Pandämonium

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
Pandämonium
Pandämonium
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Hanka Jobke
28°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2013

Friss und stirb.

Wenn es einen Trailer für diese Geschichte gäbe, enthielte er folgende Bilder:

Ein junges, hübsches Mädchen, das zwar nicht Bella Swan heißt, aber genauso unbedarft dreinschaut, sitzt neben einem gleichaltrigen Jungen; beide flachsen und alles sieht nach heiler Welt aus. Die Musik ist beschwingt.
Eine ungesund aussehende alte Dame geht im Streichelzoo umher. Plötzlich stürzt sie sich auf eine Ziege und zerreißt ihr die Kehle. Die Musik schlägt ins Bedrohliche.
Das junge, hübsche Mädchen sieht aus dem Fenster ihrer Neubauwohnung, dass ihr Block abgeriegelt wird. Mit einem älteren, verwahrlost aber harmlos erscheinenden Herrn unterhält sie sich, es fällt das Wort "Quarantäne".
Hans Zimmers Inception-Horns legen los.
Blutverschmierte Nachbarn, schwingende Kreissägen, fliegendes Gedärm. Eine Kaskade der bekannten Splatter zieht vorbei.
Schnitt - und Stille über Berlin.
Ansicht des Checkpoint Charlies, der wieder eröffnet wurde, darunter ein Gesprächsfetzen: "Wieso ausgerechnet der Checkpoint Charlie?" - "Weil den jeder findet, der noch aus Mitte raus will."
Fehlen dürfen dann natürlich nicht ein paar Großaufnahmen der Hauptpersonen mit angstvollen Gesichtern, ein paar diffuse Bilder, welche unangenehmen Sex mit Thailänderinnen andeuten, und das obligatorische innige In-die-Arme-Fallen, ein Muss jedes B-Movies.

Und weil man nach jedem modernen Trailer die gesamte Geschichte schon kennt, ist hier auch nicht viel hinzuzufügen. Alexander Odin schrieb einen genretypischen Seuchen-Endzeit-Thriller, der ein paar schöne Ideen hat, und sehr viel falsch macht.

Lobenswert ist die Wahl seiner Schauplätze. Die graue Großstadt Berlin, darin der graue Plattenbau - die Grundstimmung dieser Orte nutzt Odin aus, um genau dort seine Seuche ausbrechen zu lassen, wo man sie eh stets vermutet. Schnell zeigt sich, dass die Platte keineswegs der Herd allen Übels ist, aber sowohl Politik als auch Medien das gern so hätten. Der Seitenhieb auf mediengeile Politiker ist flach, aber gelungen.
Die Ausweitung der Quarantäne vom Plattenbau auf den gesamten Stadtteil, ohne dass dies der Seuche irgendwie Einhalt gebieten könnte, ist konsequent und durchaus witzig, wenn Odin die ureigene Geografie Berlins miteinbezieht, wie beim oben genannten Beispiel des alten Grenzüberganges.

Gut ist auch die Idee der Seuche. Was zunächst wie ein Zombievirus aussieht, entpuppt sich zunehmend als biologisch nicht greifbare Krankheit, denn sie entsteht in den Menschen selbst und hat - und das ist das Neue an der Idee - eine Art technischen Auslöser. Einen Zombievirus mit einem Computervirus zu vergleichen, ist durchaus spannend. Leider zeigt sich hier ein Grundproblem der Geschichte, denn die Idee ist zwar angerissen, aber keinesfalls zu Ende gedacht. Wie so ziemlich alles in diesem Roman.

Die Devise für den Leser heißt: Nimm es hin. Nimm es hin, dass man dir eine Handvoll Hinweise über die Hintergründe hinstreut, und sie nicht logisch verknüpft. Nimm hin, dass die Figuren immer genau die Materialien in ihren Rucksäcken haben, die sie gerade brauchen, und zuweilen sogar eine Wunderheilung geschieht, damit die Figuren die anstehende Aktionssequenz mitmachen können.

Und bitte, lieber Leser, akzeptiere, dass nicht eine Figur in dieser Geschichte sinnvoll handelt. Das beginnt und endet mit der Protagonistin, die natürlich wunderschön ist, das selbst aber nicht erkennt. Macht ja nix, denn dafür ist sie faul, ansatzweise gestört, ängstlich, naiv, dumm, egoistisch und auch sonst ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse. Man wünscht sich, dass sie das erste Drittel des Romans nicht überleben möge, aber eine solche Überraschung wäre wohl zu viel für diese - dank dem Rückentext - vorhersehbare Geschichte.
Die ihr zur Seite gestellten männlichen Nebendarsteller wirken zwar sympathischer, aber nur, weil sie oberflächlicher abgehandelt werden. Ihr Handeln entbehrt dennoch zumeist jeglicher sinnvoller Motivation.
Da jagt der Kleindealer auch im Angesicht des Seuchentodes seinem Koffer voller Drogen hinterher - nicht weil er sie selbst konsumieren möchte, oder er meint, dass er sie besonders teuer verticken könnte, sondern einfach so. Wahrscheinlich hat der Koffer einen nostalgischen Wert.
Da lässt sich der Hauptkommissar von einer x-beliebigen Mutti bequatschen, auf ihr verzogenes Töchterlein achtzugeben, und er sieht es umgehend als seine Lebensaufgabe an, dieser Göre alle Wünsche zu erfüllen. Wieso er plötzlich Leib, Leben und die Sicherheit seiner Mannschaft gefährdet? Man weiß es nicht.
Da lässt sich die schicke Postbotin ein Mal vom alkoholkranken Vollassi in seine Dreckbude einladen, um ihm beim späteren Wiedersehen um den Hals zu fallen, als sei er ihre lang verschollene große Liebe. Na, Hauptsache, irgendwer knutscht rum.
Da metzelt die kleine Truppe zwangsläufig einiges an Infizierten nieder, um keine fünf Minuten nach Erreichen der eigenen Sicherheit Vorwürfe gegen die staatliche Separation der Kranken zu erheben. Ja nee, ist klar.

Der ganze Cast krankt an allen Ecken und Enden, die Figuren werden willkürlich durch das immerhin stimmungsvoll zerstörte Bild Berlins geschoben und entwickeln sich irgendwo zwischen den Zeilen voller Widersprüche und Kitsch sogar weiter. Das interessiert den Leser dann aber auch nicht mehr. Interessant wäre vielleicht noch die Auflösung um die rätselhaften Drahtzieher des Ganzen - allein, man ahnt es schon, auch diese ist nicht ausgegoren.

Was es mit dem Titel des Buches auf sich hat, darf sich der Leser zum Schluss selbst ausdenken. Die Lösung lauert wohl irgendwo zwischen afrikanischen oder asiatischen Geistern, Aleister Crowley und einem kurz geöffneten Portal in eine andere Welt - eine Szene, die scheinbar schlicht vergessen wurde herauszustreichen, da sie selbst in diesem fragmentarischen Erklärungsversuch völlig isoliert erscheint.

Lieblos ist auch die Sprache, ein Zusammenschnitt bekannter Bilder und Dialoge; der Stil ist zu belanglos, um ihn näher zu betrachten.

Alexander Odin dankt in seinem Nachwort gleich zwei Lektoren - man mag sich kaum ausmalen, was ohne deren Beihilfe aus diesem Buch geworden wäre. Es stellt sich ernsthaft die Frage nach dem Zielpublikum dieses verkitschten Endzeitthrillers: Für Twilighter ist er zu blutig, für Genrefans zu lieblos und für Liebhaber der deutschen Literaturwissenschaft schlicht grauenvoll. Und das leider nicht im für den Roman positiven Sinne.

Pandämonium

Alexander Odin, Bastei-Lübbe

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