Biokrieg

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
Biokrieg
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Bernhard Renner
86°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2011

Das Aufziehmädchen

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen vor ihrem Computer und müssen kräftig in die Pedalen treten, um diesen mit Strom zu versorgen. Ein Mensch, welcher nur dazu geschaffen wurde, Ihnen zu dienen, bringt Ihnen einen Tee und ein paar seltsame Früchte mit grünen Borsten, welche Sie nie zuvor gesehen haben. Sie schauen aus dem Fenster und entdecken auf der Straße viele Menschen, die mit Fahrrädern unterwegs sind und gelegentlich stampfen riesige elefantenähnliche Tiere vorüber, die schwere Lasten transportieren. Ab und zu vernehmen sie den Ruf eines der Passanten und das Posaunen der eigenartigen Lasttiere. Keine Motorengeräusche sind wahrzunehmen, obwohl Sie sich mitten in einer Großstadt befinden. So ähnlich könnte es sich anfühlen, wenn Sie sich in dem Zukunftsszenario von Paolo Bacigalupis mit diversen Preisen überhäuften Roman "Biokrieg" befinden. In gewisser Weise ist es der Debüt-Roman des amerikanischen Autors, denn bisher hat Paolo Bacigalupi ausschließlich Kurzgeschichten verfasst.

Der Autor versetzt uns in eine Welt, in der die fossilen Brennstoffe nahezu aufgebraucht sind und Energie daher zu einem raren Luxusgut geworden ist. Neue Krankheiten und Schädlinge bedrohen Flora und Fauna und haben bereits zur Ausrottung ganzer Völker geführt. Der internationale Handel ist kaum noch existent. Nationen, in denen die Lage noch nicht allzu dramatisch ist, begeben sich in vollkommene Isolation, um sich gegen die enormen Flüchtlingswellen und Krankheitserreger zu schützen. Es ist wahrlich keine rosige Zukunft, die uns in "Biokrieg" präsentiert wird. Gentechnik und Recycling heißen die Wunderwaffen in diesem Szenario. Pflanzen und Tiere werden gentechnisch manipuliert, um gegen Schädlinge und Krankheitserreger resistent zu bleiben. Es werden Tiere mit enormer Muskelkraft herangezüchtet und Leichen werden kompostiert, um ein Mindestmaß an Energieversorgung zu sichern. Selbst bei Menschen wird vor Genmanipulation nicht zurückgeschreckt, um leistungs- und widerstandsfähigere Arbeitskräfte und effizientere Militäreinheiten zu erhalten.

Eine düstere Zukunftsvision in Bangkok

Der Roman spielt in Bangkok und konzentriert sich auf die wirtschaftliche und politische Situation in Thailand. Thailand ist eine der Nationen, die durch eine rigorose Abschottung versuchen, die ohnehin kritische Lage nicht weiter zu verschlimmern. Alle importierten Güter werden aus Angst vor neuen Seuchen und Schädlingen penibel kontrolliert. Aufenthaltsgenehmigungen werden Ausländern nur selten und mit strikten Auflagen erteilt. Aufgrund einer gut ausgestatteten Saatgutbank ist die Ernährungssituation in Thailand noch gesichert. Während die Bedrohung von außerhalb des Landes weitestgehend unter Kontrolle ist, spitzt sich die Lage aber im Inneren zu. Das Handels- und das Umweltministerium streiten sich um die Vormachtstellung in Thailand und die Gentechnikkonzerne streben ebenfalls nach mehr politischen Einfluss.

Die Handlung wird aus fünf Perspektiven erzählt, welche sich zunehmend miteinander verflechten. Anderson Lake ist ein Manager aus den USA und besitzt zum Schein eine Spannfeder-Fabrik in Bangkok. Sein eigentliches Interesse liegt aber darin, sich Zugang zu der wohlgehüteten Saatgutbank von Thailand zu verschaffen. Die Spannfeder-Fabrik wird geleitet von Hock Seng, einem geduldeten chinesischen Flüchtling. Hock Seng führte einst ein mächtiges Handelsimperium in Malaysia. Er wurde durch radikale Islamisten aus Malaysia vertrieben und verlor dabei seine gesamte Familie sowie seinen Reichtum. Nun rechnet er damit, in absehbarer Zeit erneut fliehen zu müssen und bereitet sich so gut wie möglich darauf vor, um ein erneutes persönliches Desaster zu verhindern. Jaidee Rojjanasukchai ist Hauptmann der Weißhemden. Die Weißhemden arbeiten im Auftrag des Umweltministeriums und sollen den Einfluss der Großkonzerne und Ausländer eindämmen, Seuchen und Krankheiten bekämpfen sowie die Saatgutbank Thailands beschützen. Jaidee ist unbestechlich und davon überzeugt, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Vom Volk wird er als Held gefeiert, jedoch dem Handelsministerium und den Konzernen ist er ein Dorn im Auge. Unterstützt wird Jaidee von Kanya, deren Dorf durch die Weißhemden zerstört wurde, als sie noch ein Kind war. Kanya hat sich bei den Weißhemden eingeschlichen, um sich zu gegebener Zeit für das Massaker zu rächen. Die letzte, jedoch wohl wichtigste Protagonistin ist Emiko, eine der "neuen Menschen". "Neue Menschen" sind mittels Gentechnik erschaffene Menschen. Emiko wurde von Japanern erschaffen und zu absoluten Gehorsam erzogen. Sie verfügt über stark verengte Poren für eine glattere Haut, weshalb sie nicht in der Lage ist zu schwitzen und daher schnell überhitzt. Sie kann sich sehr schnell bewegen, die Bewegungen in Normalgeschwindigkeit wirken jedoch sehr abgehackt, weshalb sie auch als "Aufziehmädchen" tituliert wird. Emiko wurde von Ihrem Besitzer in Thailand zurückgelassen. Die neuen Menschen werden von den Thailändern als widernatürlich und seelenlos angesehen und zutiefst verachtet. Ohne ihren Herren hält sie sich illegal in Thailand auf und müsste eigentlich entsorgt ("kompostiert") werden. Sie versucht mit allen Mitteln, diesem Schicksal zu entgehen.

Keiner der fünf Protagonisten ist ein echter Sympathieträger, vielleicht am ehesten noch Emiko, das "Aufziehmädchen". Alle haben ihre Ecken und Kanten, was sie umso echter erscheinen lässt. Durch die fehlende Identifikationsfigur bleibt eine gewisse Distanz zum Leser erhalten, was der Spannung allerdings keinen Abbruch tut.

"Biokrieg" ist kein Frottee-Bademantel und alles andere als ein leicht verdauliches Lesevergnügen. Humor und Optimismus sucht man auf den rund 600 Seiten vergebens. Paolo Bacigalupi zeigt uns mögliche Konsequenzen unseres Handelns auf und erinnert uns daran, welche Verantwortung wir für die Zukunft tragen. Zu kritisieren gibt es erstaunlich wenig. An einigen Stellen tauchen redundante Informationen auf und stilistisch hätte ich mir etwas mehr Einfallsreichtum gewünscht. "Biokrieg" ist ein dystopischer Wissenschafts-Thriller, der nachhaltig zu Nachdenken anregt und dennoch ungemein spannend ist. Einigen Unkenrufen zum Trotz: Das Genre Science-Fiction lebt, dieses Buch ist der Beweis.

Biokrieg

Paolo Bacigalupi, Heyne

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