Die unglaubliche Geschichte des Mr. C

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1983
  • 2
Die unglaubliche Geschichte des Mr. C
Die unglaubliche Geschichte des Mr. C
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Michael Drewniok
95°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2006

Der SF-Klassiker mit der Riesenspinne

Scott Carey, Durchschnittsmann der Mittelklasse wie aus dem Bilderbuch, wollte bei seiner Jagd nach dem American Way of Live nur einmal einen Ruhetag einlegen. Mit seinem Bruder unternahm er einen Bootsausflug ... und wurde vom radioaktiven Niederschlag eines Atombomben-Tests getroffen. Seitdem schrumpft Carey jeden Tag konstant um 3,6 Millimeter, und sein Leben hat sich in einen ewigen Albtraum verwandelt. Die Ärzte können ihm nicht helfen, die Medien verfolgen ihn, die Ehefrau und das Kind werden ihm zusehends fremd: Vater ist nicht mehr der Beste in der Familie Carey, und das bedrückt Scott mindestens ebenso wie sein ungewisses Schicksal.

Mehr als ein Jahr dauert der Horror, der Carey Stück für Stück seines normalen Lebens beraubt. Die Menschen um ihn herum betrachten ihn als kuriose Missgeburt, und der zunehmend paranoide Mann wird emotional immer instabiler. Ins gesellschaftliche Abseits gedrängt, leidet Carey unter der Einsamkeit. Er fühlt sich schuldig, als seine Familie in wirtschaftliche Not gerät, weil er, der doch die Position des Familien-Oberhauptes und Brötchenverdieners ausfüllen müsste, in seiner Aufgabe ";versagt” hat. Nur allzu bald ist Carey über dieses Stadium jedoch hinaus: Die Unausweichlichkeit seiner Situation wird ihm spätestens dann bewusst, als er in ein Puppenhaus umziehen muss: Der Schrumpfungsprozess geht mit der Präzision eines Uhrwerks unbarmherzig weiter.

Dennoch kommt die finale Krise rascher als befürchtet: Noch bevor Carey planmäßig im Mikrokosmos verschwindet, nutzt die Hauskatze die Gelegenheit, sich für einige Unfreundlichkeiten ihres einstigen Herrn zu rächen. Dieser entkommt dem Untier zwar knapp, stürzt dabei jedoch in den Keller des Careyschen Hauses. Für die Welt ist Scott Carey nun gestorben, doch der unglückliche Mann haust noch mehr als drei Monate in besagtem Keller.

Für ein Lebewesen von kaum Daumengröße ist dies ein gefährlicher Ort, kalt und unwirtlich. Die tägliche Suche nach Wasser und Nahrung, die Einsamkeit und die Angst Careys steigen ins Unermessliche, als er entdeckt, dass er sein Exil mit einem schrecklichen Feind teilt: einer Spinne, wie sie in jedem Keller anzutreffen ist. Früher hätte er sie kaum eines Blickes gewürdigt oder mit der Zeitung erschlagen. Heute beherrscht die Spinne als riesenhaftes Monster den Raum. Sie wird rasch auf den Neuankömmling aufmerksam und verfolgt ihn mit unerwartetem Geschick. Der stetig weiter schrumpfende Mann und sein vielbeiniger Gegner belauern einander und liefern sich über Wochen ein Duell, in dem sich der menschliche Geist gegen den Instinkt und die körperliche Stärke des Tieres stellt, bis Carey sich eines Tages eingesteht, dass er sich dem übermächtigen Feind stellen muss, bevor er zu klein geworden ist, um sich seiner erwehren zu können. In einem staubigen Winkel des Kellers kämpft er schließlich den Kampf seines Lebens, der für ihn auch die Frage beantworten soll, ob er trotz seines tragischen Geschicks noch immer ist, was er sehnlich zu sein wünscht: ein menschliches Wesen ...

Gute Story wird zügig erzählt

Seit jeher liebt der Mensch Listen, die angeblich die Auskunft geben über die Qualität dessen, was die Mehrheit glaubt, isst, sich anschaut oder liest. Stellen wir ihm doch die Aufgabe, jene phantastischen Filme zusammenzustellen, die ihm aus einem Jahrhundert Zelluloid verbrämter Geschichte im Gedächtnis geblieben sind; eine Aufgabe, die dank zahlreicher TV-Sender, die nur durch stetige Wiederholungen existieren, nicht allzu schwer sein dürfte: Die überwältigende Mehrheit dürfte (sofern in dieser multimedialen Gegenwart mit ihrer offensichtlichen Ächtung des Konzentrations- und Erinnerungsvermögens dazu überhaupt in der Lage) als ein Aha-Erlebnis vor der Mattscheibe die Sichtung des 1957 von Jack Arnold in Szene gesetzten Streifens ";Die unglaubliche Geschichte des Mr. C” vermerken. Dieser Film gehört mit Recht zu den absoluten Klassikern des Science Fiction-Films. Er wurde vor und besonders hinter der Kamera von Männern und Frauen realisiert, die in diesem Genre mehr als das zweifelhafte Freizeitvergnügen sozial gestörter, aber immerhin gut bei (Kino-)Kasse seiender Außenseiter sahen, und erzählt eine an sich absurde Geschichte unterhaltsam, aber sie ernst nehmend und vor allem mit psychologischem Tiefgang und ohne den erhobenen Zeigefinger, den sich Hollywood in den Fünfzigern nur schwer verkneifen konnte.

Dass dies gelang, war zu einem guten Teil der Verfasser der Drehbuch-Vorlage zu verdanken: Richard Matheson gelang mit ";The Incredible Shrinking Man” (diesen einleuchtenden Titel, den auch Hollywood übernahm, trägt die Geschichte des Mr. C im Original, während sich in Deutschland die üblichen hohlköpfigen Marktschreier aus der Werbung etwas besonders Originelles ausdachten ...) 1956 nicht nur ein durchschlagender Erfolg als Schriftsteller, sondern ein echter Klassiker, der (zumindest im angelsächsischen Sprachraum) seit beinahe einem halben Jahrhundert immer wieder aufgelegt wird. Wieso dies so ist, wird schon nach der Lektüre der ersten Seiten deutlich: ";Mr. C”, das Buch, ist sogar noch besser als der gleichnamige Film!

Natürlich war Richard Matheson nicht der erste Science Fiction-Autor, der dem 08/15-Grusel der berüchtigten ";Bug Eyed-Monster” abschwor und statt dessen fantastische Geschichten entwarf, die unterhaltsam waren und psychologischen Tiefgang aufwiesen. Das ist kein Widerspruch in sich, obwohl dies noch heute die Mehrheit der ";seriösen” Kritiker zu glauben scheint. Trotzdem überrascht die Lektüre von ";Mr. C”, denn trotz seines Alters ist dieser Roman unglaublich jung geblieben. Bemerkenswert ist dabei die Eleganz die Umsetzung. Geschickt verliert Matheson über den Auslöser von Scott Careys ";Problem” nur wenige Zeilen. Statt sich (à la STAR TREK) seitenlang in pseudowissenschaftlichen ";Erklärungen” über die Ursachen zu ergehen, die einen Menschen schrumpfen lassen könnten, bedient er sich des ";radioaktiven Regens” als Katalysator, der die eigentliche Handlung in Gang bringt, ohne ansonsten von Bedeutung zu sein.

Darwinismus im Heizungskeller

Matheson setzt ein, als es wirklich interessant wird, und Carey bereits schrumpft. Meisterhaft spielt er durch, was ein solches Schicksal einem Menschen bescheren würde. Er geht sogar einen Schritt weiter: Scott Carey ist kein geborener ";All American Hero”, der in der Krise über sich selbst hinauswächst. Statt dessen schildert Matheson die Tragödie eines Durchschnitts-Menschen, der nicht weiß, wie ihm geschieht, von seiner Not meist überfordert ist und für den kein Happy-End am Ende seines steinigen Weges winkt. Der psychologische Tiefgang von ";Mr. C” ist außerordentlich, ohne dabei jemals aufgesetzt zu wirken, und sei es nur, weil Matheson die inneren Kämpfe Scott Careys mit traumwandlerischer Sicherheit in eine unerhört spannende Geschichte einfließen lässt. Anders als im Film bricht er mit dem chronologischen Fluss der Handlung: Careys letzte Tage schon im Keller seines Hauses und an der Schwelle zum Mikrokosmos bilden den Rahmen, in den die Geschichte seines unaufhörlichen Schrumpfens in Rückblenden eingepasst wird. Das funktioniert perfekt, weil Matheson (ebenfalls unerhört für den der Science Fiction notorisch abholden Literaturkritiker) nicht nur der Gedankenwelt des Protagonisten, sondern auch Careys Überlebenskampf im düsteren Keller, d. h. dem schnöden, sogar actionbetonten Abenteuer, seine volle schriftstellerische Aufmerksamkeit widmet. Da ";stört” es kein bisschen, dass Carey (und Matheson) die furchtbare Spinne nicht nur als realen Feind, sondern auch als Symbol für sein Ringen um die eigene Menschlichkeit deutet.

Bis zu welcher Größe bleibt ein Mann ein Mann?

Aber Matheson ist durchaus deutlich dort, wo er es um der Geschichte willen sein muss. Dabei konnte er 1956 wesentlich unbefangener zu Werke gehen als 1957 in Hollywood. (Matheson schrieb für Jack Arnold das Drehbuch zum Film.) Die Angst, mit dem Verlust seiner Körpergröße gleichzeitig den sozialen Status des ";pater familias” zu verlieren und dadurch quasi ";entmannt” zu werden, durchlebte Scott Carey stellvertretend für seine Geschlechtsgenossen in der Eisenhower-Ära auch im Kino. Weitgehend unter den Tisch fielen freilich seine sexuellen Nöte, die Matheson im Roman erstaunlich offen und unverhohlen anspricht.

Auch sonst spart Matheson nicht an (jederzeit mit der Handlung harmonisierender) Kritik. Die Kälte der US-amerikanischen Gesellschaft, in der wirklich nur Gott selbst demjenigen helfen kann, der unverschuldet durch die Maschen eines kaum vorhandenen sozialen Netzes zu fallen droht, wird mehrfach erschreckend deutlich offenbart. Dabei ergeht sich Matheson nicht in platter Schwarzweiß-Malerei. Die Menschen, die Scott Carey übel mitspielen, sind nicht absichtlich gemein oder bösartig, sondern in der Regel nur gleichgültig und in den eigenen Sorgen gefangen. Diese Vielschichtigkeit hält Matheson bis in die kleinste Nebenrolle durch.

Die unglaubliche Geschichte des Mr. C

Richard Matheson, Heyne

Die unglaubliche Geschichte des Mr. C

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