Terrorinsel

  • Blitz
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
Terrorinsel
Terrorinsel
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Jochen König
74°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2011

It's the end of the world as we know it

Eigentlich sollte Pelican Cay bereits Mitte der 80er erscheinen, doch jene Sammlung für die der Kurzroman eingeplant war, erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit. Vorgeblicher Grund: Der angebliche Wandel des Marktes für Horrorliteratur in den USA. Erst 1999 gelang es David Case seine Geschichte als eigenständige Publikation zu veröffentlichen; bevor sie der aktuellen Kompilation Pelican Cay & Other Disquieting Tales den Titel verlieh.

Die 222 augenfreundlich bedruckten Seiten täuschen nicht darüber hinweg, dass Terrorinsel, wie Pelican Cayauf Deutsch betitelt wurde, eine Novelle ist und kein (komplexer) Roman. Das macht aber nichts, denn die Reise des Journalisten Jack Harland in eine Welt voller sich erst langsam, dann zügig vermehrender Zombies - die der Autor in eigenwilliger Negation des Offensichtlichen "Ghouls" nennt - ist gerade in seiner Verknappung nicht nur kurz sondern auch -weilig. Eine geradezu archetypische Einführung in jenen Genrebereich, in dem gewissenlose (militärische) Forschung apokalyptische Zustände heraufbeschwört.

Jack Harland ist kein typischer Held, der in auswegloser Situation über sich hinauswächst, sondern, obwohl direkt involviert, auch immer erschreckter Beobachter des Auseinanderfallens der Zivilisation an einem paradiesischen Ort. So wird jedenfalls behauptet. Denn die Geschichten der Bewohner Pelican Bays - Case lässt es sich nicht nehmen, trotz der Kürze der Erzählung das ein oder andere Seemannsgarn zu spinnen - lassen vermuten, dass die Idylle eine trügerische war. Harland ist ein integrer Journalist (tatsächlich!), der dem Ruf des Wissenschaftlers Elston folgt, dem die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit immer suspekter erscheinen. Doch die Begegnung endet in Andeutungen und so abrupt, dass Harland im Ungewissen bleibt, was es mit jener Sperrzone auf sich hat, in der Militär und Wissenschaft streng geheimen Menschenversuche betreiben. Keine Kombination, deren erklärtes Ziel eine Zeit des Glücks und Wohlstands ist. Stattdessen soll am Ende der chemisch/biologische Experimente ein lobotomisiertes Heer gefühlloser Supersoldaten stehen. Das wankt allerdings eher, als dass es steht, und natürlich gelingt es einzelnen Probanden, das militärische Sperrgebiet zu verlassen und die Bevölkerung Pelican Days nicht nur zu dezimieren, sondern auch zu infizieren. Eine Seuche breitet sich aus und wird vermutlich nicht lange auf Pelican Cay und die Florida Keys beschränkt sein. Emma weiß warum.

David Case erzählt von diesem Zerfall der Zivilisation lakonisch, ein bisschen altbacken und manchmal spröde. Das verleiht dem grausigen Geschehen nostalgischen Charme, hinter dem sich allerdings wahrhafter Schrecken verbirgt. Obwohl in seinen Beschreibungen des Zerfalls und Gemetzels keineswegs zimperlich, schlachtet Case die Gewalt nicht aus bis zum bluttriefenden Exzess. Für den nach Guts'n Gore gierenden Leser könnte die Terrorinsel deshalb eine kleine Enttäuschung sein. Selbst Schuld.

Die wahre Stärke Case´ ist das Schaffen ambivalenter Charaktere auf engstem beschreibendem Raum. Es wimmelt zwar von Typen auf der "Terrorinsel", wie dem brummigen aber freundlichen Seebären, den stoischen, rechtschaffenen Gesetzeshüter, die moralische Institution und weibliche Hilflosigkeit in einem, natürlich namens "Mary", sowie einige nebensächliche Kombattanten wie die arg lädierte Dorfhure, die redliche Krankenschwester, der alte Leuchtturmwärter, der joviale Gastwirt und der allseits beliebte Lynchmob. Doch hat Case für viele seiner Figuren einen Kniff, eine Wendung in petto, die sie aus dem allzu klaren Schema ausbrechen lässt und zu vielschichtigeren Wesen werden lässt. Sogar den "Ghouls" gesteht der Autor einen gewissen Grad an Individualität zug. Zumindest in den Augen seines Protagonisten jack Harland. Insbesondere aber zu sehen an dem eigentlich geläuterten Wissenschaftler Elston, der trotz besseren Wissens bis zum Ende höchst fasziniert auf die Forschung am unkontrollierbaren Wesen blickt, anstatt sich um einen Ausweg und ein Gegenmittel zu bemühen. Die größte Wandlung macht Larsen, der Sicherheitschef der Sperrzone, durch, der zunächst als wahrhafter Beelzebub aufgebaut wird, bevor er sich als nachdenklicher und eher hilfloser Handlanger einer staatlich sanktionierten Bande Zauberlehrlinge entpuppt, der die selbst geschaffenen Dämonen längst über den Kopf gewachsen sind. Leider verabschiedet er sich nahezu sang- und klanglos aus der Erzählung.

Womit wir bei den Schwächen wären: Das Frauenbild, welches Case propagiert ist von erschreckender Schlichtheit - dass die propere Mary sich nicht aus Versehen selbst erschießt, ist auch schon alles -; die Grundzüge der Geschichte bieten jedem, der Filme unterschiedlichster Qualität zwischen "Crazies", "Virus" und "Wie erschaffe ich einen Supersoldaten und warum das immer nach hinten losgeht", gesehen hat, kaum Überraschungen.
Doch wie Case Muster gleichzeitig bedient und variiert, dabei dem Genre völlig widersprechend ziemlich unaufgeregt bleibt, ist eine Kunst, die er beherrscht. Gelegentlich auf der Kippe zum Lächerlichen verhilft gerade sein Understatement die apokalyptische Endgültigkeit der Story zu betonen. Feiner, kleiner Roman.

PS.: Die nahezu fehlerlose deutschsprachige Aufarbeitung zeigt, dass kleinere Verlage sehr wohl in der Lage sind, auch formal qualitativ hochwertige Produkte herauszubringen. Kein Zauber, kein Voodoo, nur ein bisschen Sorgfalt und Verständnis für´s eigene Tun.

PPS.: Ja, ich weiß, Zombies im eigentlich Sinn sind die herumtapernden Hirntoten auf der Terrorinsel nicht. Denn die unglücklichen Testpersonen verändern zwar ihre Persönlichkeit und den Geisteszustand (on/off), aber sie sterben nicht und wachen auch nicht als Untote mit Hunger auf Menschenfleisch wieder auf. Aber es gilt: Wenn es sich bewegt wie ein Zombie, handelt wie ein Zombie, durch Bisse andere infiziert wie ein Zombie, IST es ein Zombie. Über die Definition von "tot" und "seelenlos" kann man indes lang und breit diskutieren.

PPPS.: "Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen." Christian Morgenstern, Möwenlied.

(Jochen König, Dezember 2011)

Terrorinsel

David Case, Blitz

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