Grandville

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  • Erschienen: Januar 2012
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Horst Illmer
93°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2012

Faszinierender Alternativ-Welt-Thriller

Was wäre die Comic-Welt ohne Tiere? Egal, ob nun Menschen mit animalischen Spezialfähigkeiten ausgestattet sind (wie Spider-Man oder Catwoman), oder ob tierische Helden (siehe Mickey Mouse und Paulchen Panther), begabt mit Intellekt und der Fähigkeit zu Sprechen, sich wie wir Menschen aufführen - die Mischung macht´s! Und zwar interessanter.

Diese Erkenntnis fiel dem Menschen jedoch nicht erst in der Moderne zu, schon unsere Steinzeit-Vorfahren besaßen nicht nur Haustiere (oder wäre eventuell "Höhlen"-Tiere richtiger?), sondern auch Geschichten über Tiermenschen und Menschentiere, die sie sich am Lagerfeuer erzählten und an die Höhlenwände zeichneten. Diese Traditionslinie ist also lang und zahlreich sind die Künstler, die sie fortführten, erweiterten und um neue Aspekte bereicherten.

Französische Vorbilder

Einer der größten unter ihnen war der Franzose Jean Gérard (1803 - 1847), der unter dem Pseudonym J. J. Grandville als Karikaturist und Illustrator ein unvergängliches Werk schuf. Neben seinen vermenschlichten Blumenbildern sind es vor allem seine genialen Charakterdarstellungen von Menschen mit Tierköpfen oder Tieren mit menschlichem Habitus (z. B. in "Eine Andere Welt" 1844), die ihm seinen Platz in der Ruhmeshalle der Comics sichern. (Einmal davon abgesehen, dass ein ganzes, derzeit aktuelles Sub-Genre - der "Steampunk" - sich bei ihm zu bedanken hätte für die unzählbaren Anregungen, die seine Zeichnungen bis heute geben. Näheres dazu führt Christian Endres in seinem vorzüglichen Nachwort aus.)

Der Engländer Bryan Talbot jedenfalls zählt den Franzosen zu seinen Vorbildern und macht aus seiner Verehrung kein Hehl, wie ja schon die Umbenennung der französischen Hauptstadt in das titelgebende GRANDVILLE seiner soeben bei uns erschienenen Graphic Novel belegt.

Wenn Napoleon bei Waterloo ...

Die Geschichte beginnt zweihundert Jahre nach Napoleons grandiosem Sieg bei Waterloo, der die französische Oberherrschaft über Europa für lange Jahrzehnte festschrieb. Erst vor wenigen Jahren konnte sich die Sozialistische Republik Britannia aus der Umklammerung durch die kontinentale Großmacht lösen - eine Situation, die immer noch viel Fingerspitzengefühl erfordert, besonders dann, wenn Scotland Yard in Frankreichs Metropole den Mord an einem britischen Diplomaten aufklären soll.

Inspektor Archibald LeBrock (ein aufrechter Dachs) und sein Assistent Ratzi (eine mutige Ratte mit großer Familie) übernehmen den Fall und fahren mit dem Zug über die eiserne Kanalbrücke nach Grandville. Dort treffen sie auf Freunde (Katzen und Dachse), Unterstützer (Schildkröten, Schnauzer) und vor allem auf jede Menge Feinde (Füchse, Schweine, Hammel usw.). Nur unter größtem Einsatz und unter Aufbietung aller seiner nicht unbeträchtlichen körperlichen und kombinatorischen Fähigkeiten gelingt es Inspektor LeBrock schließlich, einen teuflischen Plan zu verhindern.

Die ganz große Kunst

Liebevoll und detailfreudig gezeichnet und klug charakterisiert lässt Bryan Talbot seine anthropomorphen tierischen Protagonisten eine klug konzipierte, spannende Agenten- und Verschwörungsgeschichte erleben, in der auch das Herz und der Humor zu ihrem Recht kommen. Die zeichnerische Umsetzung dieser vom deutschen Verlag recht originell als "Retro-Utopie voller Blut und Liebreiz" untertitelten Comicfantasie bewältigt Talbot auf meisterliche Weise durch Entlehnungen aus dem Jugendstil und eine überaus stimmige Kolorierung. GRANDVILLE steht dabei gleichberechtigt in einer Reihe mit so großartigen Comic-Erzählungen wie "Blacksad" (von Juan Diaz Canales und Juanjo Guarnido) oder "Beasts of Burden" (von Evan Dorkin und Jill Thompson), wobei Talbot mit typisch britischem Unterstatement immer wieder nur kurz andeutet (zum Beispiel in der Nebenfigur des Hotelpagen, der eine unverkennbare Hommage an Hergés Ligne claire darstellt), dass er künstlerisch noch über weitaus mehr Potenzial verfügt, als die Vorgenannten.

Am Ende lecken sich die Helden ihre Wunden - und sind (wie wir Leser) bereit für neue Aufgaben.

(Horst Illmer, August 2012)

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