Tagebuch aus der Hölle

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2011
  • 4
Tagebuch aus der Hölle
Tagebuch aus der Hölle
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Thomas Nussbaumer
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2011

Höllenfahrt

Mörder, Vergewaltiger, Nichtchristen und selbst Menschen, die vor der Geburt Jesu´ lebten und die nie die Chance bekamen, an den christlichen Gott und seinen Sohn zu glauben, finden sich nach ihrem Tod alle in der Hölle wieder. In Jeffrey Thomas´ Hölle wohlgemerkt und das ist wiederum nicht irgendein still vor sich hinköchelnder Pfuhl, sondern ein Hort erlesener Qualen. Der Verfasser der genreprägenden "Punktown"-Geschichten widmet sich mit seinem "Tagebuch aus der Hölle" also einem ganz traditionellen Ort der Fantasie, der dennoch nichts von der für Thomas typisch schrägen Exotik vermissen lässt. Der Roman heißt im englischen Original zwar klingend "Letters from Hades", der deutsche Titel wird dem Buch jedoch eher gerecht, denn der Erzähler legt uns seine Erlebnisse schlicht in Tagebuchform dar. Der findet sich, nachdem er sich mit einem Gewehrschuss das Leben genommen hat, an jenem Ort wieder, an den er sein Leben lang nie geglaubt hat: eben in der Hölle. Doch für Reue ist es jetzt zu spät, erklärt man ihm, und es darf ihm nichts anderes bleiben, als all die Qualen zu erdulden, für die ein ganzer Stab von hochmotivierten Dämonen und Teufeln sorgen (bis in alle Ewigkeit selbstverständlich). Frisch angekommen muss der Selbstmörder aber vorerst ein ´Studium´ an der Avernus-Universität absolvieren, wo er lernt, sich selber zu kasteien und zu erniedrigen. Man erfährt, dass jede Seele sich in einem ´Astralleib´ befindet, der den echten Körper aus Fleisch und Blut ersetzt. Der neue Körper fühlt sich zwar genauso an wie der alte, ist aber nicht mehr totzukriegen. Selbst von Verletzungen, die im richtigen Leben zum Tod führten, erholt sich dieser künstliche Körper wieder, allerdings unter unerträglichen Schmerzen. Abschluss und Höhepunkt seines Studiums ist dann eine Zeremonie, bei der alle Absolventen der Uni für ein paar Tage ans Kreuz genagelt werden. Danach entlässt man die Verdammten ihrem ungewissen ´Schicksal´.

Gott ist (fast) tot

Nach dem Verlassen der Universität, macht sich der Protagonist auf die Suche nach einem ruhigen Plätzchen in der Hölle, wo nicht dauernd Folter und Schmerzen drohen. Dass ein solcher Ort rar sein dürfte, scheint klar. Doch wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Der Roman setzt sich mal ernsthaft, mal ironisch mit der Frage auseinander, was denn der berechtigte Sinn einer Hölle sei, wenn es den angeblichen ´guten Gott´ gibt. Wozu Folter bis in alle Ewigkeit? Kennt dieser Gott keine Gnade? Kann und darf sich der Mensch nicht bessern? Und wo sitzt Gott? Scheinbar kommt jeder Verdammte mit Vorstellungen in die Hölle, die sich als unzutreffend erweisen: Es gibt nämlich keinen Luzifer, und der Schöpfer ist schizophren und hat "zwei Gesichter und ein halbes Herz". Doch dieser Schöpfer zeigt sich nie, denn er liegt in einem umwölkten ´Koma´, nur um ab und zu daraus zu erwachen und seinen Dienern, den Engeln, ein paar irrationale Befehle zu erteilen, wie ein seniler Greis auf dem Sterbebett. Die Engel sind wie die Verdammten unsterblich, nicht aber die Dämonen, die in Thomas´ Roman bloß als Kreaturen dargestellt werden, die ´bei Verlust´ vom Schöpfer durch neue ersetzt werden können.

"Darüber hinaus fielen die Engel, wie ich gelernt hatte, gelegentlich gern mit kompletten Armeen in der Hölle ein, um Schlachten gegen bestimmte Städte zu schlagen und zu vergewaltigen und zu brandschatzen wie wilde, lüsterne Wikinger."

Die Hölle, die Thomas zeichnet, entspricht in mancher Hinsicht einer verkehrten Welt: Die Dämonen sind durchaus nicht von Grund auf schlecht, sondern sie sind eben selber auch nur Instrumente des wahnsinnigen Schöpfers, wie die Verdammten, und erfüllen bloß ´ihren Job´. Und die Engel, die im christlichen Kanon als Fleischwerdung der Nächstenliebe gelten, erweisen sich dagegen als sadistische Quälgeister oder eben wahre ´Hell's Angels´, die in Scharen auf ihren Motorrädern durch die Städte donnern und optisch an die Mitglieder des Ku-Klux-Klans erinnern.

Revolution in der Hölle

In einem Wald begegnet der Erzähler schließlich der Dämonin Chara, die von einer Horde rebellierender Verdammten überfallen, vergewaltigt und ans Kreuz geschlagen wurde. Aus Mitleid befreit er die schrecklich-schöne Kreatur und bewahrt sie somit vor dem endgültigen Tod. Und die auf Rache sinnende Dämonin verschont vorerst das Leben ihres Retters, obwohl sie nicht übel Lust hätte, ihren Zorn am nächstbesten Verdammten auszulassen.

In der Unterweltstadt Oblivion begegnet er ihr schließlich wieder und stellt sich ein weiteres Mal schützend vor die schöne Dämonin, die gerade von zwei Engeln belästigt zu werden droht. Und spätestens von da an entspinnt sich eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, wie sie die Hölle noch nie gesehen hat...

Wie bei den meisten von Thomas´ Erzählungen, ist der Schauplatz, also diesmal die Hölle, in verzerrter Weise ein groteskes Abbild unserer Wirklichkeit. Es ist eine Welt buchstäblich von Gott verlassen und man bekommt über kurz oder lang den Eindruck, dass jeder dort unten sein eigenes Schicksal bestimmen muss. Denn: Gott ist eben wahrscheinlich tot und kümmert sich weder um die Welt, noch um die Hölle. Die Verdammten bilden schließlich eine Allianz mit ein paar Dämonen und fangen an sich gegen ihre Bestimmung aufzulehnen. Man hätte diese Revolution in der Hölle durchaus noch weiter ausführen können, doch Thomas belässt es beim Keim dieser Idee. Die Geschichte ist zwar gespickt mit intensiven Bildern der Unterwelt und die Qualen, die den Verdammten dort unten drohen, sind für den Leser gut nachvollziehbar (soweit das überhaupt möglich ist); Hieronymus Bosch und Gustave Dorés Illustrationen zu Dantes Inferno haben den Autor zweifellos inspiriert. Aber gerade gegen Schluss lässt die Handlung ein wenig Spannung vermissen. Das Ende ist zwar in sich schlüssig und bewusst offen gelassen, dennoch fehlte mir zuletzt wenigstens ein Wink, in welche Richtung sich das ganze entwickeln könnte. Ein bisschen Revolution mehr hätte die Geschichte gut vertragen. Aber vielleicht wäre Jeffrey Thomas überhaupt besser damit gefahren, sein Höllenthema nicht unbedingt in eine solche Romanform zu zwingen, sondern ähnlich wie bei seinem Punktown-Zyklus, die Unterwelt in kurzen Geschichten darzustellen. Trotzdem lohnt sich ein Abstieg mit dem "Tagebuch aus der Hölle", das uns eine lesenswerte und bizarre Vision der Unterwelt beschert.

(Thomas Nussbaumer, Oktober 2011)

Tagebuch aus der Hölle

Jeffrey Thomas, Festa

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