The Lost

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
  • 4
The Lost
The Lost
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Carsten Kuhr
74°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2011

Ende der 60er war die Welt noch in Ordnung - oder vielleicht doch nicht?

Wir schreiben den Sommer des Jahres 1969. Während Nixon sich auf seine Asienreise begibt, der erste Mann auf dem Mond spazieren geht und die Manson-Morde die Öffentlichkeit aufrütteln, scheint das Leben in Sparta noch seinen geregelten Gang zu gehen. Bis vor ein paar Jahren waren Gewaltverbrechen ein Fremdwort, die Polizei damit beschäftigt, Katzen aus Regenrinnen zu retten und dafür zu sorgen, dass die Öffnungszeiten der Lokale eingehalten wurden.

Doch es gab und gibt eine andere, dunklere Seite von Sparta. Im Sommer 1965 wurden zwei junge Frauen, die in der Wildnis campten, brutal und ohne Motiv überfallen und erschossen. Während die eine ihren Verletzungen sofort erlag, dämmerte das andere Opfer jahrelang im Koma vor sich hin. Der Täter wurde, obwohl man den Teenager Ray Pye verdächtigte, nie gefasst.

Ray, der als Mann für alles im elterlichen Motelbetrieb seine Brötchen verdient, ist ein kleingewachsener Egomane aus dem Bilderbuch. Was ihm an körperlicher Größe fehlt, das macht sein übersteigertes Ego mehr als wett. Er hüpft von einem Bett ins nächste, versucht über das Ausleben seiner sexuellen Begierden und über das Dealen von Drogen sein Selbstwertgefühl zu steigern.

Als er die aus San Francisco zugezogene, attraktive Katherine kennenlernt und sich in die mit allen Wassern Gewaschene verliebt, kommen die Dinge ins Rollen. Das erste Mal in seinem Leben wird er von einer Frau verlassen, mehr noch, auch bei der jungen Freundin des früheren Cops Ed kann er nicht landen, seine langjährige Gespielin beginnt eine Affäre mit seinem bislang so unterwürfigem Freund. Das Kartenhaus an Selbstgefälligkeiten, mit dem er sich bislang emotional über Wasser gehalten hat, stürzt haltlos in sich zusammen. So kann man mit ihm nicht umgehen, das lässt er sich nicht gefallen. Die drei Frauen, die ihn, den Besten der Besten, den charismatischen Lover schlechthin verschmäht haben, müssen dafür bezahlen - teuer bezahlen, in Blut und Schmerzen ...

Neben der ketchumtypischen Härte bannen faszinierende Charakterzeichnungen

Jack Katchum ist dem Leser nun nicht unbedingt als Autor des subtilen Horrors bekannt. Schon immer bevorzugt er es in seinen Büchern, seine Leser zu schocken. Das vorliegende, bereits 2001 erstveröffentlichte Buch nimmt diese Prämisse für seine Verhältnisse ein wenig gemäßigt auf, verbindet sie geschickt mit einer detailreichen und glaubwürdigen Zeichnung einer US-Amerikanischen Kleinstadt Ende der 60er Jahre und einem Psychopathen, der es in sich hat.

Eingebettet in die Realität der Woodstock-Generation glänzt der Autor dabei insbesondere mit der Zeichnung seiner Figuren. Jede wird interessant und detailreich hinterfüttert, es tun sich Schicksale auf, die den Leser anrühren. Demgegenüber wirkt dann die Brutalität, die Gefühlskälte, mit der Ray zu Werke geht, geradezu schockierend unterkühlt. Dazu kommt die geradezu genial beschriebene Entwicklung Pyms, der sich plötzlich, und für ihn selbst völlig unerwartet, nicht mehr als Mittelpunkt der Welt sieht, sondern, man glaube es kaum, von den Schnepfen zurückgestoßen, ja verlassen wird. Sein ganzes Weltbild, das er sich in Jahren sorgfältig zusammengezimmert hat, bricht Stück für Stück zusammen. Sein Stolz ist tödlich verletzt, dafür müssen die, die ihm einen Spiegel vorhalten, die ihn zwingen, sich selbst einmal wirklich wahrzunehmen, büßen. Diese Entwicklung wird regelrecht exemplarisch dargestellt.

Hin- und hergerissen zwischen Abscheu ob der sich offenbarenden kranken Gedankenwelt des Protagonisten und der Unterhaltung, die von diesem so plastisch beschriebenen abartigen Geist ausgeht, wird der Leser in die Handlung gezogen. Dass diese dann - ketchumtypisch - in Sex und Gewalt endet, ist absehbar und doch wieder in seinen Details überraschend und schockierend. Für Fans ein Geschenk, für Neuleser eine Entdeckung wert.

The Lost

Jack Ketchum, Heyne

The Lost

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