Die Fahrt des Leviathan

  • Atlantis
  • Erschienen: Januar 2012
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Die Fahrt des Leviathan
Die Fahrt des Leviathan
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Carsten Kuhr
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2012

Ein Hauch von ´Fackeln im Sturm´

Willkommen in Karolina, der einzigen Provinz des Preußischen Königreichs in Amerika. Während der Bürgerkrieg die anderen amerikanischen Staaten fest in seinem Griff hat, finden die aus den Südstaaten geflohenen Sklaven hier Aufnahme, Lohn und Brot. Allerdings wird die Arbeit zusehends weniger, boykottieren die Südstaatenbarone doch den Export ihrer Baumwolle und des Tabaks nach Europa, um ihre politische Anerkennung zu erzwingen. So verbleibt die von geknechteten Sklaven gepflückte Baumwolle in den Lagerschuppen des Südens, und die von den Soldaten der Sezessionsarmee dringend benötigten Stiefel, Gewehre und Kanonen in Europa.

Nicht jeder ist glücklich darüber, dass Preußen sich eine Enklave in Amerika geschaffen hat.
Während die befreiten Sklaven geradezu fanatische Anhänger des Potsdamer Königshauses sind, sorgen die vor Generationen enteigneten Nachfahren der englischsprachigen Bevölkerung immer wieder für Unruhe. Sie würden sich am liebsten der Sezession anschließen, an der Seite des Südens und mit General Lee in den Kampf gegen Lincoln und die Yankees eintreten. Damit nicht genug, schürt Österreich die Ressentiments. Um den im Deutschen Bund argwöhnisch beäugten Nachbarn, der mit Otto Graf von Bismarck gerade einen erklärten Feind Österreichs zum Reichskanzler erhoben hat, kleinzuhalten, ist ihnen jedes Mittel recht.

Major Wilhelm von Pfeyfer soll eigentlich dafür Sorge tragen, dass in Friedrichsburg alles seinen geregelten Gang geht. Als der Kronprinz, der mit seinen liberalen Ansichten seinen Vater erzürnt, als Statthalter in Friedrichsburg eingesetzt wird, verändern sich die Anforderungen. Statt sich ungestört dem Verbrechen widmen zu können, die Aufrührer der Kolonie im Auge zu behalten und Verräter dingfest zu machen, muss er sich nicht nur um die Sicherheit des Monarchen, sondern in dessen Auftrag auch persönlich als Leibwächter um die Direktorin der Höheren Mädchenschule bemühen. Dass die resolute dunkelhäutige Dame sich vehement nicht nur für die Rechte der Sklaven und die der Frauen, sondern auch entschieden für demokratische Grundwerte ausspricht, die Monarchie anprangert, ist dem obrigkeitstreuen Major ein Gräuel. Doch dann kommen die so ungleichen Partner, verstärkt durch eine kürzlich aus der fernen Heimat eingetroffene Lehrerin und den örtlichen Arzt einer Verschwörung auf die Spur.

Was das alles mit dem größten Ozeanriesen der Welt zu tun hat, der jemals vom Stapel gelaufen ist, wie ein vermeintlicher Geheimagent Potsdams und ein jüdischer Offizier in Preußens Diensten hier hineinpassen, das erzählt Ihnen auf fast 600 Seiten Oliver Henkel in seinem neuen Roman ...

Intelligenter Mix aus Historienroman, Krimi und Thriller

Oliver Henkel hat in den vergangenen Jahren einige beeindruckende und von der Kritik hoch gelobte Romane vorgelegt. Nicht etwa in die Weiten des Weltraums zieht es den Norddeutschen, auch die archaischen Welten der schwertschwingenden Recken sind ihm fremd. Nein, er liebt das Spiel mit dem "was wäre wenn", berichtet uns von Alternativwelten, in denen die Geschichte ein wenig anders verlaufen ist als bekannt.

Gerne widmet er sich hier unser eigenen Deutschen Historie. Nach der Aufarbeitung des braunen Erbes ("Im Jahre Ragnarök", Atlantis Verlag) nimmt er vorliegend das Preußische Königreich unter Friedrich von Preußen (1831-1888), der in Wirklichkeit nach nur dreimonaiger Regentschaft verstarb, als Blaupause, um uns seine spannende Handlung zu offerieren.

Lasse ich die ersten Kapitel Revue passieren, so begegnet mir zunächst ein Sklave, der verzweifelt versucht, seinem Südstaaten-Massa zu entkommen. Danach wird dem Leser mit Pfeyfer ein Staatsdiener, der preußisch durch und durch - und, bevor ich es vergesse, schwarz wie die Nacht ist, vorgestellt. Ein schwarzer Deutscher Protagonist in einer Südstaaten-Enklave Preußens - das hat schon was!

Damit nicht genug, spielt der Autor in der Folgezeit versiert mit seinen Figuren und der Erwartungshaltung des Lesers. Impertinente Südstaatenbarone, ewig gestrige Rebellen tauchen hier ebenso auf wie differenziert beschriebene Militärs - Südstaatengeneral Lee nimmt hier eine Ausnahmestellung ein - skrupellose Geheimdienstagenten und aufrechte Ehrenmänner. Geschickt kokettiert der Autor mit den geläufigen Gegensätzen - hier der preußische Militarismus, der typisch deutsche Ordnungssinn und Verantwortungsbewusstsein, dort der blasierte Südstaatengeldadel, der glaubt, von Gottes Gnaden zum Herrschen über die Nigger eingesetzt zu sein.

Dass Henkel zwei dunkelhäutige Preußen als Erzähler gewählt hat, noch dazu sowohl vom Naturell als auch von ihrer politischen Grundausrichtung her ganz unterschiedlich orientiert, die sich im Lauf des Romans zusammenraufen müssen, birgt zusätzlichen Reiz.

Mehr noch, das intelligente Spiel mit dem "was wäre wenn" fasziniert den Leser. Das sind nicht nur markante Figuren, die auf den Rezipienten warten, sondern auch eine interessante Kriminalhandlung, die ihrer Auflösung harrt. Voller Wendungen, dramatischer Geschehnisse und Rätsel gehen seine sehr menschlich gezeichneten Figuren in ihrer Rolle auf, werden sie von Zweifeln, Verzweiflung und Pflichtgefühl getrieben. Gerade weil die beschriebene, in sich sorgfältig recherchierte Welt so wie beschrieben hätte sein können, taucht der Leser gerne und mühelos in sie ein, lässt sich auf die Handlung ein und wird bestens unterhalten.

Das ist ein intelligentes Spiel mit der Vergangenheit, stilistisch ansprechend ausgeführt, wenn auch ein wenig zu lang geraten und beweist einmal mehr, dass auch außerhalb der Veröffentlichungen der Großverlage meisterhafte Erzähler ihr Garn zu spinnen wissen.

(Carsten Kuhr, Mai 2012)

Die Fahrt des Leviathan

Oliver Henkel, Atlantis

Die Fahrt des Leviathan

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