Film:
Die Farbe aus dem All

Film-Kritik von Michael Drewniok

Magenta ist die Farbe des fleischverschmelzenden Todes

Um nach der schweren Krankheit der Mutter den familiären Neustart zu versuchen, ist der erfolglose Maler Nathan Gardner mit Gattin Theresa und den Kindern Lavinia, Benny und Jack aus der Großstadt auf die Farm seines verstorbenen Vaters gezogen. Vor allem Lavinia hasst die endlosen, tiefen Wälder des Neu-England-Staates Massachusetts und deren Abgeschiedenheit, weshalb ihr noch jungfräuliches Auge erfreut auf den schmucken Hydrologen Ward fällt, der das Wasser der Gegend auf Schadstoffe untersuchen soll.

Die gibt es reichlich, nachdem des Nachts ein ‚Meteorit auf dem Grundstück der Gardners eingeschlagen ist. Er leuchtet in einem verwirrenden Magenta-Farbton und verbreitet einen üblen Geruch, bevor er sich scheinbar auflöst. Tatsächlich ist der ‚Meteorit‘ eine Kreatur aus einer fernen Region des Weltalls und auf der Suche nach Beute zwischengelandet.

Zunächst unbemerkt stellt das Wesen den Gardners nach. Boden und Grundwasser werden ‚infiziert‘. Das Ding aus einer anderen Welt ist in der Lage, Lebewesen auf genetischer Ebene zu manipulieren. Grässliche Mischungen bizarr verformter oder sogar miteinander ‚verklumpter‘ Tiere entstehen, während eine üppige, aber unheimliche Vegetation sich über die Farm ausbreitet.

Rasch sind die Gardners kontaminiert. Vor allem Nathan beginnt sich körperlich wie geistig zu verändern. Ähnlich ‚hellhörig‘ reagiert Jack, der jüngere Sohn, auf die Kreatur, die sich im Farmbrunnen eingenistet hat. Dort wächst sie und wird immer stärker. Sie schafft eine Art Barriere um die Farm, verändert Zeit und Raum, um die Gardners nicht entkommen zu lassen. Mit der Zeit werden die Attacken aggressiver. Die Familie beginnt zu mutieren, wobei vor allem Theresa und Jack sich in eine gänzlich unirdische Schreckgestalt verwandeln.

Als der beunruhigte Ward mit dem Sheriff auftaucht, hat die Endphase dieser Invasion aus dem All begonnen. Die Kreatur will ihre Reise fortsetzen. Zuvor gedenkt sie sich zu stärken, was innerhalb des von ihr gezogenen Bannkreises nichts und niemand überstehen wird …

Es ist nicht leicht ein Genie zu sein …

Dieser Stoßseufzer gilt sowohl dem Verfasser der Drehbuchvorlage als auch dem Regisseur dieses Films, wobei Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) als nur noch indirekt fassbare Gestalt der Vergangenheit einen Vorteil vor Richard Stanley genießt, der sich der aktuellen Kritik stellen muss. Die hat ihn allerdings mehrheitlich in ihr Herz geschlossen, was er u. a. seinem Status als aus Kritikersicht anerkanntes Opfer des ehr- und visionslosen Molochs Hollywood verdankt.

Stanley startete ab 1990 als ‚junger Wilder‘ im Filmgeschäft durch. Er hatte Clips für erfolgreiche Musiker gedreht und dies genutzt, um zwei kostengünstige, etwas ‚andere‘ und von den Fans des phantastischen Films positiv aufgenommene Spielfilme zu inszenieren: „M.A.R.K. 13 - Hardware“ (1990) und „Dust Devil“ (1992). Der Erfolg führte zum Angebot, einen ‚richtigen‘ Hollywood-Film zu inszenieren: „DNA - Die Insel des Dr. Moreau“ mit dem zwar alten, aber weiterhin berühmten Marlon Brando in der Titelrolle. Allerdings zeigten schon die ersten Aufnahmen, dass Stanley keineswegs den erwarteten Mainstream-Blockbuster liefern wollte. Schon nach wenigen Tagen wurde er gefeuert und durch den Routinier John Frankenheimer ersetzt. „DNA“ wurde (trotzdem) ein spektakulärer Misserfolg, doch Stanley dürfte das nicht befriedigt haben, denn mehr als zwei Jahrzehnte konnte er keinen Spielfilm mehr realisieren.

Erst mit „Die Farbe aus dem All“ gelang ihm ein Comeback, das angesichts seiner Vorgeschichte besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass nunmehr H. P. Lovecraft das Nachsehen hat - nicht zum ersten Mal übrigens, da seine Werke zwar gern gelesen werden, aber als filmisch schwer umsetzbar gelten.

(Hollywoods) Angst vor dem Unbekannten

„Die Farbe aus dem All“ hatte eine schwierige Geburt. Es dauerte Jahre, bis Stanley Investoren fand. Denen musste er, der auch am Drehbuch mitschrieb, offensichtlich inhaltliche Zugeständnisse machen. Oder kam Stanley selbst zu dem Schluss, er müsse Lovecraft durch seinen Interpretationsfilter gießen? Die Story entstand bereits 1927 und erschien erstmals im „Pulp“-Magazin „Amazing Stories“. Wie es für ihn üblich war, legte Lovecraft das Schwergewicht auf das Geschehen = die groteske ‚Umformung‘ irdischen Lebens. Lovecraft sah das Weltall als Heimat unendlich fremdartiger, für Menschensinne in ihren Motiven und Aktivitäten unverständlicher Entitäten. In den Folgen ihres letztlich gleichgültigen Tuns lag für ihn das eigentliche Grauen. Die Gardners dienten Lovecraft als Spielbälle dieses Geschehens. Man fühlte kein Mitleid für sie, sondern nur den Schrecken über die Heimsuchung als solche - so wollte es der Autor.

Im Film ist dies eine Sicht, die kaum ein Produzent zu teilen wagt. Folgerichtig werden viele Filmminuten dem Versuch gewidmet, die Gardners kennen- und ‚lieben‘ zu lernen. Wir Zuschauer sollen mit ihnen leiden, wenn das Grauen sie packt. Dazu kommt es nie, was einerseits daran liegt, dass Stanley Lovecraft in einem Punkt konsequent folgt und einen Schrecken schildert, der auf jeden Fall über seine Opfer kommt. Die Gardners könnten Engel sein oder eine Sippe kannibalischer Rednecks: Der Farbe aus dem All wäre es gleichgültig.

Andererseits kann uns Stanley trotz einer langen, ruhigen Einleitung die Familie nicht wirklich ans Herz legen. Ansatzweise gelingt es mit Tochter Lavinia, während die Söhne Jack und vor allem Benny völlig profillos bleiben. Statt sich auf die Gardners zu konzentrieren, führt Stanley weitere Figuren wie den faktisch nur als Erzähler dienenden Ward Phillips oder den für die Handlung absolut überflüssigen Alt-Hippie Ezra ein. Mehrfach durchbricht Stanley kontraproduktiv die angebliche Isolation der Farm und blendet ins nahe Dorf um, wo sich schließlich der Sheriff auf den Weg zum Ort des Geschehens macht, nur um einen nett anzuschauenden, aber ebenfalls nicht relevanten Tod zu finden.

Wie stellt man das Unvorstellbare dar?

Dann ist da Nicolas Cage … Im Würgegriff der allzu frech düpierten und deshalb gereizten US-Steuerbehörde dreht er Film auf Film, wobei er mehr auf den Honorarscheck als auf das Drehbuch achtet. Hinzu kommt sein im Laufe der Jahre zunehmend unkontrollierbar werdender Hang zum Outrieren. Cage spielt nicht, sondern wuchtet Leidenschaft und Wahnsinn förmlich auf die Leinwand, was ihn zum dankbaren Objekt für zahlreiche Komiker macht, die seinen Überschwang karikieren (so als „Nicholas-Cage-Eiche“ in „The Love Spell Potential“/„Würfeln und Küssen“, Staffel 6, Ep. 23, der Serie „The Big Bang Theory“, 2013). Angeblich hat ihn Regisseur Stanley darum gebeten seinen Nathan Gardner so darzustellen, wie er es hier tut. Sollte das zutreffen, verflüchtigt sich Stanleys Genie-Nimbus endgültig, denn Cage geliert zur Witzfigur, die zusätzlich vom Drehbuch verraten wird: In dem einen Moment ist Nathan von der Farbe ‚besessen‘, im nächsten wieder klar = der Familienvater im Abwehrrausch (was den Griff zur Schrotflinte einschließt - dies ist schließlich ein US-Film).

Dies ergibt keinen Sinn, sondern lässt Cage höchstens manisch (oder bekifft) wirken. Allerdings passt das zu einem Film, der seinen langsamen Start mit bedrohlichen Andeutungen zügig hinter sich lässt und zu einem Splatter-Festival umschlägt. Die Farbe springt aus dem Brunnen, löst den Familienhund, vier Alpakas sowie Theresa und Jack zu quäkendem Fleisch-und-Blut-Matsch auf und steigt schließlich röhrend und glühend in den Nachthimmel auf, während Nathan kichernd und stammelnd, aber absolut sinnfrei dem armen Ward ans Leder will.

Dass Stanley zumindest ansatzweise erfasst, was Lovecraft vorschwebte, belegt das große Finale. Es zeigt nicht nur das Leben, sondern auch Raum und Zeit in Auflösung. Die Realität verschmiert in einem unwirklichen Rausch aus Farbe, der auch die Körper der durch dieses Inferno irrenden Pechvögel verdreht und verzerrt. Hier IST die Szenerie endlich einmal fremdartig, statt sich in den üblichen digitalen Monstern zu erschöpfen. Es versöhnt nur bedingt mit der zu langen bzw. unnötig abschweifenden Geschichte. Nicht einmal diesen ausgelaugten Epilog-‚Gag‘ mag uns Stanley ersparen: Selbstverständlich hat etwas überlebt - obwohl dies der Logik der Auflösung völlig widerspricht.

(Bedingt) verdientes Glück nach langer Durststrecke

Richard Stanley kann aufatmen. Zwar blieben die weiter oben genannten Punkte keineswegs unbemerkt, aber mehrheitlich waren die Reaktionen positiv - dies auch dort, wo allein es Produzenten interessiert: an der Kasse. So könnte etwas werden aus Stanleys Plan, mit „Die Farbe aus dem All“ eine Trilogie von Filmen zu starten, die auf Lovecraft-Stoffen basieren (und womöglich ein lukratives Franchise begründen).

Als Phantastik-Fan UND Lovecraft-Verehrer sieht man dem zwiespältig entgegen. Stanley hat sich als Autor und Regisseur seit seinen Anfängen kaum weiterentwickelt. Weiterhin vermag er Anspruch und Umsetzung nicht in Einklang bringen. „Die Farbe aus dem All“ startet elegisch, verspricht Außergewöhnliches - und fällt zurück in alte, grelle Muster. Nicht perfekt, aber deutlich gelungener ist diesbezüglich der thematisch ähnlich gelagerte Film „Annihilation“ („Auslöschung“, 2018).

Unter dieser Prämisse ist dieser Film keine Offenbarung. Nichtsdestotrotz fällt er im schauerlichen Einerlei aktueller Horrorfilme auf. Lovecrafts Geschichte mag verwässert werden, aber sie ist da und trägt einen Film, der zudem ausgezeichnet ausgestattet und gefilmt ist. Legt man keinen Wert auf ‚Werktreue‘, wird man zuverlässig unterhalten. Ansonsten bleibt dieser Film - der fahle Scherz sei gestattet - farblos.

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Fotos: © RLJE Films

Die Farbe aus dem All

  • Originaltitel: Color Out of Space (USA 2019)
  • Regie: Richard Stanley
  • Drehbuch: Richard Stanley u. Scarlett Amaris (nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von H. P. Lovecraft)
  • Kamera: Steve Annis
  • Schnitt: Brett W. Bachman
  • Musik: Colin Stetson
  • Darsteller: Nicolas Cage (Nathan Gardner), Joely Richardson (Theresa Gardner), Madeleine Arthur (Lavinia Gardner), Brendan Meyer (Benny Gardner), Julian Hilliard (Jack Gardner), Elliot Knight (Ward Phillips), Tommy Chong (Ezra), Josh C. Waller (Sheriff Pierce), Bruno, Oscar, Rowan u. Tor (Alpakas) u. a.
  • Label/Vertrieb: Koch Media (http://www.kochmedia-film.de)
  • Erscheinungsdatum: 30.04.2020
  • EAN: 4020628724115 (DVD)/4020628724092 (Blu-ray)
  • Bildformat: 16:9 (2,35:1, anamorph)
  • Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch) (DVD)/DTS-HD Master Audio 5.1 (Deutsch, Englisch) (Blu-ray)
  • Untertitel: Deutsch, Englisch
  • DVD/Blu-ray-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)/DL (Double Layer), 50 GB
  • Länge: 108 min. (DVD)/110 min. (Blu-ray)
  • FSK: 16

Features

  • Entfallene Szenen (13 min.)
  • Original- u. deutscher Trailer
  • Bildergalerie

Wer Wert auf weitere Extras legt, greife zum Mediabook (UHD u. 2 Blu-rays, Cover A bzw. B) oder zur „Ultimate Edition“ (UHD, 5 Blu-rays, 1 CD), die u. a. einen Nachdruck jener „Amazing-Stories“-Ausgabe vom September 1927 enthält, in der die Lovecraft-Story erstmals erschien.

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