Handbuch für Zeitreisende

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2012
  • 0
Handbuch für Zeitreisende
Handbuch für Zeitreisende
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Thomas Nussbaumer
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2012

Vom Überleben in einer Zeitmaschine

"How to live safely in a science fictional universe" lautet der Originaltitel von Charles Yus Debütroman und mein erster Gedanke dabei war: Dieser Titel klingt wie ein leises Versprechen. Bei so einer Ansage würde ich eigentlich eher einen Essay erwarten als einen Roman. Und es wird schon nach den ersten Seiten klar, dass das "Handbuch für Zeitreisende" tatsächlich mit kaum etwas zu vergleichen ist, was sich sonst so auf den Bestsellerlisten des fantastischen Genres tummelt.

Der Protagonist heißt wie der Autor Charles Yu und seine Geschichte ist schnell umrissen: Er lebt in einer virtuellen Wirklichkeit namens ´Universum 31´ und kreuzt als Reparateur für Zeitmaschinen durch Zeit und Räume. Dabei geschieht es immer wieder, dass er dem einen oder anderen Chrono-Abenteurer aus der Patsche helfen muss, meist dann, wenn Leute beginnen an ihren Maschinen herumzudoktern oder versuchen ihre eigene Vergangenheit zu verändern, wodurch wiederum größere Kausalitäten entstünden und die Stabilität des Universums akut in Gefahr geriete.

Auch Yu verlebt seine Existenz in so einer Maschine, außerhalb der genormten Zeit. Ihm scheint es durchaus wohl zu sein im selbst auferlegten Einsiedlertum, dessen Einförmigkeit gelegentlich vom leicht depressiven Betriebssystem TAMMY und dem ebenfalls virtuellen Hund Ed durchbrochen wird. Als aber Yus Maschine wegen eines Defekts der Total-Kollaps droht und zur Reparatur muss, geschieht etwas so Unvorhergesehenes wie Unerfreuliches: Yu gerät in eine Zeitschleife, an deren Ende er sich selbst begegnet. Schon während seiner Ausbildung hat man ihn auf diese Möglichkeit hingewiesen, und es gilt in einem solchen Fall unbedingt folgende Punkte zu befolgen: 1.: Weglaufen, und 2.: Auf keinen Fall ein Gespräch mit seinem anderen Ich anfangen, weil das alles nur noch schlimmer machen würde. Tatsächlich entschließt sich Yu für eine dritte Option, die nicht im Lehrbuch steht. Kurzerhand zückt er seine Dienstwaffe und jagt seinem zukünftigen Ich eine Kugel in den Bauch. Doch das Problem ist damit natürlich nicht gelöst, denn die ganze Geschichte läuft ab diesem Moment unaufhaltsam darauf hinaus, dass er bald in der Rolle des älteren Doppelgängers stehen wird um von seinem jüngeren Ich erschossen zu werden. Doch möglicherweise kann ihm da ein Buch aus dem Schlamassel helfen, das den illustren Titel "Handbuch für Zeitreisende" trägt und von niemand geringerem als Charles Yu, natürlich ihm selber, in der Zukunft verfasst worden ist.

Der Roman handelt außerdem von Yus Suche nach seinem Vater, einem Mann vom Typus lebensuntauglicher Wissenschaftler, der natürlich so ziemlich alles falsch macht, was das Zusammenleben mit der eigenen Familie betrifft. Yu erinnert sich allerdings gerne zurück wie Vater und Sohn gemeinsam Tage und Stunden in der Garage verbrachten um am Prototypen ihrer Zeitmaschine zu werkeln. Doch leider will dem Vater der Durchbruch versagt bleiben, worauf sich dieser mehr und mehr vor seiner Familie verschließt und letztlich spurlos verschwindet. Wie sich später herausstellt, gelang ihm die Flucht - wie könnte es auch anders sein - mithilfe der selbstgebastelten Zeitmaschine.

Gute Ideen etwas zähflüssig präsentiert

Die Ideen, die dem "Handbuch für Zeitreisende" zugrunde liegen sind interessant und der Duktus des Autors ist für phantastische Maßstäbe ungewöhnlich literarisch. Yu kokettiert damit, uns seine Geschichte als eine Art ´Autobiografie´ verkaufen zu wollen, ein Stilmittel, das augenzwinkernde Selbstironie ermöglicht und dem Publikum gleichzeitig eine gewisse Authentizität vermittelt. Dabei verzichtet Yu auf die gängigen Tricks der Science Fiction und erzählt seine Story eher in der Art des magischen Realismus. Das sind sicher Punkte, die das Buch von der großen Masse abhebt. Allerdings hatte ich manchmal das Gefühl, das dem Roman ein bisschen mehr Tempo gutgetan hätte. Die wenigen ´Szenen´ dieser Geschichte sind derart in die Länge und Breite gewalzt, dass - bei aller Treue zum Detail - kaum je Spannung oder echtes Interesse am Text aufkommt. Desweiteren wird der Erzählfluss immer wieder durch Auszüge aus dem ´Handbuch´ unterbrochen, die zwar meist witzige und bisweilen auch tiefgründige Fantasien über die Zeit und ihre Mechanismen darstellen, die aber eben auch etwas bemüht wirken. Was ist denn nun dieses "Handbuch für Zeitreisende"? Philosophiestunde? SF für Anspruchsvolle? Oder doch ´nur´ Unterhaltung?

Möglicherweise waren die Verleger der deutschen Übersetzung ähnlich ratlos und beschlossen deshalb, dem Roman, dem insgesamt eine gewisse Qualität nicht abgesprochen werden kann, irgendein Etikett zu verpassen. Da Action und Suspense wegfallen, hat man sich halt für die Sparte Humor entschieden, was sicher nicht ganz verkehrt ist. Wer aber beim Anblick des frivol-bunten Covers mit seinen retro-futuristischen Handfeuerwaffen im Stil von Fünfzigerjahre-Comics an Spaß-Literatur denkt, wird wohl enttäuscht werden. Außerdem will man den Autor dann auch noch vollmundig als die x-te Reinkarnation von Douglas Adams anpreisen, zumindest sei Yu laut Buchrücken, genauso "ungeheuer witzig" wie jener. Eine Aussage, die für mich wenig Substanz besitzt. Ist Adams Kennzeichen die ironisch-liebevolle Parodie, wie sie vielleicht nur ein waschechter Brite hinbekommt und die primär auf leichte Unterhaltung (mit einer Prise Tiefgang) abzielt, so ist Yus Roman ein durchaus eigenständiges Werk, das gut ohne Vorbilder und literarische Zitate funktioniert. Und Humor mit der Brechstange gibt's bei Yu schon gar nicht. Insofern stimmt für mich dieser Vergleich nicht, wenn auch beide Autoren einen eigenständigen Humor besitzen.

Ich war versucht, den Roman höher zu bewerten, aber letztlich haben mir halt doch der rote Faden durch die Geschichte und ein stärkerer Anschluss an den Plot gefehlt. Mit anderen Worten: So richtig mitreissend ist Yus ´Monolog´ halt nicht, selbst wenn der Text stellenweise interessante Gedanken vermittelt. Das macht das "Handbuch für Zeitreisende" immerhin zu einem Debüt, das Beachtung verdient, gerade auch weil es sich nicht um die Konventionen der gemeinen Spannungsliteratur schert.

(Thomas Nussbaumer, August 2012)

Handbuch für Zeitreisende

Charles Yu, Rowohlt

Handbuch für Zeitreisende

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