Das Serum des Doctor Nikola

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  • Erschienen: Januar 2013
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Das Serum des Doctor Nikola
Das Serum des Doctor Nikola
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2013

Der Bankier, die Katze, Dr. Nikola & die Mumie

Am 13. Mai 1927 stürzt ein bodenloser Kurssturz die Berliner Börse in eine Krise, die bald das gesamte Finanzwesen an den Rand des Untergangs bringt. Zu den zahllosen Opfern gehört auch der Jungbankier Felix Secundus Pechstein. Als die Privatbank der Familie zusammenbrach, hat sich der Vater eine Kugel in den Kopf geschossen. Pechstein Junior steht hungrig auf der Straße. Für einen Mann mit seinen Kenntnissen hat derzeit niemand Verwendung - mit einer Ausnahme: Doctor Nikola, der unsterblich gewordene Super-Verbrecher, ist trotz seiner beinahe magischen Kräften in den Krisenstrudel geraten. Um seines deutschen Aktienvermögens nicht gänzlich verlustig zu gehen, will er Pechstein anheuern.

Dieser sträubt sich zunächst, denn er findet Nikola unheimlich. Allerdings ist Pechstein auch verliebt, seit er unter die "Kinder des Lichts" geriet, eine Sekte, die großen Zulauf findet. Unter dem strengen Regiment von Meister Rainhart wird auf die Wiederkehr der antikägyptischen Pharaonenzeit hingearbeitet. Dazu gehören aufwendige Zeremonien, für die Rainhart gern seine bezaubernde Tochter Mathilde als Resonanzverstärker einsetzt.

Pechstein entflammt umgehend für die junge Schönheit, die er der Sekte entführt. Damit beschwört er nicht nur Rainharts Zorn herauf: Sein meist im Vorborgenen bleibender Herr Ra-em-heb, der wohl nicht nur vorgibt, ein Überlebender aus der Zeit der Pharaonen zu sein, giert sowohl Mathilde als auch jenem Serum hinterher, dem Doctor Nikola seine ewige Jugend verdankt. Ras Methode ist weitaus weniger ausgereift, weshalb er unschön einer Mumie ähnelt.

Mathilde und Pechstein werden gefangen. Rettung winkt nur, wenn Felix sich bereiterklärt, Nikolas ebenfalls unsterbliche Katze Apollyon zu stehlen, aus deren Blut Ra Nikolas Serum destillieren will - ein gefährlicher Unterfangen, denn Nikola hasst Verräter, und seine Katze liebt er beinahe so sehr wie sich selbst ...

Abwesend aber hier nicht vermisst

Ein unsterblicher Held ist von unterhaltsamem Nutzen. Er darf sich nicht nur überall auf diesem Globus in gefährliche Abenteuer stürzen, sondern kann außerdem auf Episoden der Weltgeschichte warten, die seinen Taten weiteren Glanz verleihen. Solche Ereignisse sind zwar recht zahlreich, doch es kann nicht schaden, wenn ein Autor quasi die freie Wahl hat.

Nachdem die Doctor-Nikola-Serie 2012 ausgerechnet in Deutschland fortgesetzt wurde, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis das von Guy Newell Boothby 1895 auf die Welt losgelassene Forscher- und Verbrechergenie auch dieses Land heimsuchen würde. Zeitlich war die Nikola-Chronologie bereits ein gutes Stück ins 20. Jahrhundert vorgestoßen. Die naheliegende Wahl wäre es nunmehr gewesen, ihn in den Aufstieg des "Dritten Reiches" zu verwickeln.

Tatsächlich spielt die Handlung 1927. Die Nazis rührten im Untergrund bereits mächtig Schmutz auf, durch die Haut des "Schlangeneis" ließ sich bereits der böse Drache erkennen, wie Ingmar Bergman es 1977 in seinem gleichnamigen Film eindrucksvoll umschrieb. Petra Hartmann klammert diesen Aspekt völlig aus und bewahrt damit anders als Michael Böhnhardt ("Das Luftschiff des Doctor Nicola") den naiven Geist der Boothby-Vorlage.

Die nur beschränkt Goldenen Zwanziger

im Berlin des Jahres 1927 wäre auf einer Liste aktueller Schicksalsschläge die Finanzkrise ohnehin weit vor den Nazis gelandet. Banken manipulieren und kollabieren, Sparer verlieren ihre Einlagen, die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte: Womöglich hat sich die Situation nicht einmal gravierend geändert. Hartmann greift ein Stück Geschichte Hintergrund auf, das wieder beunruhigend aktuell klingt. Nicht einmal ein Genie wie Doctor Nikola bleibt von den Bebenwellen eines bereits global gewordenen Finanzmarktes verschont, der durch skrupellose Spekulationen entartet ist.

Sehr modern mutet allerdings des Doctors Lösungsweg an: Er heuert einen zwar schlauer aber nicht klüger, d. h. durch begangene Fehler geläuterten Bankier an. Wenig heldenhaft verhält sich Felix Pechstein, als er, die Krise fachmännisch nutzend, für seinen Auftraggeber faule Papiere losschlägt und dabei in Kauf nimmt, dass es einen Unglücksraben, der auf sein Spiel hereinfällt, das Leben kostet. Was Pechstein 1927 gelernt hat, wendet er - ein hübscher Gag der Autorin - auch zukünftig an und wird dadurch zum Mit-Auslöser der Weltwirtschaftskrise von 1929: In der modernen Welt kann auch ein Bankier einen Weltenbrand legen. Wir glauben es der Autorin ungern aber sofort.

Das Reich der Rattenfänger

Immerhin teilt Pechstein eine Weile das Schicksal der ruinierten Spekulanten und Sparer und landet auf der Straße. Dort lässt ihn die Autorin ein zwar aus den Fugen geratenes aber weiterhin funktionierendes Berliner Alltagsleben kennenlernen. Das Elend wirkt unmittelbarer als in der Gegenwart, denn das soziale Netz ist deutlich grobmaschiger. Dies ist die Stunde der Scharlatane, die sich als Heilsbringer aufspielen. Statt wie üblich und verdient mit Fußtritten davongejagt zu werden, finden und scharen sie nun die Verzweifelten um sich, die einfach jemandem folgen wollen, der verspricht, ihnen einen Weg aus der Misere zu weisen.

Wieder lässt Hartmann die Nazis außen vor und ersetzt sie durch eine der zahlreichen okkulten bzw. okkultistischen Geheimgesellschaften, die in den 1920er Jahren aus dem Boden schossen. Hier sind es die fiktiven "Kinder des Lichts", die mit den angeblichen Weisheiten des alten Ägyptens locken. Hinter der imposanten Fassade lässt Hartmann erwartungsgemäß recht banale und sehr menschliche Interessen wuchern. Zumindest Meister Rainhart geht es um Macht, die er durch eine Mischung aus Gehirnwäsche und strenger Unterwerfung zu erhalten gedenkt. Dabei schreckt er nicht einmal davor zurück, die eigene Tochter zu instrumentalisieren.

Die staubige Eminenz im Hintergrund stellt Ra-em-heb dar. Obwohl Hartmann es niemals anspricht, mag er mit Pharos, dem Ägypter, identisch sein, den Guy Nevell Boothby 1899 in einem eigenen Roman tücken ließ. Die "Kinder des Lichts" dienen Ra als unfreiwilliger Rohstoff, denn das eigene Unsterblichkeitsserum muss er buchstäblich aus den Leibern seiner Opfer pressen. Dennoch ist es nicht so wirksam wie das Qualitätsprodukt des Doctor Nikola, weshalb Ra umdisponiert und zur Katzenjagd bläst.

Ein Jedermann muss wachsen

Das allmähliche Durchschauen der Verschwörung bringt endlich die ritterliche Seite des Felix Pechstein zu Tage. Über sie verfügt jeder jugendliche Kolportage-Held. Ebenfalls genretypisch verliebt er sich auf den ersten Blick in eine schöne Maid, deren Reize noch steigen, weil sie aus Lebensgefahr gerettet werden muss. Selbstverständlich gibt es auch eine Mission zu erfüllen, die hier darin besteht, Ra einerseits zu täuschen und andererseits das Handwerk zu legen.

Das führt in der zweiten Handlungshälfte zu einem wahren Wirbel aufregender Geschehnisse, die unser Helden auch außerhalb Berlins überstehen muss. Selbstverständlich ist Pechstein anfangs alles andere als ein Abenteurer. In der Regel bringt er sich in Schwierigkeiten, aus denen ihn lange der wundersam am Ort der Krise auftauchende Larkin - eine missratene, weil gar zu übertriebene Figurenschöpfung der Autorin - retten muss. Recht schnell mausert sich Pechstein zum Fassadenkletterer oder Rennfahrer und lässt notfalls die Fäuste kreisen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, da er nach dem Willen der Autorin zwischen Hammer und Amboss - Nikola und Ra - gerät.

Wie es seiner Natur entspricht, ist Nikola einmal mehr vor allem Katalysator für eine Kette von Ereignissen, die dem eigentlichen Handlungsträger - Felix Pechstein - die aufregendste Zeit seines Lebens bescheren. Um seinen Nimbus zu wahren, beschränkt sich Nikola auf wenige aber dann effektvolle Auftritte. Natürlich führt er dabei die üblichen magischen Kunststücke vor, denn Nikola ist eitel, auch wenn er dies abstreiten würde.

Ihn zum fliegenden Rächer zu ernennen, der zornig mit seinem Luftschiff über Berlin kreist, weil seine geliebte Katze gekidnappt wurde, weist wiederum eine gewisse unfreiwillige Komik auf, es sei denn, man geht davon aus, dass Apollyon für Nikola ein "Schutzgeist" ist, wie ihn die Hexen des Mittelalters angeblich an ihren Seiten führten. Auf jeden Fall ist Apollyon als Figur feiner gezeichnet als die schöne Mathilde, die gänzlich auf ihre Passiv-Rolle als "Frau in Gefahr" beschränkt bleibt. Was Pechstein an dieser faden, lethargischen Person fasziniert, erschließt sich zumindest dem Leser nicht. Ein gebührend furioses Finale tröstet über solche kleinen Mängel hinweg.

Quo vadis, Nicola?

Dem sechsten Nikola-Band fehlt die inhaltliche und formale Intensität, die den Vorgängerband auszeichnete. "Das Serum des Doctor Nikola" bietet ´nur´ buntes Abenteuer. So hatte es Guy Nevell Boothby vor mehr als einem Jahrhundert gehalten, und so funktioniert Nikola weiterhin problemlos.

Leider hat es den Anschein, als ginge Nikola schon wieder in den Ruhestand, denn es sind keine weiteren Fortsetzungen angekündigt. Umso mehr sollte der Leser sich über dieses wieder schön gestaltete, sauber gebundene und mit einer Klappenbroschur ausgestattete Paperback freuen!

(Dr. Michael Drewniok, März 2013)

Das Serum des Doctor Nikola

Petra Hartmann, -

Das Serum des Doctor Nikola

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