Priester des Blutes

  • Blanvalet
  • Erschienen: Januar 2009
  • 2
Priester des Blutes
Priester des Blutes
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2009

Blutige Irrfahrt durch eine Welt in Aufruhr

In der später „Bretagne" genannten Region Frankreichs wird er irgendwann im 12. Jahrhundert geboren: Aleric Atheffelde, Sohn einer Hure und eines unbekannten Vaters. Der Großvater lehrt ihn die Familiengeschichte; angeblich entstammt Aleric einem vornehmen und vormals mächtigen Geschlecht. Doch die Realität sieht anders aus. Aleric wächst in einer elenden Hütte auf, bis er in die Dienste des Barons Trevor de Whithors treten kann. Dessen Jagdmeister nimmt ihn unter seine Fittiche. Als Falkner kann Aleric sein Geschick im Umgang mit den Vögeln des Waldes ausspielen.

Unermüdlich lernt und müht er sich - und zieht sich die Todfeindschaft seines Halbbruders Corentin zu, der ebenfalls am Hofe des Barons lebt. Das wird sich rächen, denn eines Tages verliebt sich Aleric in Alienora, die schöne Tochter des Barons; ein Sakrileg, zumal diese Liebe erwidert wird. Corentin schwärzt seinen Bruder an. Aleric wird gefangen gesetzt und in die Sklaverei verkauft. Als Soldat muss er im Heiligen Land an vorderster Front gegen die Sarazenen kämpfen.

Wider Erwarten schlägt sich Aleric buchstäblich gut als Krieger. Doch als er die frommen Worte von der ‚Befreiung‘ Palästinas als blutige Lüge erkennt, macht er sich davon. Tief in der Wüste gerät er an einen verwunschenen Ort, der von Vampiren und Ghulen bewohnt wird. Hier lockt ihn die uralte Vampyr-Priesterin Pythia in ihren Bann und verwandelt ihn in einen Blutsauger.

Die scheinbare Unsterblichkeit bedeutet indes keineswegs Unverwundbarkeit. Über Aleric schwebt zudem der Fluch einer uralten Prophezeiung, die ihn als düsteren Messias der Vampyre ankündigt - ein Schicksal, dem sich Aleric von nun an ebenso eifrig wie verzweifelt stellt ...

Vampire (endlich) einmal (etwas) anders

Das frühe 21. Jahrhundert steckt zumindest in den Bereichen Unterhaltungsliteratur und Film fest zwischen den Fangzähnen der Vampire. Was die Freunde der Phantastik eigentlich erfreuen sollte, relativiert sich bei näherer Hinsicht: Tatsächlich dominiert vor allem das untote Weichei mit Beißhemmung, dessen ‚erotische‘ Wirkung sich darauf beschränkt, den Träumen pubertierender Jungmädchen vage Gestalt zu verleihen. Darüber hinaus springen die Fabrikanten schmalztriefender Liebesromane auf den Zug der Zeit auf und ersetzen den blankbrüstigen Piraten, den schwarzlockigen Clanskrieger oder den tiefäugigen Prinzen flugs durch den blankbrüstigen, schwarzlockigen und tiefäugigen Vampir-Fürsten. Für die nicht auf diesen Leim kriechenden Leserinnen gibt es darüber hinaus die pseudo-emanzipierte Vampirfrau, der zwischen Nachtshopping und der auch durch den Tod nicht unterbrochene Suche nach Mr. Right gerade die Zeit bleibt, ihr Publikum mit den komischen Seiten der Nachzehrer-Existenz zu entzücken.

Auf der Strecke bleibt in dieser Schleimlawine des allzu Trivialen der Vampir als Nachtschattengeschöpf der uneingeschränkt fremden und eher menschenfeindlichen Art. Dieser Vampir beschränkt sich nicht auf die Offenbarung erotischer i. S. verbotener Freuden, sondern stellt eine alternative Lebensform neben dem Homo sapiens dar. (Vielleicht nennt Clegg sie auch deshalb „Vampyr", um sie von den Larifari-Edwards der Moderne abzugrenzen.)

Diesen Kreaturen widmet Douglas Clegg seine „Vampyricon"-Trilogie. Sie schildert nicht nur den verschlungenen ‚Lebensweg‘ des Vampyrs Aleric, sondern enthüllt auch die geheime Geschichte seiner Artgenossen, die in einer nur mehr mythischen Vorzeit die wahren Herrscher auf Erden waren, bis sie entthront und in die Verdammnis gestürzt wurden.

Horror-Historienroman der gelungenen Art

Aleric wird in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geboren. Bis Pythia ihn in einen Vampyr verwandelt, vergehen beinahe zwei Jahrzehnte. Eine mysteriöse, erst im Verlauf der Handlung enthüllte Verbindung zu den Vampyren existiert von Geburt an; sie bleibt lange Andeutung, denn Autor Clegg nimmt sich viel Zeit, nicht nur seine Hauptfigur, sondern auch die Welt, in der sie lebt, mit Leben zu erfüllen.

„Priester des Todes" bietet vor allem in dieser ersten Hälfte einen düsteren und recht realistischen Blick auf das Mittelalter. Clegg thematisiert die aus heutiger Sicht grausamen Verhältnisse, das Fehlen jedes sozialen Netzes, die brutale hierarchische Ordnung der Gesellschaft, die Gnadenlosigkeit der Gesetzgebung, die Allgegenwärtigkeit von Hunger, Krankheit, Kälte und Tod, verkneift sich aber die moralisierende Wertung, die allzu viele Historienromane ungenießbar macht. Clegg möchte deutlich machen, dass diese Welt ist, wie sie ist, und hat Recht damit: Die Maßstäbe der Gegenwart lassen sich auf die Vergangenheit nicht anwenden.

Immer wieder stellt Clegg den Bluttaten der Vampyre die Grausamkeit der Menschen gegenüber. Alle Untoten ihrer Epoche sind nicht annähernd so blutrünstig wie die Kreuzzügler, die ihren „heiligen" Krieg im „heiligen" Land führen. Im Namen Gottes werden unsägliche Gräuel verübt, die Clegg ebenso nüchtern wie wirkungsvoll beschreibt.

Eine Welt neben der Realität

Dabei schleicht sich nach und nach ein mystischer Unterton ein. Clegg geht in seinem Weltentwurf von einer weitgehend parallelen aber nicht deckungsgleichen Evolution bzw. Historie aus. Die Menschheit ist deutlich älter als ihre Überlieferungen. Der Autor nutzt dies, um eine gemeinsame Frühgeschichte von Menschen und Vampyren zu konstruieren, wobei diese in einer noch früheren, endgültig im Dunkel der Mythologie versunkenen Ära ihren Anfang nahm.

Clegg geht von der Prämisse aus, dass die Relikte der alten Vampyr-Macht in der Wüstenei des Nahen Ostens verborgen liegen. Dies ist uraltes Kulturland, über das sie einstmals herrschten. Sie teilten und teilen es mit weiteren sagenhaften „Dämonen" wie den leichenfressenden Ghulen oder gar nicht zauberhaften Meerjungfrauen. Längst hat eine schleichende Degeneration eingesetzt; die stolzen Kreaturen der Nacht haben sich in unstete und kulturlose Wegelagerer verwandelt, die im Schutz der Dunkelheit ihre Opfer reißen. Wie es sich für einen düsteren Helden ziemt, unterliegt Aleric nicht diesem Fluch. Für ihn sieht das Schicksal eine besondere Rolle vor.

Bereits aufgrund seiner Geburt sind Aleric die Augen geöffnet. Schon bevor er zum Vampyr wird, erkennt er, dass die Vergangenheit auch in seiner bretonischen Heimat keineswegs tot ist. Aleric wird am Rande eines riesigen Waldes geboren, in dem die Welt der Alten - die Clegg in die Gestalten keltischer Geistwesen kleidet - immerhin schattenhaft erhalten blieb. Sie steht auf der Kippe, denn die von einer diffusen aber letztlich durchaus konkreten Urangst erfüllten Menschen setzen zu ihrer endgültigen Vernichtung an. Noch sind sie nicht siegreich, denn selbst die Christenkirche, die dem „Heidentum" mit Feuer und Schwert entgegentritt, ist in sich uneins: So duldet sie später als Häretiker verfolgte geistliche Orden mit oft wunderlichen Regeln.

Ist nicht neu, liest sich aber gut

Vor allem in den ersten beiden Dritteln gelingt Clegg die Kombination aus Realismus und ‚echter‘ Phantastik inhaltlich wie formal. Zwar ist die Geschichte nicht neu, aber sie wird gut entwickelt und mit dem notwendigen Schwung erzählt. Clegg gelingen starke Situationsbeschreibungen und Charakterbilder. Sie kommen selten über einschlägige (Fantasy-) Klischees hinaus, funktionieren jedoch im Rahmen dieser Handlung gut. Erst im letzten Drittel übertreibt es der Verfasser, wenn in den Ruinen der Totenstadt Alkemara Rätsel und Visionen einander förmlich jagen. Jetzt verfällt Clegg in jenen weihevoll-schwülstigen Ton, der die ‚großartigen‘ Enthüllungen an den Rand der Lächerlichkeit und manchmal darüber hinaus bringt.

Positiv anzumerken ist der Bruch mit anderen ausgelaugten Motiven. Die Liebe zur schönen Alienora spielt zwar eine wichtige Rolle, doch lässt Clegg sie nie zur erwarteten Lovestory ausarten. Sie nimmt eine unerwartete Richtung (und wird zweifellos im weiteren Verlauf der Handlung eine wichtige und düstere Rolle spielen).

Auch Alerics Verbindung mit der Vampyrin Pythia ist nicht klischee- aber kitschfrei. Clegg schafft es, die ihr innewohnende Erotik als etwas Fremdartiges und Bedrohliches sowie letztlich Geschlechtsneutrales zu definieren - als Instrument des Vampyrs, den sicherlich keine Liebe mit den Menschen verbindet. Unter diesem Vorzeichen verwundert es nicht, dass sich auch Aleric und sein Vampyr-Gefährte Ewen sehr nahe kommen; der homosexuelle Clegg thematisiert Homosexualität seit jeher in seinem Werk, ohne darin eine Berufung zu sehen oder seine Leser ausdrücklich missionieren zu wollen - als interessant entwickelter Aspekt geht es in die Handlung ein und bereichert sie.

Als „Priester des Blutes" ausklingt, harrt eine große Geschichte ihrer Fortsetzung. Auf die freuen sich zumindest diejenigen Leser, die „Geschichte" nicht als kunterbunte Folie und „Vampire" nicht als Projektionsgestalten ihrer schmachtvollen Träume betrachten bzw. missachten. Mit der Einführung einer dritten, noch schattenhaften Macht neben den Vampyren sind die Weichen für die Fortsetzung gestellt, auf die man gespannt sein darf und wird.

Priester des Blutes

Douglas Clegg, Blanvalet

Priester des Blutes

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