Zombies kommen langsam aber gewaltig!
Forest Peak ist eine kleine Stadt im US-Staat Kalifornien. Eine Autostunde von Los Angeles entfernt in einem waldreichen Landstrich gelegen, dient sie zivilisationsmüden Städtern als beliebtes Ausflugsziel. Die Bürger haben sich auf die Touristen eingestellt und leben nicht schlecht vom Fremdenverkehr. Um jene Besucher, die sich nicht benehmen können, kümmert sich Sheriff Danielle "Danny" Adelman, eine im Irak-Krieg verwundete und dekorierte Ex-Soldatin, die wenig Federlesens mit Gesetzesbrechern und Unruhestiftern macht.
Privat leidet Danny unter Albträumen vom Krieg sowie den Eskapaden ihrer jüngeren Schwester Kelly, die sie nach dem Tod der Eltern eher schlecht als recht zu erziehen versucht. Gerade hat ihr Kelly den geliebten Ford Mustang geklaut und ist aus Forest Peak verschwunden. Um ihren Verbleib kann sich Danny nicht kümmern, weil gerade jetzt die Zivilisation zusammenbricht: Weltweit geraten 9 von 10 Menschen erst in Panik und laufen Amok, um anschließend tot umzufallen. Wenig später erwachen sie zu neuem Scheinleben und fallen über ihre lebenden, offensichtlich immunen Mitbürger her, um sie zu fressen und ebenfalls in Zombies zu verwandeln.
Forest Peak verwandelt sich in die Hölle, da es nicht lang dauert, bis aus Los Angeles ein Millionenheer von Zombies in alle Richtungen ausschwärmt. Danny und ihre kleine Polizeistation werden überrannt, denn die hungrigen Toten sind zwar nicht intelligent aber mächtig in der Überzahl. Mit einigen Leidensgefährten schart Danny die wenigen Überlebenden um sich. Man durchbricht die Reihen der Zombies und flüchtet aus Forest Peak. Eine ziellose Flucht durch die Mojave-Wüste beginnt. Man sucht nach einem Ort, an dem man sich verstecken oder besser: verbarrikadieren kann. Doch innerhalb der kleinen Gruppe herrscht Uneinigkeit. Das schwächt den Zusammenhalt und beeinträchtigt die Aufmerksamkeit, was zombieseits nicht unbemerkt bleibt ...
Das Leben steckt voller untoter Überraschungen
Am Anfang stand - Frustration. Ben Tripp outet sich auf seiner Website als Mitglied einer ganz besonderen Zombie-Armee: Sie ist in Hollywood stationiert, wo ihre Soldaten Projekte für Film und Fernsehen entwickeln, die niemals verwirklicht werden. Mehr als zehn Jahre hat Tripp im Laufrad dieser Industrie verbracht. Zwar wurde er für seine Arbeit bezahlt, aber die Bestätigung in Gestalt seines im Vor- und Abspann lesbaren Namens eines tatsächlich gedrehten Films blieb aus.
Das Seitenvolumen des hier vorgestellten Buches sowie des Verfassers Aussage, dies sei nur der erste Teil der Gesamtgeschichte, weisen darauf hin, dass "Infektion" ursprünglich die Drehbuch-Grundlage für eine Fernsehserie darstellte. Immer wieder bot Tripp sein weit gediehenes Werk an, doch sämtliche Produzenten winkten ab: Niemand wolle Zombies im Fernsehen sehen - schon gar nicht in der von Tripp favorisierten aber von der Zensur verabscheuten, sich an den Romero-Wüstlingen orientierenden, Blut und Eingeweide verspritzenden Variante.
Also beschloss der schließlich resignierende Tripp, die Ergebnisse einer jahrelangen Arbeit nicht ad acta zu legen, sondern in einen Roman einzubringen. Dieses Mal hatte er mehr Glück. Er verkaufte die Buchrechte für "Rise Again" im Oktober 2010 - im gleichen Monat ging der US-Fernsehsender AMC mit der ersten Folge der Serie "The Walking Dead" auf Sendung, was Tripp die Freude über seinen Erfolg arg vergällte, obwohl er sich inzwischen bemüht, die ironische Seite der Ereignisse zu würdigen.
Kommt uns das nicht sehr bekannt vor?
Das Wissen um die TV-Herkunft beantwortet eine Frage, die sich der Leser recht bald stellt: Warum dehnt Autor Tripp eine längst bekannte Geschichte quasi ins Unendliche aus? Sie sollte ursprünglich vermutlich 13 TV-Folgen abdecken, weshalb sich der Verfasser viel Zeit nimmt, in fernsehüblichen Details - und Klischees - zu schwelgen. Man kann als erfahrener (und viel geprüfter) Zuschauer mit ziemlicher Sicherheit nachvollziehen, wo welche Episode enden sollte.
Zahlreiche Figuren werden eingeführt und mit ausführlichen Biografien ausgestattet, die gleichzeitig Zündstoff für dramatische Zwischenmenscheleien bieten; mit solchem Seifenoper-Schaum können routiniert und kostengünstig viele Sendeminuten gefüllt und gestreckt werden, während die (teuer zu schminkenden) Zombies im Off ihr Unwesen treiben. Hinzu kommen in der zweiten Hälfte unserer Geschichte fiese Macho-Söldner, die sich auf dem hollywoodtypischen Usurpatoren-Trip - rauben statt helfen, flüchten statt Zombies killen sowie den attraktiven unter den überlebenden Frauen nachstellen - befinden.
Forest Peak bildet nur den Startpunkt für eine Geschichte, die in der Frühzeit des US-Fernsehens noch als Wagentreck in den Wilden Westen erzählt worden wäre. Statt der Zombies hätten Indianer brave Siedler-Pioniere belauert, doch ansonsten gäbe es wenige Unterschiede. Der Weg ist auch bei Tripp das Ziel: Sheriff Dannys annähernd die US-Bevölkerungsstatistik widerspiegelnde Gruppe kämpft sich durch eine karge und menschenfeindliche Landschaft.
Mit der TV-Dramaturgie für die Buch-Inkarnation zu brechen oder sie wenigstens zu verdichten, stand offensichtlich nicht auf Tripps Agenda. Zwar geht scheinbar hoch und heftig her - auf ein Budget muss der Verfasser nicht Rücksicht nehmen -, doch zumindest die Langmut derjenigen Leser, die das fünfte, elfte oder 112te Gefecht mit hungrigen Zombies nicht mehr unbedingt unterhaltsam finden, erschöpft sich allmählich. Bis sich in dieser Hinsicht endlich Neues ereignet, füllt Tripp viele Seiten mit jenen Post-Doomsday-Gemeinheiten, die sich die Menschen voraussichtlich antun werden.
Das alte Problem: Zombies sind öde
Anders als der Vampir oder der Werwolf ist der Zombie ein Monster aus der Unterschicht des Grauens. Er hat höchstens eine einzige verborgene Tiefe, die in der Frage mündet, ob er irgendwann seine Intelligenz wiederfindet. Ansonsten ist er ein tumber, hässlicher Zeitgenosse, der nur aufgrund seiner Überzahl gefährlich wird. Wohliges Grauen durch verwesende Hässlichkeit und blutspritzende Bissigkeit kann er vor allem im Film verbreiten. Im Buch sollen entsprechende zwar Beschreibungen und Attacken für saftigen Splatter sorgen, was aber ohne Bebilderung weniger nachdrücklich bleibt.
Emotionale Turbulenzen und daraus hervorgehende Konflikte bleiben den Lebenden vorbehalten. Sie basieren auf der Prämisse, dass der Mensch auch in der Not nur im Einzelfall dazulernt. Also beharren einst privilegierte Zeitgenossen auf vergangene Vorrechte, bringen geistig überforderte Einzelgänger mit unbedachten Aktionen die Gesamtgruppe in Gefahr, geraten Kinder & junge Hunde vor scharfe Zombie-Gebisse. (Klischee Nr. 3 wird hier nur humorvoll zitiert; so etwas traut sich in dieser zynisch gewordenen Gegenwart selbst ein TV-Minenarbeiter nicht mehr.)
Menschen sind nur bedingt interessanter
Auch in "The Walking Dead" wird ausgiebig gestritten. Während man im Fernsehen die Kombattanten wiederum sehen kann, hört man im Buch vor allem Papier rascheln. Die Figurenzeichnung bleibt ausnahmslos bekannten Klischees verhaftet. Sheriff Danny ist die auf die Spitze getriebene Inkarnation sämtlicher (moderner) Trivial-Helden: weiblich, kampfstark, trotzdem hübsch, seelisch angeknackst (Irak-Krieg-Trauma!) und stets in vorderster Front aktiv, auch wenn sie zwischenzeitlich in eigentlich tödliche Explosionen gerät, beschossen wird und einige Finger verliert.
Um diese recht stereotype Figur aufzuwerten, dichtet Tripp Danny eine tragische Familiengeschichte an. Die kleine Schwester tritt zwar nur zu Beginn und im Schlusskapitel auf, spukt aber auf den dazwischenliegenden 600 Seiten durch Rückblenden allzeit präsent durch die Handlung; u. a. verleitet sie Danny zu diversen Eskapaden, die der einführenden Charakterisierung völlig widersprechen.
Zu allem Überfluss aber keineswegs unerwartet gestaltet Tripp mit Kelleys Hilfe den finalen Cliffhanger, mit dem er auf die Fortsetzung seines Zombie-Epos´ neugierig machen möchte: Die keiner Logik gehorchende Übertriebenheit deutet nicht nur an, dass mit dieser Szene die erste Serienstaffel geendet hätte.
Lesefutter kann eine Lektüre-Mahlzeit ersetzen
Ist "Infektion", dieser überlange, bar jedes originellen Einfalls Szene an Szene flanschende Trivial-Horror, also langweilige Zeitvergeudung? Auf keinen Fall, denn gerade diejenigen Genre-Werke, die in erster Linie unterhalten wollen, benötigen feste Handlungs- und Figurenkonstanten, die nur behutsam variiert werden dürfen. Sie decken damit den größten gemeinsamen Zuschauer- oder Lesergeschmack ab, was ein Hauptgrund dafür ist, dass unter zeitgemäß schicken äußeren Schalen immer wieder alte Muster deutlich werden.
Es trifft zu, dass Tripp mindestens die Geschichten der ersten vier Romero-Zombie-Filme in seinen Hirn-Mixer wirft und das Gebräu mit Anleihen aus der "Resident-Evil"-Mythologie würzt; er ist ganz gewiss kein Literat. Aber er versteht sein Handwerk und KANN schreiben, d. h. hängt nicht einfach Worte hintereinander, sondern hat ein Gefühl für Sprache, vermag nicht nur Action darzustellen, sondern auch Stimmungen zu gestalten. (In diesem Zusammenhang sollte und muss der Übersetzer lobend erwähnt werden, der einen im Deutschen angenehmen Lesefluss gewährleistet.)
"Infektion" ist kein Phantastik-Festmahl, sondern Fast-Food-Horror. Wenn die Zutaten stimmen und die Zubereitung klappt, schmeckt solches Lesefutter freilich vorzüglich. Vor allem einem jüngeren Publikum, dass die Tricks (noch) nicht kennt, mit denen Tripp arbeitet, wird sich zu Recht amüsieren, aber auch dieser alte Leser-Haudegen, der die Manipulationen und ´Anleihen´ sehr genau erkennt, kann und will seinen Spaß an diesem Spektakel nicht verhehlen: Mr. Tripp, Rise Again!
(Dr. Michael Drewniok, Dezember 2011)
Ben Tripp, Heyne
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