Gargoyle

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  • Erschienen: Januar 2009
  • 10
Gargoyle
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Verena Wolf
91°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2009

Über Liebe, Hölle und das Groteske dazwischen

Ich bin übermüdet - sehr übermüdet - und „Gargoyle" ist schuld. Aber das macht nichts. Denn dieses Debüt war es wert, dass ich jetzt Augenringe wie eine gotische Wasserspeier-Figur habe. Es ist eindringlich, abgedreht und außergewöhnlich - und dass man manchmal wie besessen etwas durchziehen muss, weiß man nach der Lektüre sowieso. Die Hauptfiguren schlafen auch viel zu wenig.

Ein Pornodarsteller, betrunken und mit zu vielen Drogen im Blut, hat bei einer Autofahrt die Schreckensvision, auf ihn würden Pfeile aus einem Wald abgeschossen. Er reißt das Lenkrad herum, baut einen Autounfall und verbrennt fast in dem Wrack. Im Krankenhaus wacht er auf und er sieht nicht nur aus, als wäre er durchs Fegefeuer gegangen, für ihn beginnt ein wahrer Höllenritt. Er leidet entsetzliche Schmerzen, seine Karriere, die auf Ausdauer und einem Adoniskörper aufbaute, ist wörtlich wie sein bestes Stück in Rauch aufgegangen. Ihn halten nur noch bitterster Zynismus und ein Gedanke bei Sinnen: Endlich aus dem Krankenhaus zu kommen, um sich umzubringen. Genüsslich malt er sich seinen Selbstmord aus. Dann taucht an seinem Bett eine Bildhauerin namens Marianne Engel auf, die im selben Krankenhaus psychiatrische Patientin ist und lächelnd behauptet, sie kenne ihn aus ihrem vorigen Leben. Vor 700 Jahren trafen sie sich bereits in Deutschland - sie war Nonne, er Söldner - und sie wurden ein Liebespaar. Außerdem fügt sie tadelnd hinzu, sei es jetzt schon das dritte Mal, dass er so verbrannt worden sei. Der Ich-Erzähler hält die Dame selbstverständlich für verrückt, aber ihre Besuche vertreiben die Zeit und so lässt er zu, dass sie ihm Geschichten aus der Vergangenheit erzählt, die sie für Wahrheit und er für Spinnereien hält. Dann wird er entlassen und zieht bei Marianne ein - warum auch nicht?

Das war so noch nie da

Es gibt Bücher, die kann man kaum in eine Schublade stecken. Genauso schlecht, wie man den Titel von Davidsons Erstlingswerk übersetzen konnte, darum blieb der sperrige Titel einfach, muss man das Debüt „Gargoyle" für sich selbst sprechen lassen. Ist es Fantasy, eine Zeitreise, eine mystische Liebesgeschichte oder ein zeitgenössischer, psychologischer Roman? Von allem ein bisschen und verdammt, eigentlich ist es einem auch egal, wenn man liest. Man hat ja irgendwie das Buch in die Finger bekommen und das allein zählt.

Klar, es geht um einen zur Unkenntlichkeit verbrannten Patienten und eine Bildhauerin. Da ist der schöne Pornodarsteller, für den Sex seine Arbeit und Frauen sein Hobby waren, bis das Feuer die kalte, schöne Adonisstatue, die er war, zerstörte und er zum ersten Mal etwas wirklich fühlt. Auf der anderen Seite gibt es die verstörenden Fabelwesen, die seine neue Bekannte in manischen Anfällen aus Stein meißelt, weil sie befreit werden wollen aus ihrem Gefängnis. Das ist alles ganz schön tiefsinnig. Aber zum Glück erschöpft es sich nicht in der billigen Symbolik.

Eine gemeißelte Liebesgeschichte

Gargoyle ist brillant geschrieben, der Zynismus des Ich-Erzählers gerade im ersten Drittel ist fantastisch beißend. In der Mitte hatte das Buch einen kleinen Hänger und auch die schamanenhaft anmutende Traumreise des Hauptdarstellers ist etwas ausführlich, aber das Buch nimmt dann wieder Fahrt auf. Die schillernden Geschichten, die Marianne erzählt und die sich langsam zu einem Bild der scheinbar gemeinsamen Vergangenheit fügen, kreisen um schicksalhafte Liebe und Tod, aber das anhand von japanischen Glasbläserinnen, schwulen Wikingern und Bibel übersetzenden Nonnen. Man lernt viel über Dantes Hölle, mittelalterliche Buchbinderei und Schmerztherapie.

Gargoyle ist weder actionreicher Reißer noch schmachtend-kitschiger Schinken. Mariannes Schilderungen sind von der harten Realität geprägt, von der sie berichtet und wie dem Ich-Erzähler ist es dem Leser irgendwann egal, ob sie vor 700 Jahren geboren wurde oder schizophren ist. Hauptsache, sie erzählt weiter. „Gargoyle" ist rau, aber auch beeindruckend anrührend, grotesk und wahnhaft facettenreich. Ach, wer jemals selbstvergessen die steinernen Unholde betrachtet hat, die seit Jahrhunderten mit aufgerissenen Augen von Kirchen und Kathedralen herunterstarren und sich dabei fragte, ob die Figuren nicht wirklich böse Geister fernhalten, der sollte in „Gargoyle" einen Blick werfen. Er wird es genauso wenig aus dem Kopf kriegen können wie die kunstvollen Fratzengesichter.

Gargoyle

Andrew Davidson, -

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