2312

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2013
  • 3
2312
2312
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Horst Illmer
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2012

Eine Reise durch die Sternenwelt

Wie kaum ein anderer Genreautor versucht Kim Stanley Robinson stets aufs Neue, seine Leser für die Ideenwelt der Science Fiction zu begeistern. Er fängt damit auf der ersten Seite an und möchte auf der letzten Seite immer noch weitermachen. Er bringt eine Begeisterung für die Zukunft mit, die wir in der überwiegenden Zahl der gegenwärtigen Science-Fiction-Titel oftmals schmerzlich vermissen.

Ein hervorragendes Beispiel seiner Kunst, diese Begeisterung auf seine Leser zu übertragen, ist sein neuestes Werk, der Roman "2312". Es wimmelt darin nur so von tollen Ideen - angefangen vom Sonnenwindsurfen auf den Ringen des Saturn bis zum religiös-romantisch verklärten Beobachten der unvergleichlichen Sonnenaufgänge auf der Oberfläche des Merkur - doch der erfahrene Erzähler verliert dabei nie den Kern seiner Fabel aus dem Fokus und bringt die Geschichte in flottem Tempo voran.

Wir schreiben das Jahr 2312. In Terminator, der Hauptstadt des Merkurs, wird die Wissenschaftlerin und Politikerin Alex, eine der bekanntesten Figuren des öffentlichen Lebens im Sonnensystem, zu Grabe getragen. Ihr Tod kam völlig überraschend, ein Attentat ist nicht auszuschließen. Alex´ Enkelin Swan Er Hong, eine künstlerisch engagierte Landschaftsarchitektin, erhält posthum von ihrer Großmutter den Auftrag, einen mysteriösen Briefumschlag bei Wang abzuliefern, einem Wissenschaftler und Mitarbeiter von Alex, der auf dem Jupitermond Io zuhause ist. Kurz nachdem Swan abgereist ist, beginnt mittels gezielt gesteuerten Meteoriten ein Angriff aus dem Weltraum, der Terminator-City fast vernichtet. Und damit fangen die Probleme erst an ...

Um herauszufinden, wer oder was hinter den Angriffen und Todesfällen steckt, muss sich Swan (ganz a la Cyrano de Bergerac & Jules Verne) auf eine "Reise durch die Sonnenwelten" begeben. Natürlich verläuft diese Weltraumfahrt nicht in geordneten Bahnen, und so dürfen wir Swan unter anderem auf die Monde des Jupiter begleiten, zum Saturn, auf eine von den Chinesen teilweise terraformte Venus - dazu kommen einige Abstecher auf die gute alte, sich nur langsam von unseren heutigen Umweltsünden erholende, Erde - bis hin zu den "Vulkanoiden", einer Gruppe ausgehöhlter und bewohnter Asteroiden noch innerhalb des Merkur-Orbits. (Für erfahrene SF-Leser streut Robinson dabei eine ganze Reihe von Zitaten ein, die - neben dem bereits genannten Jules Verne - nostalgisch gefärbte Erinnerungen an kanonische Autoren wie Robert A. Heinlein, Alan E. Nourse oder Ursula K. Le Guin aufkommen lassen.)

Bei ihren Abenteuern trifft Swan auf mehr oder weniger umweltangepasste Menschen, die ihr als Freunde, Gefährten oder Feinde entgegentreten. Dabei kommen auf interessante Weise die diversen Temperamente zum Vorschein, die das Leben in höchst unterschiedlichen Umwelten hervorbringt. Außer den sehr komplex dargestellten Hauptpersonen Swan und ihren späteren Liebhaber Fitz Wahram vom Titan gibt es eine ganze Anzahl äußerst gelungener Nebenfiguren wie zum Beispiel den ebenso kleinwüchsigen wie hartnäckigen Inspektor Jean Genette von den Äußeren Asteroiden, den unbeirrbaren Forscher Wang oder den Doppelagenten Kiran.

Neben den über das Sonnensystem verteilten humanoiden Lebensformen gibt es noch die sogenannten Qubes, künstliche Intelligenzen, die (als Weiterentwicklung heutiger Smartphones/Tabloids) zu fast unentbehrlichen Personal-Assistants der Menschen geworden sind. Swans Qube zum Beispiel hört auf den Namen Pauline (Genette träge einen "Passepartout" mit sich) und gegen Ende des Buches spielt es eine entscheidende Rolle, auf welche Seite sich Pauline und ihre "Kollegen" stellen.

Unterbrochen wird die epische Erzählform durch die eloquente Verwendung von Kleinkapiteln und die Einlagerung von kurzen, teilweise fast "atomisierten" Textauszügen und vielfältigen "Listen" - eine mehr als nur ironische Aneignung der heutzutage von den Medien gerne als "Information" bezeichneten Reizüberflutung.

Nicht erst seit seiner phänomenalen MARS-Trilogie (1992-1995) wird Robinson aufgrund seines multimedial organisierten, Zitate, Fragmente und Splitter zusammenfügenden Stils immer wieder mit John Dos Passos, dem großen Meister der amerikanischen Moderne, verglichen. Dem Science-Fiction-Leser (vielleicht) näher ist der Hinweis auf die von John Brunner in "Morgenwelt" ("Stand on Zanzibar", 1968) zur Meisterschaft geführte Kollage-Technik, in der sich Zitate und Ausschnitte aus Film, Internet, TV, Radio-Interviews, Zeitungen und Büchern um die Haupthandlung gruppieren und damit ein über die gesamte Buchlänge immer opulenter ausgemaltes Hintergrundbild ergeben.

"2312" ist kein direkter Nachfolger der MARS-Trilogie, der Roman spielt mehr als ein Jahrhundert später. Trotzdem gibt es viele Bezüge und Anspielungen auf die Vorgänge während der Mars-Besiedlung, wie etwa die ausgehöhlten Asteroiden, die auch als Raumschiffe benutzt werden, die auf Schienen stetig den Äquator des Merkur umkreisende Stadt Terminator, oder das im ganzen Sonnensystem eingesetzte Terraforming zwecks Ausweitung des Siedlungsraums.

Ungeachtet dieser Anklänge besteht "2312" jedoch auch als eigenständiges Werk. Kim Stanley Robinson versprüht ein wahres Ideen-Feuerwerk, an dessen wundervollen Lichtern, Strahlen, Explosionen und Knalleffekten man sich auf jeder Seite des Buches erfreuen kann.
Der vielbeschworene "sense of wonder" der Science Fiction - hier kann man ihn endlich wieder einmal ganz deutlich spüren.

(Horst Illmer, März 2013)

2312

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