Die Saat des Cthulhu

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2005
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Die Saat des Cthulhu
Die Saat des Cthulhu
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2010

Neue Inkarnationen einer uralten Dämonen-Kreatur

In sieben Storys erlebt H. P. Lovecrafts gallertige Geißel von den Sternen in der modernen Welt seine Auferstehung:

  • Frank Festa: Vorwort, S. 7-10
  • Ramsey Campbell: Schriftlich ("Cold Print", 1969), S. 11-30: Ein prügelfreudiger und pornografischer Lehrer findet in einem Hinterhof-Buchladen einen schmuddeligen Schatz - und den großen Cthulhu, der seinen neuen Jünger freudig in die Tentakeln schließt ...
  • Christian von Aster: Yamasai (1999), S. 31-46: Auf Neuguinea hütet ein steinzeitlicher Stamm das düstere Geheimnis eines Urzeitwesens, das weitaus Schlimmeres treibt als Menschen umzubringen ...
  • Kim Newman: Der große Fisch ("The Big Fish", 1993), S. 47-86: Privatdetektiv Philip Marlowe fahndet nach einem verschwundenen Vater und seinem Söhnchen, die er ausgerechnet im Kreise froschköpfiger Cthulhu-Anhänger findet ...
  • Thomas Ligotti: Harlekins letzte Feier ("The Last Feast of Harlequin", 1991), S. 87-134: In einem abgelegenen Ort haben die Bürger ihren eigenen Weg gefunden, allzu neugierige Nachbarn abzuschrecken; ein Besucher schaut hinter die Tarnung und lernt mehr, als er verkraften kann ...
  • Jens Schumacher: Der Hügel von Vhth (1996/99), S. 135-178: In einer verfallenen Hafenstadt sucht der Historiker ein altes Zauberbuch. Er findet es - und im eisigen Meereswasser das unfreundliche Subjekt, über das da geschrieben wurde ...
  • F. Paul Wilson: Hinter dem Schleier ("The Barrens", 1990), S. 179-248: In einem abgelegenen Winkel des US-Staates New Jersey findet ein Privatforscher ein Protal, das diese Erde mit einer anderen Welt verbindet, welche neugierige Besucher buchstäblich mit offenen Tentakelarmen empfängt ...
  • Brian McNaughton: Das Verderben, das über Innsmouth kam ("The Doom That Came to Innsmouth", 1999), S. 249-284: Vor Jahrzehnten hat die US-Regierung versucht, die Cthulhu-Hochburg Innsmouth vom Erdboden zu tilgen. Es misslang, und nun lassen die Nachfahren der damals vertriebenen Bürger uralte Traditionen aufleben ...

Der jahrzehntelange Schatten des Meisters

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) gehört zu den wenigen Schriftstellern, denen die Erschaffung eines echten Kultes gelang. Die Saga vom Universum der "Großen Alten", in der die Cthulhu-Mär ein zentrales Kapitel darstellt, begann sich schon zu seinen Lebzeiten zu verselbstständigen. Sie überlebte ihren Schöpfer, begann zu wachsen, Seitentriebe auszubilden und sich zu verzweigen. Unzählige Lovecraft-Epigonen eiferten dem Meister nach und dachten sich neue Untaten für den krakenköpfigen Cthulhu und seine froschgesichtigen Schergen aus.

Wie Herausgeber Frank Festa in seinem knappen aber kundigen Vorwort erläutert, lassen sich Lovecrafts ´Nachfolger´ in drei Kategorien gliedern. Da ist der reine Kopist, der seinen Ehrgeiz daran setzt, das Vorbild in Handlung, Wortwahl und vor allem Stimmung zu klonen. Zur zweiten Gruppe zählen jene, die sich noch eng an Lovecraft halten, mit dessen Vorgaben jedoch zu ´spielen´ beginnen. Noch einen Schritt weiter gehen die Angehörigen von Gruppe 3; sie lösen sich völlig vom Original, führen Cthulhu aus seiner urzeitlich-unterseeischen Abgeschiedenheit heraus und sehen ihn als Element des realen Grauens der modernen Welt.

Herausgeber Festa nimmt für sich in Anspruch, nur Repräsentanten der Gruppen 2 und 3 in seine Sammlung aufgenommen zu haben. Die Übergänge sind fließend, doch sprechen die sieben hier vorgestellten Autoren mehr (Campbell, Ligotti, McNaughton) oder weniger (von Aster, Schumacher) mit eigenen Stimmen. (Newman und Wilson könnte man dagegen als neutral bezeichnen.)

Das Böse findet immer seine Nische

Ramsey Campbell (geb. 1946) legt eine Kurzgeschichte vor, in der sich das Grauen fast unmerklich in den Alltag einschleicht. Da dieser meisterhaft grau und öde dargestellt wird, müsste der Tod im Grunde eine Erlösung für die Campbell-typisch seelisch verkümmerte und beschädigte Hauptfigur bedeuten. Doch der Autor setzt noch eins darauf, denn stattdessen ist das Ende bitter und schmutzig. Herausgeber Festa weist in seiner Einleitung zu dieser Story auf den sexuellen Aspekt des schleimig-fischigen Cthulhu-Monstrums mit seinen vielen bezahnten Körperöffnungen hin; Lovecraft musste offensichtlich einige Zwangsvorstellungen literarisch verarbeiten ...

Kim Newman (geb. 1959), der Schöpfer der genialen "Anno Dracula"-Serie, weiß mit "Der große Fisch" kaum zu überzeugen. Während die Verknüpfung der Story mit dem Lovecraft-Werk akkurat gelungen ist, passen die typischen sarkastischen Schnüffler-Sprüche gar nicht ins eher gruselsteife Cthulhu-Multiversum. Übler ist dem Verfasser allerdings das abrupte Ende der Handlung anzukreiden, welches diese Story eher als Entwurf oder Kapitel eines größeren Werkes erscheinen lassen.

An einer modernisierten Wiederbelebung des alten Lovecraft-Szenarios vom allzu neugierigen Forscher, der in unheimliche Umgebung gerät und mehr erfährt als er wissen wollte, versucht sich F. Paul Wilson (geb. 1946) mit "Hinter dem Schleier". Der Verfasser ist durch seine Romane um den "Handyman Jack" bekannt geworden, der ebenfalls in einer Welt lebt, die mit dem Übernatürlichen in Kontakt steht. Wilsons hier präsentierte Story fesselt nicht durch originelle Ideen, sondern durch die gelungene Umsetzung. Die Pine Barrens, eine Art weißer Fleck auf der Landkarte der USA, bilden eine eindrucksvolle, von Wilson behutsam und farbig in Szene gesetzte Kulisse mit kauzigen, aber nicht tumben Hinterwäldler. Das Grauen entwickelt sich stimmungsvoll und endet in einem turbulenten Finale, dem sich ein gänzlich lovecraftscher Schlussgag anschließt: Cthulhu lässt nicht mehr locker, hat er dich erst einmal am Schlafittchen.

Dämon im deutschen Spiegel

Eine eigene Erwähnung verdienen die beiden deutschen Autoren, die in dieser Sammlung vertreten sind. Auch hierzulande inspirieren Lovecraft und sein Geschöpf viele Autoren, ihre Beiträge zum Cthulhu-Mythos zu leisten (oder es wenigstens zu versuchen). Christian von Aster (geb. 1973), der als Geheimtipp der hiesigen Phantastik-Szene gehandelt wird, legt mit "Yamasai" eine handwerklich sehr schön geschriebene, aber letztlich auf den Schlusseffekt konstruierte Story vor, den man überzeugend finden kann, jedoch keineswegs muss, woraufhin die Geschichte förmlich versandet.

Auch Jens Schumacher (geb. 1974) nimmt weniger durch eine originelle Story als durch sein handwerkliches Geschick ein, das so viele Autoren, die sich in der (deutschen) Phantastik tummeln, schmerzlich vermissen lassen. "Der Hügel von Vhth" ist als Geschichte zwar hart an der Grenze zur Imitation - die Handlung folgt ausgesprochen eng dem Lovecraft-Novellenklassiker "The Shadow Over Innsmouth" (1936; dt. "Schatten über Innsmouth") -, kann aber durch die ebenso behutsam wie gelungen nachempfundene Atmosphäre einer klassischen Cthulhu-Story bis zum (typischen) Finale fesseln.

Wenn Inhalt und Form sich glücklich treffen

Gleich im Anschluss zeigt Brian McNaughton (1936-2004), wie man es richtig gut macht. Auch er wählt sich "The Shadow Over Innsmouth" als Vorlage, doch er variiert nicht, sondern schreibt und schafft eine Fortsetzung. 1928 ließ Lovecraft die US-Regierung das Pestloch Innsmouth ausräuchern, die Bewohner austilgen, einsperren oder vertreiben. Wie hätte es weitergehen können? Was geschah mit denen, die der großen Abrechnung entkamen? McNaughton beschreibt dies ebenso spannend wie witzig aus der Sicht eines Betroffenen.

Für Lovecraft waren Cthulhus Diener stets degenerierte, von Verdammnis gezeichnete Kreaturen. Hier lernen wir den Monsterjünger von nebenan kennen, in dessen Froschschädel recht profane Gedanken gewälzt werden. McNaughtons witzige Einfälle runden die Story perfekt ab. Wer hätte gedacht, dass US-Präsident John F. Kennedy sich für den "Innsmouth-Zwischenfall" in einer (glänzend ´zitierten´, weil natürlich fiktiven) Rede entschuldigt hat oder mit markanten Gesichtszügen ausgestattete historische Prominenz wie die Schauspieler Gloria Swanson und Edward G. Robinson ("Der kleine Cäsar") oder FBI-Chef J. Edgar Hoover zu den Innsmouth-Leuten gehörten? "Das Verderben, das über Innsmouth kam" ist in ihrer Mischung aus Lovecraft & McNaughton die beste Geschichte dieser unterhaltsamen Sammlung. (Nebenbei: Kommt denn das Verderben "nach" oder "über" Innsmouth? Inhaltsverzeichnis und Haupttext sind sich da uneins ...)

Die Saat des Cthulhu

Frank Festa, Festa

Die Saat des Cthulhu

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