Kill Decision

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2013
  • 4
Kill Decision
Kill Decision
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Almut Oetjen
84°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2013

High Tech Pulp Fiction

Im irakischen Kerbela wird unter Einsatz einer Drohne ein Raketenanschlag auf einen Pilgerzug verübt. Die Bilder werden weltweit übertragen. Die Verantwortung für den Anschlag wird den USA zugewiesen. Im Stanford Vision Lab wurde eine "Visuelle-Intelligenz-Technologie" entwickelt, die nicht nur Objekte identifizieren kann, sondern auch versteht, was sie sieht. Der Code wird jedoch gestohlen und im Internet frei zugänglich gemacht. Das Entwicklerteam wird bei einem Attentat getötet. Weitere Anschläge gegen Personen und Einrichtungen in den USA folgen.

Linda McKinney betreibt in Afrika Feldforschung an Weberameisen. Sie hat einen Schwarmalgorithmus entwickelt, den sie durch Beobachtungen überprüfen und verbessern will. Als ein Raketenangriff auf ihre Unterkunft verübt wird, wird Linda im letzten Moment von einem Team unter Führung eines Soldaten, der sich Odin nennt, gerettet und entführt. Die Gruppe fliegt nach Kansas City und fährt von dort zu einer geheimen Basis. Linda erfährt, dass zwischen den Anschlägen ein Zusammenhang besteht und auch sie getötet werden soll. Eine mächtige, unbekannte Organisation nutzt bestimmte Forschungsergebnisse, so auch Lindas Algorithmus, für militärische Zwecke und beseitigt deren Urheber.

Linda flieht, wendet sich an das FBI, wird dort als mögliche Terroristin behandelt, bis Ritter, ein angeblicher Mitarbeiter der Homeland Security, den Fall übernimmt und Linda in seine Dienststelle bringen will. Tatsächlich aber versucht er sie zu töten, was Odin verhindert. Odins Team hat den Auftrag, herauszufinden, wer mit welchen Zielen hinter den Anschlägen steckt.

Krieg gegen den Terror

Odin, bürgerlicher Name David Shaw, ist der Leiter einer geheimen militärischen Spezialeinheit. Linda McKinney, Professor genannt, ist die Spezialistin in Schwarmintelligenz bei Weberameisen, die getötet werden soll, weil sie gegen ihren von der unbekannten Macht eingesetzten Algorithmus vorgehen könnte. Hugin und Munin sind die beiden Raben, mit denen Odin seit zwanzig Jahren befreundet ist. Sie unterstützen das Team bei der Luftraumaufklärung und der unauffälligen Personenüberwachung. Hoov, Foxy, Ripper, Mooch und Smokey gehören zur taktischen Einsatzgruppe Odins.

Ritter ist ein US-Amerikaner, der für die Organisation arbeitet, die sich mit illegalen Methoden für die legale Förderung und Verbreitung von autonomen Drohnen einsetzt. Zu diesem Zweck lässt die Organisation auch Terrorangriffe von US-Amerikanern in den USA ausführen. Henry Clarke ist ein Manipulator sozialer Netzwerke für verschiedene Auftraggeber, darunter die Regierung, das Militär und die ominöse Marta, über die wir so gut wie nichts erfahren.

Die Figuren weisen nur eine geringe psychologische Tiefe auf, sind weitgehend definiert über technische und berufliche Merkmale, Hinweise auf ihr Leben vor der erzählten Zeit sind knapp und funktionell.

Spannender Genrehybrid mit Bildungselementen

"Kill Decision" ist keine Science Fiction, die den Stand heutiger Entwicklungen in die nähere Zukunft fortschreibt und in Form von Romanen Technikfolgenabschätzungen vornimmt, die ein ausgeprägtes spekulatives Moment aufweisen. Vielmehr gehört der Roman zum hybriden Genre des Techno-Thrillers, verbindet eine Geschichte um Agenten, Soldaten und Wissenschaftler mit einem verschwörungstheoretischen Konstrukt um private Unternehmen, moderne Kriegsführung und einen Milliarden-Dollar-Markt, reichert dieses Gemisch schließlich an um eine erhebliche Portion technischer Details. Gehören Tom Clancy und Michael Crichton zu den Gründungsvätern der Techno-Thriller-Welt, so finden sich in den jüngeren Segmenten des dazugehörigen Stammbaums Autoren wie Douglas Preston, Lincoln Child und Daniel Suarez.

Die Amalgamierung von Genrezutaten des Techno-Thrillers hat Suarez bereits in seinen beiden Internetromanen "Daemon" und "Darknet" erfolgreich praktiziert. In "Kill Decision" verbindet er den eher formelhaften Agentenroman auf der stilistischen Ebene der Pulp Fiction mit High-Tech-Vorstellungen. Hier ist der Roman ebenso trivial wie Suarez' zwei vorhergehende Werke, zeigt sich auch nicht frei von Klischees und Redundanzen. Es gibt wilde Verfolgungsjagden, Massaker, jede Menge Action also, und dazu eine Romanze zwischen dem Helden und der Heldin, die sich anfangs, natürlich, nicht ausstehen können.

Aber anders als in den Fernsehnachrichten, in denen die Frau die dummen Fragen stellt, die die dummen Zuschauer interessieren sollen, um sie dann von ihrem männlichen Gegenüber beantworten zu lassen - diesem Zusammenhang widmet "Kill Decision" auffällig viel Platz -, sind Odin und Linda zwei gleichberechtigte Spezialisten auf ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet, die sich hervorragend ergänzen. Soweit ist der Roman spannend und unterhaltsam. Was ihn jedoch darüber hinaus interessant macht, ist das technische Thema. Suarez liefert Kurzeinführungen in die Möglichkeiten visueller Software, Schwarmintelligenz, kriegerische Ameisenarten und einige Themen mehr.

Wir lernen den Stand der Drohnentechnologie (MQ-1 Predator, MQ-9 Reaper, RQ-4 Global Hawk) kennen. Die Gefahrenpotenziale dieser Maschinen liegen derzeit noch beim Bedienungspersonal. Das ändert sich spätestens, wenn sie keiner unmittelbaren menschlichen Steuerung mehr bedürfen und über eine Qualität künstlicher Intelligenz verfügen, durch die sie zu autonomen Tötungsmaschinen werden. Können sie irgendwann auch noch chemisch miteinander kommunizieren und im Schwarm als kollektive Intelligenz operieren, ist der technische Stand aus "Kill Decision" erreicht.

Wie der Daemon in Suarez' Romanen "Daemon" und "Darknet" versteht die Technologie in "Kill Decision" nicht, was sie macht. Spotterdrohnen kundschaften das Ziel eines Angriffs im Feinbereich aus, arbeiten mit Software zur Gesichtserkennung, ziehen sich zurück, übermitteln ihre Daten an eine Killerdrohne, die den tödlichen Angriff ausführt, während die Spotterdrohne ihn als Livefeed über W-LAN an einen Server überträgt.

Es gibt Drohnen, die die chemische Zusammensetzung ihrer Umgebungsluft analysieren und feststellen, welche Organismen sich in ihrer Nähe befinden. Das Schwarmverhalten und den Einsatz von Steuerungspheromonen machen sich wiederum Drohnen zunutze, die als autonome Tötungsmaschinen im Verband gegen Ziele eingesetzt werden. Eine Form dieser Maschinen sind Quadrocopterdrohnen, die ihre Ziele lokalisieren, deren Gesicht scannen und versuchen, ein tödliches Projektil zwischen den Augen zu platzieren.

Beim Lesen ergibt sich häufig der Eindruck eines Horrorthrillers, und willkürliche Überprüfungen dessen, was Suarez schreibt, führen zu Verifizierungen. Quadrocopterdrohnen sind ein Produkt, das bereits heute auch für Hobbyanwendungen, natürlich nicht mit Waffencharakter, auf dem Markt ist.

Es ist bisweilen gruselig, wie nah die Realität an "Kill Decision" ist. Das südkoreanische "Super aEgis 2", das mit Bildsensoren arbeitet und die Wärmesignaturen menschlicher Ziele in totaler Dunkelheit erkennt, trifft autonome Feuerentscheidungen. Ein weiteres System ist das US-amerikanische "Autonomous Rotorcraft Sniper System" (ARSS).

Suarez zeigt eine Welt, über die wir nur gelegentlich in den Nachrichten und Reportagen des Fernsehens und der Printmedien erfahren. Er mutet seinen Lesern und Leserinnen einige technische Inhalte zu, behandelt diese anspruchsvoll und belohnt diejenigen, die sich davon nicht abschrecken lassen, reichlich. Mangelndes Technikwissen beschränkt nur unwesentlich die Möglichkeiten, der Geschichte zu folgen.

Daniel Suarez behandelt wichtige Themen in seinem dritten Roman: den logischen Entwicklungsschritt von gesteuerten Drohnen zu autonomen Tötungsmaschinen, die fortschreitende Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols im Interesse privatwirtschaftlicher Unternehmen, den Missbrauch sozialer Medien im Zuge politischer wie wirtschaftlicher Zielverfolgung.

"Kill Decision" ist ein Techno-Thriller, der zugleich den Puls hochtreibt und zum Nachdenken anregt.

(Almut Oetjen, März 2013)

Kill Decision

Daniel Suarez, Rowohlt

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