Der Ritter

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: Januar 2004
  • 1
Der Ritter
Der Ritter
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Frank A. Dudley
82°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2006

Echte Werte

Gene Wolfe gehört zu den wenigen Autoren, für die ihre Zunftkollegen voll des Lobes sind. Anders als Tolkien, dessen Werk oft als reaktionär und dünkelhaft geschmäht wurde, erfährt der mittlerweile 75jährige und vielfach ausgezeichnete Wolfe höchste Anerkennung. Tad Williams sagt, dass ";die meisten Fantasyautoren (sich redlich) bemühen, ein Zauberreich zu erschaffen. Gene Wolfe dagegen weiß tatsächlich, wie man dorthin gelangt";. Neil Gaiman behauptet sogar, dass Wolfe der ";klügste, subtilste und gefährlichste Schriftsteller unserer Zeit"; sei. Ist er also ein klassischer Writer's Writer, an dessen Vorbild sich ambitionierte Nachwuchsautoren abarbeiten, von der Kritik verwöhnt und von den Lesern vernachlässigt?

Schaut man auf Wolfes umfangreiches Oeuvre und dessen Verfügbarkeit in Deutschland, so könnte dieser Eindruck tatsächlich entstehen. Wer etwa Wolfes einflussreiche Zyklen der Neuen, Kurzen und Langen Sonne erwerben möchte, dem bleibt der Gang zum Antiquariat nicht erspart. Beim Heyne Verlag, der bis in die 90er Jahre Teile von Wolfes Werk in Deutschland veröffentlicht hat, ist zu erfahren, dass vorerst keine Wiederveröffentlichung geplant ist.

So ist denn Wolfes aktueller Roman ";Der Ritter"; bis zum Herbst, wenn der zweite Teil der Mythgarthr-Saga erscheint, sein einziges derzeit erhältliches Buch. Der Titel ruft Assoziationen mit High Fantasy hervor, und in der Tat hat sich Wolfe stark am Rittertum des frühen Mittelalters orientiert. Er kombiniert die klassischen Motive von Ehre, Minne und Queste mit einem Überbau, den er der nordisch-germanischen Mythologie entlehnt hat. Die Handlung wird von der Hauptfigur erzählt, in Form eines Briefes an den eigenen Bruder.

Mit den Aufgaben wachsen

Art, ein Teenager aus der amerikanischen Gegenwart, gelangt durch ungeklärte magische Umstände von unserer Welt nach Mythgarthr, welches dem mittelalterlichen Britannien ähnelt. Mythgarthr ist wie das nordische Midgard die Welt der Menschen, es liegt eingebettet zwischen drei Unter- und drei Überwelten. Art wechselt seinen Namen zu Able of the High Heart, stolpert in die unterhalb von Mythgarth liegende Elfenwelt Alfaris und erhält dort seine Bestimmung: Er verliebt sich in die Alfaris-Königin Disiri, die ihn zum Ritter schlägt, ihm den Körper eines erwachsenen Mannes gibt und ihm klarmacht, dass sie erst die seine wird, wenn er in den Besitz des magischen Schwertes Eterne gelangt. Der frischgebackene Sir Able begibt sich also auf seine große Aventiure. Unterwegs begegnen ihm andere Ritter, Riesen, Gestaltwandler, Kannibalen, sprechende Tiere sowie Feuer-, Wald- und Wasserelfen. Er gewinnt Freunde, macht sich Feinde, kämpft und kapituliert nie, verheddert sich fast in seinen selbst auferlegten Verpflichtungen, wird verletzt und durch Magie geheilt, bleibt immer standhaft und sagt stets die Wahrheit. In dem starken Körper des Mannes Able steckt jedoch der unbeholfene Verstand des Jungen Art, und so geht er durch eine harte Schule. Er muss sich bewähren, lernen, seine Kraft und seine Intelligenz zu beherrschen, muss an Geist und Seele erwachsen werden.

Wer mit Wolfes Werken vertraut ist, erkennt zahlreiche Stilmittel wieder. So springt er zwischen zwei Kapiteln oft zeitlich nach vorne, ohne zu schildern, was dazwischen geschah. Auch der Kunstgriff des in seiner Narration unzuverlässigen Ich-Erzählers erleichtert Lesern, die auf leicht konsumierbare Fantasy-Lektüre aus sind, nicht unbedingt den Zugang zum Text. Wer aufmerksam liest, findet am Rande der Handlung zahlreiche Rätsel und ironische Andeutungen, die den schnellen Schritt der Handlung jedoch nicht unterbrechen. Wolfe spielt auch gern mit Namen, wie Disiri (von ";desire";, engl. für Verlangen), Able (engl. für fähig) und Eterne (von engl. ";eternity";: Ewigkeit) deutlichen machen. Im Internet gibt es zahlreiche Fan-Sites und Mailing-Lists, die sich ausgiebig mit Wolfes Werken und seiner Vorliebe für verrätselte Darstellungen beschäftigen.

Verlorene Werte

";Der Ritter"; handelt von Tugenden wie Ehre, Aufrichtigkeit und Respekt. Wolfe sagt von sich, dass er von seinen Eltern zu respektvollem Benehmen erzogen wurde – Respekt gegenüber Mädchen und Frauen, gegenüber Älteren, aber vor allem gegenüber Schwächeren. In einem Essay von 2001, in dem Wolfe die Bedeutung von Tolkiens Werk für die heutige Zeit hervorhebt, vergleicht er unsere Gegenwart mit den ";Mühlen von Mordor, wo Höflichkeit Schwäche ist, Ehrlichkeit Dummheit und Grausamkeit der Unterhaltung dient.";

Wer will, kann ";Der Ritter"; mit Spannung als einen von vielen Fantasy-Romanen lesen. LARP-Fans etwa können eine ausführliche Anleitung zum korrekten Einsatz von Schwert und Schild finden. Wolfes jüngstes Werk verfügt jedoch über einen Subtext, der weit darüber hinausgeht. Es ist eine bittere Klage darüber, dass uns eben jener zwischenmenschliche Respekt, zu dem Wolfe erzogen wurde, immer mehr abhanden kommt. Dass wir auf Kosten anderer nach materiellen Dingen streben, dass wir die Verantwortung für die, die weniger besitzen als wir, immer weiter von uns weisen, dass Besitz zugleich Verpflichtung ist.

";Der Ritter"; wurde bereits mit Mark Twains ";Ein Yankee aus Connecticut am Hofe König Artus"; verglichen. Twain lässt in diesem Roman ebenso wie Wolfe auf magische Weise einen Amerikaner in das mittelalterliche Britannien gelangen. Der Plot ist jedoch ein Entgegengesetzter: Twains Protagonist ist den Artus-Rittern an Intelligenz und Erfahrung überlegen, er steht wie Miss Liberty als Allegorie für die Fortschrittlichkeit der amerikanischen Demokratie und kritisiert somit das im 19. Jahrhundert scheinbar rückständig-monarchistische Europa. Wolfes Amerikaner kommt dagegen als Junge nach Europa und wird dort zum Mann. Klare Aussage: Amerika, nimm Dir ein Beispiel an den Tugenden der Alten Welt und werde endlich erwachsen!

Ob Tolkien mit ";Der Herr der Ringe"; eine ähnliche Intention verfolgt hat, sei dahingestellt, Wolfe jedoch warnt uns vor dem Abstieg ins moderne Mordor. Wie die eingangs erwähnte jüngere Schriftstellergeneration ihm huldigt, so verneigt er sich mit ";Der Ritter";  vor seinem Vorbild: "Freiheit, Nächstenliebe und persönliche Verantwortung sind steile Hänge; Er (Tolkien) konnte sie nicht für uns erklimmen, wir müssen es selbst tun. Aber er hat uns den Weg und die Belohnung gezeigt.

Der Ritter

Gene Wolfe, Klett-Cotta

Der Ritter

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