Die Schattenuhr - Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe

  • Blitz
  • Erschienen: Januar 2011
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Die Schattenuhr - Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe
Die Schattenuhr - Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe
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Thomas Nussbaumer
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2011

Pastichen nach Poe

Edgar Allan Poe (1809-1849) gilt als Begründer der (phantastischen) Kurzgeschichte und Wegbereiter der Kriminalliteratur. Seit über einem Jahrhundert erfreuen sich seine Erzählungen großer Beliebtheit, nicht nur bei Kennern der Phantastik. Poes unverkennbar makabre und obsessive Stories wirkten auch prägend auf spätere Meister des gepflegten Grusels wie Wells, Lovecraft, King, Ligotti und andere. "The Fall of the House of Usher" ist bis heute eine der berühmtesten amerikanischen Shortstories, deren Faszination noch kein bisschen verblasst ist. Es erstaunt daher nicht, dass sich Autoren aller Generationen ungeniert an Poes reichen literarischen Vorgaben bedienen oder aus seinem Werk zitieren. Regelmässig erscheinen Anthologien als Hommagen an den amerikanischen Horror-Avantgardisten und als eine solche Würdigung sieht sich auch die optisch sehr ansprechende "Schattenuhr". Wie gewohnt vom Blitz-Verlag wurde die Ausgabe schön gestaltet und mit einer Titelillustration von Zdzisław Beksiński versehen, einem polnischen Maler, dessen Werk erst jetzt, nach seinem Tod, breitere Aufmerksamkeit erlangt und dessen Optik gut zu Poes Düsterwelten passt.

Wagner in Paris

Die erste Erzählung von Andreas Gruber ist durch die historische Figur des Komponisten Richard Wagner inspiriert. Der junge Komponist, der sich 1839 auf der Flucht vor deutschen Gläubigern befindet und gerade erst seine Anstellung als Kapellmeister in Riga verloren hat, trifft mit seiner Frau Minna in der Stadt der Lichter ein. Sie können sich knapp eine billige Pension leisten und Wagner macht sich Sorgen, dass ihn seine kreative Blockade bald in echte finanzielle Not treibt. Doch schneller als erwartet, findet er Aufnahme in die höchsten Künstlerkreise der Stadt. In einem Club an der "Rue de la Tonnellerie" macht er Bekanntschaft mit Berlioz, Hugo, Balzac und nicht zuletzt mit seinen Landsmann Heinrich Heine, die sich alle in Wirklichkeit wahrscheinlich nie so zwanglos begegnet sind wie in Grubers Geschichte. Eine flüchtige Begegnung mit Edgar Allan Poe ist dann ganz fiktiv, denn der Amerikaner ist möglicherweise nie in Paris gewesen, obwohl ihn die Stadt zu seiner berühmten Detektivgeschichte "The Murders in the Rue Morgue" inspirierte. Bald merkt der Komponist, dass die künstlerische Avantgarde enger miteinander verknüpft ist als es auf den ersten Blick scheint, denn sie alle sind regelmässige Besucher von Madame Sorces ´Steinzimmer´.

Grubers Erzählung wirkt routiniert und entfaltet eine authentische Stimmung, bietet aber keine wirklichen Überraschungen.

Die apokalyptische Bibliothek

In Matthias Falkes "Die steinerne Bibliothek" berichtet uns der Erzähler in altertümelndem Tonfall wie er Smera kennenlernt, eine junge Frau, die an Dyslexie (Leseschwäche) leidet. Überraschend schwenkt die Erzählung dann in einen zweiten Handlungsstrang über, ich dachte schon, da sei was beim Buchsatz schiefgelaufen, aber damit hat alles seine Richtigkeit. Der Erzähler ist noch immer derselbe, nur dass er jetzt eben mit einer Gruppe von Wissenschaftlern nach Asien aufgebrochen ist und in Briefen an die zurückgelassene Smera von seinen Erlebnissen berichtet. Ziel der Reise ist die Ausgrabung und Erforschung einer antiken Anlage von Steinen, die sich im Innern eines buddhistischen Bergklosters befindet. Diese steinerne Bibliothek soll angeblich den Status Quo des gesamten Wissens und aller Zeitalter der Welt darstellen. Und die Monolithe machen eine düstere Prophezeiung, denn sie künden offenbar das Weltende an.

Falke trifft den Ton, der eine zeitlose phantastische Erzählung ausmacht und in der handgeschriebene Briefwechsel, ´GPS´ und ´Caffè Latte´ keine Widersprüche ergeben. Es ist vielleicht gerade dieser Ton, der am ehesten Poes ´Stimme´ entspricht und der "Die steinerne Bibliothek" dennoch zu etwas Eigenständigem macht.

Die Entdeckung des Hauses Usher

"Jenseits des Hauses Usher" ist der Beitrag von Markus K. Korb. Er lässt seinen Protagonisten einen Wälzer in einer staubigen Bibliothek entdecken, der offenbar von Edgar Allan Poes Bruder verfasst worden war. Dabei handelt es sich um ein Werk zum Thema Kartographie und der Erzähler stösst darin auf einen Hinweis, dass Poes bekanntestes literarisches Motiv, das eingestürzte ´Haus Usher´, offenbar ein reales Vorbild kannte. Die später entdeckten Ruinen am Grund eines Sees legen diesen Schluss nahe. Doch der archäologische Fund, der immerhin die für die Literaturwelt sensationelle Erkenntnis nach sich zöge, dass Poe mit seiner Erzählung nichts als einen Tatsachenbericht vorlegte, fordert seinen Preis. "Jenseits des Hauses Usher", mässig spannend und mit einem komplett überhasteten Ende, ist die am wenigsten überzeugende Erzählung des Bandes.

Aberglaube und blinder Eifer gebären Ungeheuer

Mit Olaf Kemmler sind wir daraufhin "Zu Gast bei Meister Pforr". Der Journalist Cotta ist bei seinem Arbeitgeber in Ungnade gefallen und man hat ihm deshalb auf der Redaktion das wenig anspruchsvolle Gebiet der Spukgeschichten und Sensationsberichte überlassen. Das Zeitalter der Romantik ist ja eine dem Wunder- und Aberglauben nicht abgeneigte Epoche und da wird Cotta erst recht hellhörig, als man ihm während einer Kutschenfahrt die Geschichte eines Hexers erzählt, der angeblich Mensch und Tier die Herzen herausreisst und in Automaten verpflanzt. Cotta macht sich also auf die Suche nach diesem morbiden Tüftler und muss dabei erfahren, dass offenbar der eigene (Aber-)Glaube den wahren Kern einer Geschichte ausmachen kann.

Nach einer unnötig langen Einleitung kommt Kemmlers Erzählung gut in Fahrt und erfrischt gegen Ende mit unerwarteten Wendungen. Nicht nur fehlende Vernunft, - so könnte man die Geschichte lesen -, ist ein guter Nährboden für allerlei Ausgeburten des Teufels, sondern auch Verbissenheit und übertriebener Ehrgeiz. Die geschickt inszenierten Wendungen machen "Zu Gast bei Meister Pforr" trotz kleinerer logischer Mängel zu einer gelungenen Schauergeschichte.

Im Haus des ewigen Todes

Michael Knoke beschwört in "Die Schattenuhr" die Stimmung eines düsteren Hauses herauf, das seit jeher von ungewöhnlichen, an den Konventionen ihrer Zeit gescheiterten Menschen oder von brotlosen Künstlernaturen bewohnt wurde. Ein Schauplatz, der stark an das erwähnte ´Haus Usher´ erinnert. Und der Erzähler ist ein typischer Protagonist solcher Plots, der weniger ein Opfer der schädlichen Einflüsse dieser Atmosphäre, sondern eher der eigenen Lethargie wird. Schade ist, dass der Autor zuviel will und seiner Geschichte nicht zutraut, dass die düstere Grundstimmung und die interessante Konstellation der Figuren schon eine gute Voraussetzung für eine Schauergeschichte ergäben. Leider verliert sich ein Grossteil des Textes in Erklärungen zu einem Phänomen, das eben gerade das phantastische Element dieser Geschichte ausmacht und eigentlich keiner Erklärung bedarf. Es prasseln zwar eine Unzahl an Mutmassungen, philosophische und metaphysische Floskeln auf den Leser ein, aber die Handlung bleibt unspannend, die Figuren steif. Als Leser möchte ich keine Gebrauchsanweisung in den Händen halten, sondern schlicht glaubwürdig vermittelt bekommen, was denn da Ungewöhnliches geschieht. Was hier zuviel an ´Theorie´ und ´Hintergrund´ ist, geht auf Kosten der Spannung und der Glaubwürdigkeit. Die Schattenuhr ist eine dieser Geschichten, worin alle Figuren (und natürlich auch der Leser) mehr wissen als der Erzähler, der sich bis zuletzt saublöd absichtslos stellt und aufrecht aber mit viel Lamentieren in sein Verderben läuft.

Auf den Spuren des Meisters

"Die Schattenuhr" ist schnell ausgelesen, bleibende Eindrücke hinterlässt die Sammlung allerdings nicht. Es gibt eher wenige Berührungspunkte zu Poes Werk (mit Ausnahme von Korbs Erzählung, die ja direkt Bezug auf eine von dessen Geschichten nimmt), dessen Name hier vielleicht in erster Linie gute Werbung sein darf. Olaf Kemmlers Erzählung könnte allerdings genauso gut eine Hommage an E. T. A. Hoffmann darstellen. Und doch muss der Name Poe zuletzt für eine gewisse Qualität bürgen, die zugegebenermassen nur schwer zu erreichen ist. Fazit: Edgar Allan Poes Fussstapfen sind den meisten nachfolgenden Autoren zu groß.

(Thomas Nussbaumer, Oktober 2011)

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