Die Bibliothek der Schatten

  • Page & Turner
  • Erschienen: Januar 2010
  • 5
Die Bibliothek der Schatten
Die Bibliothek der Schatten
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Carsten Kuhr
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2010

Der gar nicht so kühle Vorleser aus dem hohen Norden

Mitten in Kopenhagen liegt der Tempel aller Bücherliebhaber, das Antiquariat Libri di Luca. Seit Generationen von der aus Italien stammenden Familie Campelli geführt, warten hier liebevoll restaurierte Erstausgaben ebenso wie weitgereiste Taschenbücher auf ihren Leser. Abends, nach Ladenschluss versammelt der Antiquar Luca Campelli immer wieder Menschen um sich, denen er aus seinen literarischen Schätzen vorliest. Seine Lesungen zeichnen eine ungewöhnliche Intensität aus, die Zuhörer werden förmlich ins Geschehen der Bücher hineingezogen.

Eines Oktoberabends, als Luca von einer Geschäftsreise nach Hause kommt, findet er in der Vitrine einen neuen bibliophilen Schatz vor. Leopardis "Operette morali" in einer wunderbar erhaltenen Erstausgabe steht plötzlich und unerwartet in der Vitrine. Der Geruch, die Erhaltung, das Buch selbst verzaubert den Antiquar. Als er beginnt, im Werk zu lesen, erliegt er seiner Gabe. Etwas oder vielleicht jemand zieht ihn weit über seine Grenzen hinaus in den Text, sein Herz setzt aus, der geachtete und beliebte Antiquar stirbt so, wie er es sich immer gewünscht hat, inmitten all seiner Bücher.

Zur Beerdigung erscheinen nicht nur Kunden und Freunde des Verblichenen, auch sein Sohn Jon, der seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hatte, gibt dem Verblichenen die letzte Ehre. Auch wenn der erfolgreiche Anwalt mit dem Erbe seines Vaters zunächst nichts zu tun haben will, wird er in der Folgezeit immer tiefer in Ereignisse verwickelt, die sich allein mit dem gesunden Menschenverstand nicht erklären lassen.

Ihm wird offenbart, dass es Menschen gibt, die mit ihrer besonderen Gabe des Vorlesens anderea nicht nur einen Text intensiv vermitteln können, sondern in der Lage sind, Menschen durch ihre besondere Art des Vortrages ganz gezielt zu beeinflussen. Die so genannten Lettores können Texte so akzentuieren und aufladen, dass sie das Erleben des Zuhörers und seine Einstellung zum Vorgelesenen beeinflussen, ja beherrschen können. Andere, Zuhörer genannt, beherrschen die Gabe jedes laut oder auch still gelesene Wort geistig empfangen zu können.

Nur zu bald bemerkt Jon, dass er es nicht mit Spinnern oder Verrückten zu tun hat, sondern mit Menschen, die nicht nur ihre Liebe zu Büchern und der Literatur zusammenführt, sondern die auch verantwortungsvoll mit ihrer Gabe umgehen. Doch längst nicht alle, die die Begabung ihr eigenen nennen, sind so vorsichtig und integer. Jemand hat seinen Vater bewusst ermordet, und Jon will wissen wer und warum. Die Jagd nach dem Täter und Motiv bringt ihn auf die Spur der Schattenorganisation...

Ein Buch nicht nur für bibliophile Krimifans

Krimis aus Skandinavien haben in den letzten Jahren die Bestsellerlisten bei uns gestürmt. So ist es kein Wunder, dass der zu Random House gehörende Page & Turner-Verlag sich die Rechte an einem der interessantesten dänischen Bestseller gesichert hat. Der Romanerstling vereint in exemplarischer Art und Weise eine Kriminalhandlung mit phantastischen Elementen und einer dem Buch innewohnenden, immer spürbaren Liebe zur Literatur und dem Medium Buch.

In einem Markt, der von Action-Thrillern und Büchern über Serienkiller förmlich überflutet wird, schlägt der Autor einen etwas ruhigeren Ton an. Gelassen, fast nordisch unterkühlt stellt er uns seinen Protagonisten Jon vor. Zunächst sehen wir in ihm nur einen erfolgshungrigen Anwalt, in dessen Leben außer seiner Arbeit wenig wirklich wichtig ist. Ein Workaholic, der innerlich vereinsamt ist, kaum soziale Kontakte, schon gar keine echte Freunde hat und dessen Beziehung zu seiner Familie - die Mutter beging vor Jahren Selbstmord - gestört ist. Dass ein solcher Mensch sich - der Familientradition folgend - den Büchern zuwenden würde, ist wenig wahrscheinlich.

Und wirklich, zunächst ist der Yuppie ganz Rationalist, will das Erbe am liebsten ausschlagen oder versilbern, um nur ja nichts mit dem ihm fremden Vater zu tun zu haben. Erst die Begegnung mit den Freunden seines Vaters und die Ungereimtheiten bringen ihn dazu, sich näher mit den Geschehnissen zu beschäftigen.

Als Anwalt merkt er, wenn etwas nicht stimmig ist, lässt ihn sein fast schon detektivischer Spürsinn nicht ruhen. Auch wenn er zunächst die Existenz der Lettores leugnet, muss er sich später dem selbst Erlebten beugen. Sein Ehrgeiz wird erst richtig geweckt, als sich ein ungeliebter Mandant von ihm einmischt. Der Druck, den dieser ausübt, weckt sein Misstrauen, in der Folge taucht er immer tiefer in die Geheimnisse der Lettores und der Schattenorganisation ein.

Das ist zwar ganz die übliche Frage nach dem "Who Did It", doch diese eigentlich gängige Suche nach dem Täter wurde so geschickt in eine phantastische Handlung verpackt, dass diese den Leser und Buchliebhaber nicht mehr loslässt. Versiert baut der Autor Rätsel und Wendungen ein, überrascht mit Eröffnungen, sowohl was die Kindheit Jons und dessen Verhältnis zu seinem Vater als auch die Geschichte der Lettores anbelangt und steigert kontinuierlich die Spannung. Mord, Verrat, Geheimgesellschaften und Verschwörer, all das endlich einmal, ohne dass die katholische Kirche bemüht werden muss, das liest sich spannend und aus einem Guss. Kein Wunder, dass das dem Verlag unverlangt eingesandte Manuskript sofort angekauft und zwischenzeitlich in nicht weniger als 17 Länder verkauft wurde. Die Filmrechte wurden von der angesehenen Nordisk Film erworben.

Die Bibliothek der Schatten

Mikkel Birkegaard, Page & Turner

Die Bibliothek der Schatten

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