Begegnung mit Skinner

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  • Erschienen: Januar 2010
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Begegnung mit Skinner
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Elmar Huber
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2010

Alice im Wunderland trifft Jack the Ripper

Elendes Biest: "Ich bin ein Teil von dir - dein Verstand, um präzise zu sein -, den du während des Unfalls verloren hast. Vergiss das nie."

Nach einem traumatischen Autounfall, bei dem ihre Eltern und ihr Bruder getötet werden, löst sich Laikas Verstand von ihrem Körper. Fortan "Elendes Biest" genannt, begleitet er sie in Form eines "unglaublich dünnen, grünhäutigen Wesens" mit einem "dreieckigen, an ein Katzenhaupt erinnernden Kopf". Doch nicht nur ihr Verstand hat sich von Laika getrennt, auch ihre Kreativität, die nun als elysische Schönheit mit spinnfadenfeinem, unnatürlich langem Haar durch die Gegend streift und als "Schwester der Apokalypse" eine Armee untoter Tierkadaver um sich schart. Ihr Ziel ist es, den Kontrollraum zu erreichen, von dem aus das Schicksal der Welt gelenkt wird "um damit die Welt ins Chaos zu stürzen". Im Auftrag des Rates der verlorenen Eigenschaften sollen Laika und "Elendes Biest" verhindern, dass die "Schwester der Apokalypse" den Kontrollraum erreicht. Dazu bedarf es der Unterstützung von Salvador Skinner, dem letzten echten Illusionisten.

Laika: "Meine Kreativität? (...) Nennt sie sich jetzt so? Schwester der Apokalypse ... klingt ziemlich theatralisch, wenn du mich fragst."

Salvador Skinner weiß von einem jahrhundertealten Zirkel an Beobachtern zu berichten, Menschen, deren Leben durch Symbionten verlängert werden und deren Zweck es ist, über die Zeiten zu beobachten und Erfahrungen zu sammeln. Erfahrungen, die es dem Richter im Kontrollraum ermöglichen, fundierte Entscheidungen über die zukünftigen Geschicke der Menschheit zu treffen.

Salvador Skinner: "Die Realität ist eine Fassade, zwar kompliziert in ihrem Aufbau und ihrer Struktur, aber letztendlich doch nur eine Fassade. Sie ist formbar. Und das ist es, was ich letzten Endes mache. Ich forme die Realität."

Harald A. Weissen hält sich nicht mit einer langwierigen Einleitung oder ausufernden Erklärungen auf. Er schleudert den Leser förmlich in die Handlung und bereits nach sechs Seiten befindet sich der Leser mit Laika, Elendes Biest und Skinner auf der Spur der Schwester der Apokalypse, die fortwährend blutiger wird.

In Laikas Welt spielt es keine Rolle, wie oder warum sich Eigenschaften von ihren Besitzern lösen und fortan ein autonomes Leben führen. In Laikas Welt zählt es, dass eine Gruppe dieser verlorenen Eigenschaften einen Rat bilden und beschließen, dass Laikas Kreativität unbedingt davon abgehalten werden muss, mit ihren Heerscharen den Kontrollraum zu erreichen, von dem aus die Geschicke der Welt gelenkt werden. Es spielt keine Rolle, dass Laika offensichtlich geistig nicht ganz gesund ist, denn erst dies ermöglicht ihr (und dem Leser) diese Reise, die vom antiken Pompeji bis ans Matterhorn der Gegenwart führt. Erst dies ermöglicht ihr, alle die Mysterien wahrzunehmen, die Salvador Skinner für sie bereit hält.

Skinners mannigfaltige Kontakte sind bei der Jagd eine unschätzbare, doch ebenso unberechenbare Hilfe. Und genau so unberechenbar ist der Illusionist selbst, denn außer Salvador Skinner, dem Verbündeten des Rates der verlorenen Eigenschaften, wohnt noch eine weit dunklere und gefährlichere Person in dessen Körper. Doch auch die Schwester der Apokalypse verfügt über einen nicht zu unterschätzenden Verbündeten, der selbst bereits seit dem Untergang von Pompeji auf seinen Platz im Richterstuhl des Kontrollraum wartet.

Salvador Skinner: "In der Tat heißt es, dass Lucius Aurelius genau das ist: Verkohltes, schwarzes Fleisch, das von purem Willen, dem Symbionten und Bandagen unter dem Mantel zusammengehalten wird."

Obwohl Laika die Hauptfigur ist, ist der Star in "Begegnung mit Skinner" eben dieser letzte Illusionist Salvador Skinner, der gegenüber Laika die Rolle eines mentalen Führers übernimmt und dessen Beschreibungen stets das Gesicht von Johnny Depp als Mischung aus Willy Wonka und Sweeney Todd heraufbeschwören. Laika dagegen huscht unter Skinners Anleitung, wie einst Alice im Wunderland, von einer Attraktion zur nächsten, bis die Handlung zum Ende nicht nur den thematischen, sondern auch den räumlichen Kreis schließt und mit dem letzten Satz die gesamte Kakophonie des Finales buchstäblich verstummt. Aufgrund der schieren Fülle an originellen Figuren und Einfällen hätte "Begegnung mit Skinner" allerdings gerne noch einige Seiten länger sein dürfen.

Laika: "Und was sind Sie? Sind sie auch ein Anwärter auf den Sitz des Richters? Sind sie auch so durchgeknallt wie die anderen? Muss ich mich vor Ihnen in acht nehmen?"

In Zeiten, in denen klassische Horrorfiguren in endlosen Romanreihen zu Dutzenden ihre Auferstehung als tragische und weichgespülte Liebhaber feiern und selbst die eher unappetitlichen Zombies urban-romantisiert en vogue sind, ballert Harald A. Weissen dem Leser ein Panoptikum ureigener Figuren entgegen, die jede für sich ein Buch füllen könnte. Dabei lassen Harald A. Weissens fantasievolle Geschöpfe eine gewisse Verwandtschaft zu den Kopfgeburten Clive Barkers erkennen. Und wie dieser vermischt Weissen unaufdringlich poetische Schönheit mit Gore-Einlagen, ohne einem davon den Vorzug zu geben.

Der Autor liefert nach nur wenigen Kurzgeschichten mit "Begegnung mit Skinner" einen mehr als vielversprechenden Debütroman ab. Alle, die sich gerne phantastisch und jenseits ausgetretener Wege unterhalten lassen möchten, sei "Begegnung mit Skinner" wärmstens ans Herz gelegt.

Für das Layout und das Covermotiv wurde der vielbeschäftigte Mark Freier engagiert, der Salvador Skinner dort als marionettenhaft-eleganten Dandy in Sepia porträtiert. Liebevolle Kleinigkeiten, wie Innenillustrationen, Szenentrenner in der Form aufgeschlagener Blutstropfen und das saubere Innenlayout komplettieren den guten Eindruck.

'Begegnung mit Skinner" ist der erste Beitrag zur SCREAM-Reihe, die von Alisha Bionda im Sieben-Verlag herausgegeben wird. Die Werbung verspricht "Bel Esprit bis Pulp". "Begegnung mit Skinner" ist beides.

"Aber ich möchte nicht zu verrückten Personen gehen", sagte Alice. "Das wird schwer möglich sein, denn wir sind hier alle verrückt. Ich bin verrückt, du bist verrückt", sagte die Katze zu Alice, als ob sie Gedanken lesen könnte. "Woher willst Du wissen, dass ich verrückt bin?", sagte Alice. "Du musst verrückt sein, sonst wärst Du nicht hier" (Lewis Caroll - Alice im Wunderland)

Begegnung mit Skinner

Harald A. Weissen, -

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