Sternstunde

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  • Erschienen: Januar 2009
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Sternstunde
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Carsten Kuhr
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2009

Ein etwas anderer Steam-Punk-Roman - die Zweite

Stellen Sie sich eine Welt vor, wie wir sie aus dem Viktorianischen England kennen und lieben. Dampfmaschinen sind weit verbreitet, das Englische Weltreich dominierend, die Damen ergehen sich in ihre Tee-Kränzchen - aber bitte nur mit Earl Grey - , die Herren, selbstredend Pfeife rauchend, sind in ihren gediegenen Clubs und lesen die Times. Nur, dass unser Britisches Commonwealth sich nicht nur auf die Erde, sondern auch aufs Weltall erstreckt. Züge verkehren zwischen dem Mond und dem Asteroidengürtel, fliegende Segelschiffe durchkreuzen das All.

Nach den aufregenden und nervenzerfetzenden Geschehnissen, von denen uns der Autor und sein kongenialer Illustrator in Lerchenlicht (Bloomsbury Verlag) berichtet haben, ist in das Leben von Art Mumby und seine Schwester Myrtle wieder Ruhe eingekehrt. Ihre Mutter, die äonenalte Weltenschöpferin, renoviert ihr ein wenig derangiertes Haus, ihr Vater ist mit der London Times beschäftigt.

Da kommt es gut, dass die Familie von Mortimer Hatter - Hatters himmlische Hüte, so steif und schwarz wie sonst keine! -, einem, nein dem Hutfabrikanten des gepflegten Gentlemans, eine Einladung ins Grandhotel Zur Sternstunde erhält. Auf einen großen Asteroiden gelegen, der vor Jahrmillionen einmal Bestandteil des Mars war, sollen die Gäste in gediegener, ja mondäner Umgebung ausspannen. In regelmäßigen Abständen öffnet sich ein Fenster durch Raum und Zeit zu einem wahrhaft malerischen Strand, so dass die Atmosphäre eines Seebades mit all seiner heilkräftigen Wirkung über Sternstunde weht. Myrtle hat sich gar eine neue, stilechte Kreation der Dame von Welt zugelegt - einen Badeaufzug, der mit allen Raffinessen versehen ist, die Frau benötigt - das patentierte Modell Nereide.

Kaum auf Sternstunde angekommen, kommt es zu ersten Missstimmungen. Nicht genug damit, dass Jack Havock, eben jener Galan, dem Myrtle seit Monaten heiße, nicht beantwortete Liebesbriefe schreibt, inkognito anwesend ist und einer französischen Femme fatale den Hof macht, auch sonst scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen. Die in jedem Zimmer sorgfältig in Hutschachteln verpackten schwarzen Zylinder üben einen geheimnisvollen Einfluss auf die Menschen aus. Schnell wird deutlich, dass sich mehr hinter den modischen Kopfbedeckungen verbirgt, als zunächst angenommen. Eine Invasion aus der Zukunft droht, dazu machen sich amerikanische Rebellen unterstützt von französischen Geheimagenten und einer Spezialeinheit der Fremdenlegion auf, die Vormachtstellung des Britischen Empires im All zu unterminieren - mehr als genug Aufregung und Abenteuer für unsere wackeren Helden, bei denen Myrtle sich zunehmend mit dem ganz unweiblichen Gedanken der Emanzipation anfreundet ...

Bizarre Schöpfungen und interessante Charaktere

Vorhang auf zu einer weiteren literarischen Achterbahnfahrt der ganz besonderen Art. Bizarre Schöpfungen, interessante Charaktere und ein wahres Füllhorn an Ideen schüttelt der Autor aus dem Handgelenk, dazu die kongenialen Illustrationen von David Wyatt.Sie bescheren dem Leser, gleich welchen Alters, ein Leseerlebnis der besonderen Art. Auch wenn sich das Buch vornehmlich an ein jüngeres Publikum richtet, beinhaltet der Text genügend Tiefe, um auch erwachsene Freunde intelligenten Steam-Punks zu fesseln.

Insbesondere geht dies auf die Besonderheiten zurück, mit denen der Autor seinen Roman ausgestattet hat. Zum einen ist der bewusst auf altertümlich getrimmte Stil zu nennen, der uns das Gefühl der „guten alten Zeit" vermittelt. Daneben nutzt Reeve die Möglichkeit, seinen Lesern über die vielen Fußnoten und den in diesen versteckten humoristisch-pointierten Betrachtungen der Welt und seiner Geschöpfe zum schmunzeln aber auch zum grinsen zu animieren.

Das Buch selbst reiht sich mit seiner vorbildlichen Gestaltung in diese Reihe an herausragenden Ideen ein. Mit unzähligen Illustrationen, teilweise in Kupferstich-Kopie - natürlich inklusive eines Bildes von Myrthe in ihrem Nachtgewand, obwohl der Illustrator ihr extra versprechen musste, sie nicht so schamlos zu portraitieren -, mit Auszügen aus ihrem Tagebuch und einer optischen Aufmachung, die Interesse weckt und zum Kauf reizt, hat der Verlag alles getan, um das kleinoktave Buch aus der Masse der Novitäten hervorzuheben.

Die typisch britischen Tugenden, der steife Umgang miteinander, die überholte Rollenverteilung. all dies atmet den Duft vergangener Tage, an denen die Welt noch heil und überschaubar war. Hollywood steckt in den Startlöchern, doch das Vergnügen dieses Buch in den Händen zu halten, sollten Sie sich nicht entgehen lassen - sonst entgeht Ihnen wirklich etwas!

Sternstunde

Philip Reeve, -

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