Die Mission

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2013
  • 0
Die Mission
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Tim König
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2013

Keine Authentizität - na und?

Ein Buch muss nichts Neues bieten, um zu gefallen - und so ist die Demi-Monde eine Welt wie eine Collage und weiß zu gefallen, obwohl Vieles vorhersehbar ist und einige Handlungen arg platt rüberkommen. Doch im Gegensatz zu einer simplen Kopie, das ist das gedankenlose Zusammenfuhrwerken simpelster Motive zur künstlichen Spannungserzeugung (der Zweck des Romans dann letztlich finanzieller Gewinn), bindet Rod Rees ziemlich viel in die Demi-Monde ein: Weltgeschichte, Massenpsychologie, Glamour, Liebe, Kampf, Philosophie, Magie, ..., aber merkwüdigerweise nichts über virtuelle Realität und Kybernetik. Und das, obwohl "Demi-Monde" in einer gleichnamigen Computersimulation spielt.

Schon der Eingang in die Demi-Monde lässt sich prima neben einem Vorbild lesen - was auch nicht weiter schlimm ist, wenn das Vorbild, wie hier, große Klasse hat: Nämlich der Klassiker unter den Action-Filmen "Die Klapperschlange" (engl.: "Escape From New York") von John Carpenter. Der Protagonist der "Klapperschlange" ist Snake Plissken, ein harter Typ mit wallender Mähne, einer Camouflage-Hose und hautengem Top. Seinerzeit aktuelle Schönheitsmerkmale (80er Jahre). Er geht mit einer tickenden Uhr und einer übergroßen Uzi (Zeichen der Stärke) in ein Manhattan, das zum Gefängnis ohne Regeln umfunktioniert wurde (die gefährliche Gegenwelt). Sein Job: Den Präsidenten befreien.

Ella Thomas ist eine 18 jährige Jazzsängerin, die Psychologie studiert. Sie hat eine tolle Stimme und einen tollen Körper - aktuelle Schönheitsmerkmale (des 21. Jahrhunderts). Sie geht mit den Waffen ihres Verstands und dem Sexappeal ihres Körpers (Zeichen der Stärke) in eine tödliche Computersimulation, in der Reproduktionen der größten Massenmörder der Menschheitsgeschichte (die gefährliche Gegenwelt) ihr Unwesen treiben. Ihr Job: die Tochter des Präsidenten befreien.

Der Vergleich passt an einer Stelle nicht - traurigerweise ist das auch noch eine motivische Schwäche des Buches: Wo Snake Plisskens Leben vom amerikanischen Militär bedroht wird, um den Auftrag zu erfüllen, bekommt Ella Thomas lediglich vom amerikanischen Militär Geld geboten. Dass sie den Auftrag nur für Geld übernimmt, passt nicht zur moralisch anspruchsvollen Entwicklung ihres Charakters im Verlauf der Geschichte.

Was dann in der Demi-Monde passiert, lässt sich eigentlich kaum zusammenfassen: Da findet die kluge, aber zu Beginn relativ normal erscheinende Ella heraus, dass sie sich lässiger als James Bond durch brenzlige Kammerspiele zu lavieren vermag und mit ihrem Körper sämtliche Männer massiv manipulieren kann (was in allen Fällen gelingt), wird aber gleichzeitig mit historischen Ereignissen konfrontiert, die die historische Entwicklung der Demokratie nachzeichnen sollen. Gleichzeitig verliebt sie sich, baut (unabsichtlich) eine Religion auf und erkennt den Sinn von schulischer Bildung und sozialer Gerechtigkeit - denn nichts davon ist in der Demi-Monde vorhanden. Und das Grandiose ist: Dieser scheinbare inhaltliche Overkill greift elegant ineinander und entwickelt einen eigenartigen Sog, dem der Leser kaum entrinnen kann.

Dieser Sog entsteht nicht zuletzt deshalb, weil wir enorm detailliert in die Demi-Monde eingeführt werden: Mehr als die Hälfte der happigen 604 Seiten drehen sich nur am Rande um Ella! Dabei dürfen wir die Nebencharaktere häufig aus ihrer eigenen Perspektive betrachten - wenn eine Person eingeführt wird, dann aus der Sicht derjenigen Person. Häufig sind dann noch nicht alle Charaktereigenschaften angelegt, aber die Entwicklung der Nebencharaktere auf späteren Seiten erscheint durchaus plausibel. Und das macht es auch so schwierig, das Buch zur Seite zu legen:

Auch wenn es sich nur um den Vater einer vermeintlichen Freundin Ellas handelt - wir warten auch gerne mal 200 Seiten ab, um zu erleben, wie er sich aus der letzten brenzligen Situation herausbewegt und wie ihn das psychologisch verändert.

Neben diesen eher komplexen literarischen Lusterfahrungen gibt es aber auch noch weitaus simplere Mittel, mit denen Rod Rees meine Haut zum Kribbeln gebracht hat: Es werden einige Reden gehalten - aber immer vor großem Publikum. Hier werden Situationen nacherzählt, die grundlegende Handlungsmotive der echten Welt emotional aufbereiten. Auch hier kann das nur angeschnitten werden: Aber die Bandbreite reicht von der Reflexion der Entstehung messianischer Botschaften bis zur Rede der Widerstandskämpferin, die ein Volk zur gewaltvollen Rebellion aufruft. Beides sind unheimlich kontroverse Themenbereiche, die in der Demi-Monde spannend deutlich werden. Und das will schon was heißen - gleichzeitig geht natürlich ein wenig Akkuratesse in dieser Form der Darstellung verloren.

Der vorliegende Roman ist übrigens der Beginn einer ganzen Serie - was anhand der Themenvielfalt kaum verwunderlich erscheint - dementsprechend bekommt man ¾ der Demi-Monde nicht zu Gesicht - und einen vorabendserientypischen Cliff-Hanger gibt es auch. Nein, falsch: Es gibt ca. 5 parallele offene Enden! Abgesehen von dieser dramaturgischen Glanzleistung Rees´ ist das natürlich fürchterlich nervig. Aber immerhin wird es uns dazu bringen, mehr von ihm zu lesen - und das ist ja auch nicht das Schlechteste.

Fazit: Es gibt Bücher, die mir gefallen, Bücher, von denen ich weiß, dass sie mir gefallen müssten und Bücher, von denen ich weiß, dass sie mir nicht gefallen dürften. "Demi-Monde" gehört in letztere etwas absurde Kategorie. Aber mit guten Gründen. Spannung, Bildung, Emotionen - nichts lässt das Buch außen vor. Trotzdem zerfasert es nicht - es ist ein Buch, mit dem man Endhaltestellen des öffentlichen Nahverkehrs unbemerkt vorüberziehen lässt, weil man im Buch versinkt.

Und das, obwohl manche Spannungsfaktoren und wichtige Angelpunkte des Plots sehr billig sind. Alles in allem also eher ein Buch wie eine tolle Vorabendserie - man schaltet nächste Woche wieder ein und man weiß, dass man wieder Spaß haben wird und ein bisschen was zu denken gibt's auch. Aber irgendwann fragt man sich, ob es nicht etwas noch Besseres gibt. Ganze Filme zum Beispiel. Um im Bild zu bleiben.

(Tim König, Februar 2013)

Die Mission

Rod Rees, Goldmann

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