Rettung bleiben jene, die den Zorn des Spuks aus gutem Grund auf sich gezogen haben, weil sie z. B. einen nur scheinbar perfekten Mord begingen („Eine Schulgeschichte", „Der Traktat Middoth", „Ein Blick von einem Hügel"): Das Opfer wandelt sich zum Rächer, der sein Ziel mit der zielstrebigen Unbarmherzigkeit einer Lenkrakete ansteuert.

Ist die Rache vollendet, endet nicht unbedingt die Heimsuchung: In „Die Domherrenwohnung in Whitminster" hat den ursprünglichen Schurken die jenseitige Strafe längst ereilt. Nun geistert er selbst umher und sucht seinerseits Opfer. Auch durch seinen Tod hat er offensichtlich weder seine Untaten gesühnt noch hat er auf den Pfad der Tugend zurückgefunden.

Nach lockerem Einstieg der Zug an der Kandare

Diesen Weg ins Verderben schildert James zwar in trügerisch leichten Ton aber unter Schaffung einer stetig unheimlicher werdenden Atmosphäre, was ihm vor allem in seinen frühen Werken meisterhaft gelingt („Nummer 13", „‚Pfeife, und ich komme zu dir, mein Freund!‘"). Die Stimmung verstärkt er, indem er sein immenses Fachwissen einfließen lässt. Gern lässt James mittelalterliche Stimmen zu Wort kommen, deren Schriften er in Inhalt und Sprachduktus perfekt imitiert.

Als Verfasser inszeniert er mit einem erstaunlichen Gespür für Timing und Effekte, wie das Grauen sich manifestiert. In einem spektakulären Finale bricht es sich schließlich seine Bahn ins Diesseits, wo sich der allzu neugierige Mensch entsetzt mit dem wissenschaftlich Unfassbaren konfrontiert sieht.

Dabei glaubte James persönlich nicht an Geister bzw. behielt sich dies ausdrücklich vor. Ihre fehlende wissenschaftliche Existenzbegründung, die er in seinen Geschichten so erfolgreich zu ignorieren vermochte, ließ ihm, dem vorbildlichen Gelehrten, keine andere Wahl. Viele Literaturkritiker schilderten James deshalb als Handwerker, der seine „ghost stories" schrieb wie ein Schreiner Möbel drechselt: gebrauchsfreundlich aber keineswegs künstlerisch. Andere Kritiker warfen die (wesentlich interessantere) Frage auf, ob M. R. James, der freundliche, gesellige, indes auf Abstand bedachte und zeitlebens allein lebende Mann, seine Geschichten nutzte, um emotionalen Dampf abzulassen.

Faktisch ist die Antwort auf diese Fragen entweder akademisch oder gleichgültig. Unbestritten ist die zeitlose Wirkung von James‘ Geistergeschichten. Inhaltlich mögen sie antiquiert sein; die Welt hat sich viele Male gedreht, seit der Verfasser seine schon seinerzeit in einem elfenbeinturmartigen Ambiente lebenden Forscherseelen mit dem Grauen konfrontierte. Die fachmännische Sicherheit, mit der James an der Schraube des Schreckens drehte - dieses Bild verdanke ich dem zweiten, ungleich berühmteren (Henry) James -, verfehlt ihre Wirkung jedoch auch im 21. Jahrhundert nicht. Wer klassische „ghost stories" liebt, darf M. R. James nicht ignorieren - er ist der Großmeister dieses Genres, und das wird er wohl auch bleiben!

Dreizehn Geistergeschichten

M. R. James, Suhrkamp

Dreizehn Geistergeschichten

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