Knochengrube

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
Knochengrube
Knochengrube
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
25°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2012

Mystery-Thriller von bestialischer Langeweile

Während Paläontologe Carter Cox für das Naturgeschichtliche Museum des Los Angeles County die Knochen vorzeitlicher Tiere aus dem zähen Natur-Asphalt der La Brea Tar Pits zieht, beschäftigt sich Gattin Elizabeth, Kunsthistorikerin im Dienst des J.-Paul-Getty-Museums in nahen Brentwood, mit einer Jahrhundert-Entdeckung, einem vor tausend Jahren entstandenen Bestiarium, das ihr der wahrlich geheimnisvolle Eigentümer bringt.

Mohammed al-Kalli steht nicht nur einem uralten arabischen Adelsgeschlecht vor, sondern ist auch nach seiner Flucht aus dem Irak ein unermesslich reicher Mann geblieben. Außerdem sind die al-Kallis seit mehr als einem Jahrtausend Hüter einiger wahrhaft fabelhafter Wesen. In einem privaten, von der Außenwelt sorgfältig abgeschirmten Zoo halten sie mythische aber quicklebendige Kreaturen wie den Mantikor, den Greifen oder den Basilisken. Al-Kalli hat sie ins Exil retten können. Doch in der kalifornischen Fremde kränkeln die Wesen. Verzweifelt sucht al-Kalli Hilfe, ohne sein Geheimnis zu lüften. Er hofft auf Hinweise in dem uralten Buch "Edens wilde Tiere". Elizabeth soll es für ihn übersetzen. Zusätzlich gedenkt al-Kalli ihren Gatten zu Rate zu ziehen, der zwar kein Tierarzt aber irgendwie doch ein Spezialist für urzeitliches Getier ist.

Dummerweise erregt al-Kalli die Anwesenheit der tumben Ex-Soldaten Greer und Sadowski. Sie haben sich ebenfalls in Los Angeles niedergelassen, wo sie sich mit kleinen Diebstählen (Greer) und der Vorbereitung der arischen Revolution (Sadowski) die Zeit vertreiben. Nun planen sie, sich am Eigentum des Einwanderers zu vergreifen, ohne freilich über dessen ´Zoo´ Bescheid zu wissen. Wie der Zufall (in Gestalt des ideenarmen Autors) spielt, treffen die meisten Figuren der oben skizzierten Handlung in einer turbulenten Nacht in al-Kallis Bestiarium aufeinander, das nur wenige lebendig wieder verlassen werden ...

Knochentrockene Spannungs-Lektüre

550 durchaus kleinbuchstabig bedruckte Buchseiten stellen eine Herausforderung dar. Man stellt sich ihr als Leser nur, wenn das Thema Interesse erregt. Für die Freunde der Phantastik ist dies hier gegeben, denn wer wäre nicht neugierig, Basilisken, Mankitore u. a. Fabelwesen in Hollywood umgehen zu sehen? Was sie ausgerechnet dorthin verschlägt, müsste der Autor klären, doch dies wird zu einer der deprimierend zahlreichen Herausforderungen, an denen Robert Masello scheitert.

Dabei gelang ihm ein klassischer Einstieg, der lumpige US-Soldaten in "Three-Kings"-Manier im Irak-Krieg zeigt, der ihnen vor allem die Möglichkeit bietet, sich fern der Heimat und ihrer misstrauischen Gesetzeshüter die eigenen Taschen zu füllen. In dieser Umgebung hätte Masello die gesamte Handlung ansiedeln sollen. Bereits der Exodus, der den Hüter der Bestien und seine Brut ausgerechnet nach Kalifornien bringt, wird zu einer der Logikbrüche, die der Leser nur mühsam überwindet. Masello schweigt sich über das "Wie" klugerweise einfach aus; er scheint die Ansicht zu vertreten, dass Geld einfach alles möglich macht - den Schmuggel nashorngroßer Ungeheuer inklusive.

Solche Hürden würde ein guter Autor hinter sich lassen, indem er auf das Gaspedal drückt. Masello kann nur auf einen leistungsschwachen Motor zurückgreifen, der nie auf Tempo kommt. Sobald die erwähnte Einleitung ihr Ende gefunden hat, schaltet er zurück und später viel zu oft in den Leerlauf. Spannung kann auf diese Weise nicht aufkommen.

Viele Einfälle, wenig Handlungsrelevanz

Masello versucht dies durch ein Füllhorn von Ideen auszugleichen, unter denen er freilich den Plot begräbt. Die meisten der angerissenen Themen stellen nur künstliche Verwicklungen dar, die mit dem eigentlichen Geschehen nur marginal oder gar nichts zu tun haben bzw. es künstlich auf Länge bringen. "Knochengrube" wirkt wie ein schlampig und überprall gefüllter Reisekoffer, der schier aus den Nähten platzt.

Viele Seiten schildern Carter Cox, der in seinen geliebten Teergruben nach Urzeit-Knochen wühlt und dabei zufällig einen menschlichen Pechvogel ausgräbt, der einst dem Rand zu nahe gekommen war. Obwohl es der deutsche Titel suggeriert, gibt es keinerlei zwingenden Zusammenhang mit der ursprünglichen Handlung. Masello arbeitet sich stattdessen an einem seiner Lieblingsthemen ab: Wie steht es um die hehre (Natur-) Wissenschaft in einer Gegenwart, die auch die Forschung vor allem ökonomisch sowie multimedial tauglich wünscht? Seine Befürchtungen ehren ihn, doch er fasst sie trivial und klischeeplump und vor allem so ausführlich in Worte, dass sie ins Kontraproduktive umschlagen.

Seine Weitschweifigkeit bekommt Masello generell nie in den Griff. Er hat über die von ihm aufgegriffenen Themen recherchiert, wie er in einem Nachwort angibt, kann sich aber nicht von dem erworbenen Wissen trennen, sondern zwingt es der Handlung auf, statt es bei Bedarf einfließen zu lassen. Das Ergebnis ist als Roman weder Fisch noch Fleisch, sondern in erster Linie zäh.

Mr. Saubermann & Mrs. Langweilig

Das Ehepaar Cox - Carter & Elizabeth - stellt sich Masello als Verbindung zwischen Indiana Jones und Lara Croft vor. Er gräbt nach Knochen, sie wühlt nach vergessenen Schriftstücken. Wie es im realen Wissenschaftler-Leben höchst selten aber im Wissenschafts-Thriller glücklicherweise ständig geschieht, stolpert unser Paar regelmäßig über Sensationelles. Damit ist beileibe nicht die wissenschaftliche Sensation gemeint, die nebenbei und eher pflichtschuldig unter dem Motto "Lesen heißt hier auch lernen" abgehandelt wird, sondern die daraus resultierenden Verwicklungen.

Die sind in der Regel politischer, militärischer oder religiöser Art, weil besagte Forscher über Mysterien stolpern, die stets missgelaunte und mächtige Munkelmänner lieber ungelüftet sähen. Dies führt zuverlässig zu ausgedehnten Verfolgungsjagden, in denen der wissenschaftliche Aspekt mit der Logik weit zurückbleibt. In der Krise mutieren auch Carter & Elizabeth zu Indiana & Lara. Mit der Linken fahren sie Bösewichten in die Parade, mit der Rechten wehren sie hungrige Fabelbestien ab. Die Füße bedienen Gas- und Bremspedal, denn im großen Finale muss u. a. in rasanter Fahrt Baby Joey auf einem brennenden Hügelhaus gerettet werden.

Wenn zwischenzeitlich tatsächlich in Feldlager, Labor oder Archiv gearbeitet wird, kommt wie gesagt garantiert etwas Interessantes zum Vorschein. Ansonsten müssen sich Carter & Elizabeth als redliche Wissenssucher, die sie sind, mit bürokratischen Vorgesetzten, leicht beleidigten Geldsäcken u. a. Lästlingen auseinandersetzen, über die sie schließlich als wahre Idealisten und Gutmenschen zuletzt lachen und dabei der Forschung manchen großen Dienst erweisen.

Das alles drückt sich als Figurenzeichnung kaum auf die Buchseiten durch. Carter & Elizabeth sind kluge, hübsche, unendlich fade Gutmenschen und hohle Helden wider Willen. Dies fällt im Umfeld dieses Romans nicht auf, denn hier tummeln sich ausschließlich Pappkameraden. Klischees reihen sich an Dummheiten, die in diesem Salventakt unerträglich werden.

Was tun sie hier, warum gibt es sie?

Dazu trägt bei, dass es für viele der umständlich und aufwendig eingeführten Figuren keinerlei Existenzberechtigung gibt. Dies schließt fatalerweise Elizabeth Cox als Hauptfigur ein. Kapitel um Kapitel hockt sie in ihrem Büro und entschlüsselt ein uraltes Manuskript. Was sie dabei herausfindet, ist für das Geschehen völlig unerheblich, was als eigener Handlungsstrang aufgezogen wurde, endet kläglich ohne Höhepunkt.

Dem Hauptstrang ergeht es nur marginal besser. Man sollte meinen, Masello konzentriere sich auf die Fabelbestien. Mit ihnen weiß er jedoch nichts anzufangen. Meist lungern sie kränklich in ihren geheimen Käfigen herum und fressen höchstens einen Saddam-Schergen, den ihnen der US-vorurteilsreich geschilderte Finsterling al-Kalli vorwirft. Deshalb wringt sich Masello einen dritten Handlungsstrang aus dem Hirn, der nun gar keinen Sinn mehr ergibt: Zwei ausgebrannte Veteranen wollen al-Kalli erst berauben; dann lässt sich der eine vom anvisierten Opfer anheuern, während der andere mit faschistoiden Redneck-Kumpeln einen Weltenbrand anzettelt. Später tauchen sie aber doch im al-Kalli-Bestiarium auf, weil dort ohne sie die Handlung endgültig zum Stillstand käme.

Dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt ein mysteriöser Supermann namens "Arius". Ihm sind Carter & Elizabeth erstmals im Roman "Das letzte Relikt" (Fischer-TB 18844) begegnet. Seitdem ist er so etwas wie ihr Schutzengel. Heuer geistert er durch das Naturgeschichtliche Museum und begräbt dort die Knochen aufgefundener Ur-Amerikaner, weil diese unter die Erde und nicht in eine Vitrine gehören. Anbiedernder Schwachsinn dieser Art ist leider stark vertreten in dieser elend ausgewalzten, sich in ziellosen Mäandern ihrem Ende entgegen schleppenden Geschichte, die wohl auch deshalb unter der Bezeichnung "Mystery-Thriller" läuft, weil niemand eine Ahnung hat, wieso Robert Masello immer wieder neue, nach bekanntem Muster gestrickte Gähn-Garne auf den Buchmarkt bringen kann.

(Dr. Michael Drewniok, Dezember 2012)

Knochengrube

Robert Masello, Fischer

Knochengrube

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Knochengrube«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery