Innswich Horror

  • Voodoo Press
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
Innswich Horror
Innswich Horror
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2012

 Der Mann, der zu viel (Grausiges) wusste

Foster Morley ist finanziell unabhängig und privat ungebunden, weshalb er im Sommer des Jahres 1939 einer Laune nachgibt und eine ganz besondere Reise antritt: Morley ist ein Verehrer des vor zwei Jahren verstorbenen Schriftstellers Howard Phillips Lovecraft, den er nie kennengelernt hat, obwohl beide in der neuenglischen Stadt Providence lebten.

In seiner Novelle „Schatten über Innsmouth“ hatte Lovecraft beschrieben, wie ein gewisser Robert Olmstead 1927 zufällig in die alte Hafenstadt Innsmouth geriet, um dort festzustellen, dass die Einwohner sich mit entfernt menschenähnlichen Fischwesen aus der Tiefsee zusammengetan hatten, mit denen sie sich auch mischten. Zu seiner Überraschung entdeckt Morley während seiner Reise an der Atlantikküste das auf keiner Karte verzeichnete Städtchen Olmstead.

Obwohl der Ort keine Ähnlichkeit mit der von Lovecraft geschilderten Stadt besitzt, ist Morleys Interesse geweckt. Er quartiert sich in Olmstead ein, das diesen Namen erst seit 1930 trägt: Zuvor hieß die Stadt Innswich, womit sich bestätigt, dass Morley Lovecrafts Innsmouth gefunden hat. Er wird freundlich empfangen und wundert sich höchstens über die große Zahl hochschwangerer Frauen, von denen die junge Mary bald sein Herz erobert.

Auch deshalb dauert es, bis Morley erkennt, dass Olmstead Innsmouth ähnlicher ist, als ihm lieb sein kann. Die Stadt wird vom „Kollektiv“ beherrscht, das die Bewohner ebenso fördert wie kontrolliert. Für den Fischreichtum müssen die Einwohner ihren Preis bezahlen: Die Fischwesen sind sehr real, und da Morley sie entdeckt hat, will das Kollektiv ihn zum Schweigen bringen...

Lovecraft - das Original

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) und Edward Lee: Wer die Werke der beiden Schriftsteller nebeneinanderstellt, die viele Jahrzehnte trennt, würde schwerlich auf den Gedanken kommen, dass Lee ausgerechnet Lovecraft als eines seiner wichtigsten Vorbilder nennt. Lee ist eher bekannt für einen Horror, dessen Protagonisten südlich der Körpermitte von abscheuerregenden Ungeheuern vergewaltigt werden, während diese sie gleichzeitig nördlich des Nabels zu Fleisch-und-Blut-Schrot zerschnetzeln.

Wie passt das zu Lovecraft, der die sexuellen Aspekte seiner mehrschichtig interpretierbaren Erzählungen nicht nur deshalb ausklammerte, weil sie der zeitgenössischen Zensur ohnehin zum Opfer gefallen wären? Er hielt die schon zu seinen Lebzeiten von Autorenkollegen zwar verschlüsselt, aber publikumswirksam eingesetzte Sexualisierung des Horrors für einen faulen Trick. Seine vor allem im Rahmen des Cthulhu-Mythos‘ geschaffenen urzeitlichen Entitäten waren über solche Profanität allerdings erhaben, weil so fremdartig, dass ihnen die menschliche Fortpflanzung mit sämtlichen Begleiterscheinung herzlich gleichgültig blieb.

Stattdessen setzte Lovecraft auf die Exotik von Kreaturen, die quasi jenseits der oder ‚zwischen‘ den Grenzen von Raum und Zeit existieren und die Menschheit höchstens als Helfershelfer zur Kenntnis nehmen. Faktisch sind sie außerstande, echten = persönlichen Kontakt zu schließen; sie haben daran ohnehin kein Interesse, da sie in ihre eigenen, seit Äonen tobenden Konflikte verstrickt sind, deren ‚Sinn‘ das menschliche Verständnis überschreitet.

Lovecraft 2.0 - Overdrive!

Seit ihrer Wiederentdeckung als exemplarischer Autor der modernen Horrorliteratur fühlten sich viele Schriftsteller-Epigonen berufen, Lovecrafts Phantastik möglichst originalnahe aufleben zu lassen bzw. sie zu ‚ergänzen‘ = modernisieren. Die meisten Versuche können getrost ignoriert werden, weil sie mechanisch an einem Lovecraft-Stil kleben, der eben doch nicht so leicht zu imitieren ist, wie Fans und Kritiker glaub(t)en. Auch die meisten Interpretationen und Modernisierungen sind peinlich missraten, während vor allem jene Autoren, die sich unter Kenntnis von Lovecrafts Werk, aber ansonsten frei und selbstständig dem Vorbild näherten, beachtliche Erfolge erzielten.

Edward Lee versucht offensichtlich in beiden Lagern zu tanzen, was ihn nicht unerwartet ins Stolpern bringt. Zumindest in der deutschen Übersetzung fehlt der gleichermaßen künstliche wie kunstvoll das Seltsame bestimmende Lovecraft-Tonfall mit seiner Altertümlichkeit im Ausdruck, während die Themen erstaunlich modern wirken und sich im Grenzbereich zur Science Fiction bewegen - ein Element, das auch Lee in „Innswich Horror“ hervorhebt, wenn er das Übernatürliche der Fischmenschen erklärt, indem er sie als intelligente Alien-Rasse darstellt, die in den Menschen Versuchskaninchen für genetische Experimente sehen - eine Profanisierung, die sie trotz ihrer Machenschaften nicht verdient haben!

Schon hier erleidet Lee Schiffbruch. Nimmt man den Lovecraft-Wesen das Lovecraft-Fremde, degenerieren sie zu beliebigen Unholden, wie wir sie aus allzu lang laufenden TV-Serien kennen. Lovecraft verstand, dass sein Publikum gar nicht bis ins kleinste Detail informiert werden musste oder wollte: Gerade weil wir Cthulhu und seine Brut nicht durchschauen, bleiben sie unheimlich und unberechenbar. Dies traf auch auf die „Innsmouth“-Fischwesen zu, obwohl sie weit unterhalb der „Alten“ und „Äußeren Göttern“ anzusiedeln sind und mit den Einwohnern im echten gegenseitigen Kontakt stehen.

Auf die Spitze getrieben - und darüber hinaus

Inhaltlich bemüht sich Lee seinen Meister zu ehren, indem er dessen Kurzroman „The Shadow Over Innsmouth“ (1936; dt. „Schatten über Innsmouth“) inhaltlich so nahe wie möglich bleibt. Weil es dauert, bis Lee seinen Lesern erläutert hat, wieso „Innsmouth“ jetzt „Innswich“ bzw. „Olmstead“ heißt - was Hauptfigur Foster Morley von Schauplatz zu Schauplatz eilen und Vergleiche anstellen lässt -, zieht sich die Handlung, die Lee zudem mit überflüssigen Impressionen aus US-Politik und -Alltag vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs anreichert, in die Länge, was auch die zahlreichen Reminiszenzen an die Novelle von 1936 nicht vertuschen können.

Als das Tempo endlich anzieht, greift Lee auf ‚seine‘ Kernkompetenzen zurück: In Innswich regieren nun Ekel-Sex und Gewalt-Splatter. Mit übertriebener Rasanz zieht der Autor sämtliche Register: Kannibalismus, Baby-Mord, Amputations-Beischlaf, Leichenschändung … Für seine Verhältnisse hält sich Lee definitiv zurück, doch der Vorlage oder seinem Vorbild Lovecraft - der sogar höchstpersönlich kurz auftritt - tut er keinen Gefallen. Ebenso aufgepfropft wird der Story die Liebesgeschichte zwischen Foster und Mary - eine Beigabe, die Lovecraft wahrscheinlich in seinem Grab rotieren lässt!

Jegliche Stimmung, die Lovecraft so kraftvoll heraufbeschwören, halten und steigern konnte, bricht in sich zusammen, als sich „Innswich Horror“ in das übliche Gemetzel verwandelt, dem nicht nur die menschlichen Mitglieder des „Kollektivs“, sondern auch die plötzlich ihre geistige und körperliche Überlegenheit einbüßenden Fisch-Kreaturen reihenweise zum Opfer fallen. Während bei Lovecraft die Hauptfigur nur mit viel Glück und gerade eben aus Innsmouth entkam, legt Morley nebenbei die ganze Höllenstadt in Schutt und Asche. Aus dem lovecrafttypischen Zeugen und (hilflosen) Opfer wird ein Retter und Rächer. Damit fügt sich dieses Finale in ein zwar unterhaltsames, aber im direkten Vergleich mit Lovecraft mittelmäßig bleibendes Werk, das dem nur scheinbar altmodischen Vorbild unterlegen im Sinne von flach ist und allzu angestrengt ähnlich wie ‚anders’ sein soll.

Innswich Horror

Edward Lee, Voodoo Press

Innswich Horror

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